DÜSSELDORF. Die IQB-Studie sorgt weiter für Wirbel: Unterrichten Grundschullehrkräfte mit falschen Methoden, wie der Philologenverband meint? Oder sind steigende Herausforderungen durch Inklusion, Integration und Lehrermangel ursächlich für den festgestellten Niveauverlust? Das Moderationsduo Andrej Priboschek und Prof. Ines Oldenburg (ehemalige Grundschullehrerin) diskutiert darüber mit dem Augsburger Schulpädagogen (und ehemaligen Grundschullehrer) Prof. Klaus Zierer – die neue Folge des Podcasts „Schulschwatz“ von News4teachers.
Das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) hat im Auftrag der Kultusministerkonferenz unlängst mal wieder die Leistungen von Viertklässlerinnen und Viertklässlern gemessen. Ergebnis: Die Ergebnisse haben sich in den vergangenen zehn Jahren drastisch verschlechtert. Der Befund löste in der Bildungswelt eine hitzige Debatte aus – massive Vorwürfe wurden an die deutschen Grundschulen gerichtet (News4teachers berichtete). „An den Hochschulen lernen die Lehramtsstudentinnen und -studenten für Grundschulpädagogik eine Didaktik der Verwahrlosung. Fehler werden nur noch ansatzweise korrigiert und setzen sich daher in den Köpfen der Kinder fest“, so befand beispielsweise der Philologenverband Rheinland-Pfalz.
„Der Philologenverband hat mit seinen Aussagen Munition geliefert, um scharf auf die Grundschulen zu schießen”
„Wie haben Sie die IQB-Studie wahrgenommen“, fragt Andrej Priboschek seine beiden Gesprächspartner, die vor ihrer Zeit als Hochschul-Lehrende, die angehende Lehrkräfte ausbilden, in der Grundschule unterrichtet bzw. eine solche geleitet haben. „Die Ergebnisse der IQB-Studie waren nicht überraschend, sondern haben einen Trend bestätigt, den wir in der empirischen Bildungsforschung schon auf dem Schirm gehabt hatten“, so antwortet Klaus Zierer. Ines Oldenburg zeigt sich über die Emotionalität und Schärfe der nun geführten Debatte verwundert. „Diese Grabenkämpfe und die dadurch entstehende Verhärtung der Fronten bringen uns nicht weiter“, betont sie. „Der Philologenverband hat mit seinen Aussagen Munition geliefert, um scharf auf die Grundschulen zu schießen. Die Verantwortung für die schlechten Leistungen der Schüler*innen wird zwischen den verschiedenen Schulformen hin und her geschoben. Es ist aber festzuhalten, dass alle Schulen vor großen Herausforderungen stehen.“
Oldenburg und Zierer halten die Kritik an den Grundschulen für überzogen. Ines Oldenburg kritisiert, dass dabei mit einem überkommenen Bild gearbeitet wird. Ironisch beschreibt sie dieses so: „An der Grundschule macht jeder, was er will. Eine zumeist weibliche Lehrperson betüddelt dort die Kinder. Dabei kann ja nichts rauskommen.“ Im Bildungssystem müsse aber ein Glied ins andere greifen, so Zierer. Gegenseitige Schuldzuweisungen brächten nichtrs. Die Corona-Pandemie habe alle Kinder und Jugendlichen massiv betroffen und den Abwärtstrend verschärft. Es sei allerdings gefährlich, nur die Pandemie als Argument in den Blick zu nehmen – wie es die Kultusministerkonferenz versucht habe. Dadurch besteht Zierer zufolge die Gefahr, dass die politischen Versäumnisse aus der Zeit vor der Pandemie vertuscht würden.
„Es ist auch schwierig, nur von der einen Grundschuldidaktik oder Grundschulpädagogik zu sprechen. Innerhalb dieser Disziplin gibt es Unterschiede, die man zur Kenntnis nehmen muss“, so Klaus Zierer. Er räumt ein: „Zu diskutieren ist aber, ob jede Reform in der Grundschule in den letzten Jahrzehnten erfolgreich war. Einige Reformen waren es nicht, aber deshalb sollte man nicht die ganze Grundschulpädagogik in Verruf bringen. Eigentlich ist diese Disziplin innovativ und reformfreudig. Vieles, was wir heute als Innovation in den weiterführenden Schulen feststellen, hat es zuerst in der Grundschulpädagogik gegeben.“ Jetzt sei es an der Zeit, sich den Möglichkeiten und Chancen zuzuwenden, aber auch nicht außer Acht zu lassen, dass es an den anderen Schulformen in der Vergangenheit ebenfalls Versäumnisse gegeben hat.
