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“Wie in einem schlechten Film”: KMK-Gutachten zum Lehrermangel sorgt bundesweit in Schulen für Empörung

BERLIN. Mehrarbeit für Lehrkräfte, Hybridunterricht und größere Klassen: Die Empfehlungen der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz zur Bekämpfung des Lehrermangels, News4teachers berichtete, sorgen für eine Empörungswelle quer durch alle Bundesländer. Lehrerverbände zeigen sich entsetzt – und prophezeien, dass mit solchen Maßnahmen die Personalnot in den Schulen sogar noch angeheizt werde: Erkrankungen nähmen zu und immer weniger junge Menschen fänden sich bereit, ins Berufsfeld einzusteigen. Eine Auswahl der Reaktionen.

“Ein Affront”: Lehrkräfte bundesweit zeigen sich entsetzt (Symbolfoto) Foto. Shutterstock

VBE Baden-Württemberg: „Mit diesen Maßnahmen wird das Versagen der Politik auf dem Rücken der Lehrkräfte ausgetragen. Allen Lehrerinnen und Lehrern, die seit Monaten und Jahren bis an die Grenzen der Belastbarkeit und darüber hinaus arbeiten, wird jede Hoffnung auf Besserung geraubt. Größere Klassen, mehr und länger unterrichten, an andere Orte abgeordnet werden: So stellt die KMK sich die Lösung des Lehrkräftemangels vor. Dem erteilen wir eine klare Absage! Wenn die Hürden, um in Teilzeit arbeiten zu können, deutlich erhöht werden, zeigt sich die absolute Hilflosigkeit der Institutionen.  Werden Menschen nun zu Vollzeit gezwungen, müssen wir damit rechnen, dass wir aufgrund von Überforderung in eine beispiellose Krankheitswelle steuern werden, die den Zustand nur verschlimmern wird.“

„Es ist geradezu absurd, dass durch Verschlechterungen in den Arbeitsbedingungen erfolgreich für den Lehrerberuf geworben werden soll“

Grundschulverband: „Um den Unterricht aufrechtzuerhalten, dürfen die Grundschulen keineswegs zum Experimentierfeld werden. In dieser Schulart wird ein wichtiger Grundstein für die Bildungslaufbahn der Kinder gelegt. Was hier versäumt wird, lässt sich nicht mehr nachholen. Wir müssen in der Grundschule verhindern, dass hier bereits Bildungsbiografien junger Menschen zum Scheitern verurteilt sein können. (…) Der aktuell ständig steigende Anteil von fehlenden Lehrkräften oder unzureichend ausgebildetem Personal wird die Qualität der Arbeit in den Grundschulen weiter herabsetzen. Sie wird den Empfehlungen der Ständigen wissenschaftlichen Kommission nach der IQB-Bildungsstudie zuwiderlaufen und die Bildungschancen einer ganzen Generation deutlich beeinträchtigen.“

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Thüringer Philologenverband: „Eine Erhöhung der Pflichtstundenzahl und der Klassengrößen steigert die Arbeitsbelastung weiter. Das Herauszögern des Eintritts in den Ruhestand sowie die Abschaffung von Altersabminderungen führt zu einer weiteren Belastung der Lehrergeneration, die in Thüringen nach der Wende mit viel Herzblut die Schullandschaft aufgebaut hat; die kompensiert hat, dass 20 Jahre lang kaum Einstellungen vorgenommen worden sind und nun die Schule am Laufen hält, weil die jüngeren Kolleginnen und Kollegen Kinder bekommen und aus familiären Gründen in Teilzeit arbeiten. Die von der wissenschaftlichen Kommission der KMK vorgeschlagenen oben genannten Maßnahmen können nur zu einer Erhöhung der Zahl der Erkrankungen führen.“

Verband Reale Bildung Saarland: „Eine Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung zeugt nicht von einem verantwortungsbewussten Umgang mit den Lehrkräften und wird sich nicht positiv auf die Attraktivität des Lehrerberufs auswirken. Machbare Konzepte zur Arbeitszeiterfassung fehlen und sollten sehr schnell durch die verantwortlichen Stellen auf den Weg gebracht werden. Bürokratische Entlastung muss schnellstens im Schulalltag durch Verwaltungsfachangestellte, IT-Manager, pädagogische Fachkräfte, Gesundheitspfleger, Therapeuten und Dolmetscher Einzug halten. Ein duales Lehramtsstudium könnte den Studierenden frühzeitig die Praxis näherbringen und Wechseltendenzen reduzieren. Attraktive Arbeitszeitmodelle für Lehrkräfte können gesundheitliche Probleme reduzieren und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie begünstigen.“

GEW Nordrhein-Westfalen: „Leider verfehlen die Empfehlungen eine langfristige und nachhaltige Lösung des Lehrkräftemangels. Stattdessen werden hier Maßnahmen in den Fokus gerückt, die die Arbeitsbedingungen und die Attraktivität des Lehrberufs dauerhaft verschlechtern. So wird es noch schwieriger, die Lehrkräfte im System zu halten und junge Menschen für den Beruf zu begeistern. Gute Arbeitsbedingungen sind der Schlüssel, um langfristig Menschen an die Schule zu binden. Wieso werden nicht die Bedingungen im Studium und Referendariat in den Blick genommen? In dieser Zeit brechen viele junge und engagierte Menschen ab, die dauerhaft dem System Schule wegfallen. Wir brauchen bessere Betreuungsrelationen an den Hochschulen sowie Supervisions- und