„Wir müssen anerkennen, dass sich die Gesellschaft, die Lernenden und die Zeiten verändern. Das erfordert im Kern, dass wir uns immer ein Stück weit neu erfinden”
„Bei der Einführung der Reformen wäre es wichtig gewesen, den Schulterschluss mit der Bildungsforschung zu suchen, um bekannte Fallstricke zu vermeiden“, erläutert Klaus Zierer. Denn die gebe es durchaus. „An einigen Schulen werden gar keine Fehler mehr angestrichen, weil ein Fehler ein Makel ist, welcher der Persönlichkeit des Kindes schadet“, erklärt er mit Blick auf den Streit um die Rechtschreibung und die Methode Lesen durch Schreiben bzw. Schreiben durch Hören. Zierer rät den Grundschullehrkräften zu Pragmatismus: „Sie sollten einen Fehler nicht schönreden, aber auch nicht als Versagen darstellen. Man sollte einen Fehler eher als Motor des Lernens sehen. Er zeigt auf, was die Schüler*innen schon können und was noch nicht.“ Der Bildungsforscher warnt aber davor, den Blick nur auf die negativen Tendenzen zu richten. Zierer: „Die Rechtschreibkompetenzen der Schüler*innen sind zwar in den letzten Jahren zurückgegangen, aber es gibt auch positive Entwicklungen. So haben der Wortschatz der Schüler*innen und die Kreativität im Schreiben zugenommen.“
Klaus Zierer plädiert für eine wissenschaftsbasierte Reformbereitschaft im deutschen Bildungssystem. „Wir müssen anerkennen, dass sich die Gesellschaft, die Lernenden und die Zeiten verändern. Das erfordert im Kern, dass wir uns immer ein Stück weit neu erfinden, um miteinander ein Schulsystem zeitgemäß zu gestalten und zu reformieren.“ Dabei dürfe man auch nicht die Übergänge zwischen der Grundschule und den weiterführenden Schulen außer Acht lassen.
Verschleiert die aktuelle Debatte wachsende Herausforderungen der Grundschulen – und das Versäumnis der Bildungspolitik, die Grundschulen dafür nicht ausreichend ausgestattet zu haben? „Das Stundendeputat von Grundschullehrkräften ist in der Tat größer als dasjenige von Lehrkräften zum Beispiel an Gymnasien“, sagt Ines Oldenburg. Weiter erklärt sie: „In Niedersachsen wurden die Förderschulen mit einem Federstrich abgeschafft und die Lehrkräfte müssen nun alle Kinder unterrichten. Dafür bekommen sie ein bis zwei Stunden mehr als Stundendeputat zur Verfügung gestellt. Die meisten niedersächsischen Grundschulen haben diese Herausforderungen aber gut angenommen.“
„Wenn ich Bildungsminister wäre, würde ich zwei Stunden Deputat reduzieren und dafür zwei Stunden als Teamstunden fest verankern”
Auch Ines Oldenburg betont, dass bei der Gestaltung des Unterrichts mehr über Evidenzbasierung geredet werden müsse. Denn das Kerngeschäft der Schule sei nun einmal der Unterricht. Externe Evaluationen gäben Anstöße gegeben, über Kriterien für guten Unterricht zu sprechen. Dafür seien keine revolutionären Methoden oder eine überbordende Ausstattung notwendig, so Ines Oldenburg weiter. Sehr wohl aber ein Austausch der Lehrkräfte untereinander. „Die Lehrkräfte sollten mehr Zeit bekommen, um sich fortzubilden und über guten Unterricht auszutauschen“, fordert Ines Oldenburg. „Leider stellt der Arbeitgeber bisher keine Stunden dafür zur Verfügung.“ Generell müssten die Grundschulen besser ausgestattet werden, damit sie den multiplen Lebenslagen der Schüler*innen Rechnung tragen können.
„Wenn ich Bildungsminister wäre, würde ich zwei Stunden Deputat reduzieren und dafür zwei Stunden als Teamstunden fest verankern, um miteinander über Unterricht zu reflektieren und sich auszutauschen“, führt Klaus Zierer aus. Dies würde einen strukturellen Rahmen schaffen, damit sich das Kollegium weiterentwickeln kann.“ Braucht es also mehr Teamspirit – in den Kollegien, aber auch zwischen Hochschulen, Gymnasien, Grundschulen und Kitas? Ja, so lautet Zierers eindeutige Antwort. News4teachers
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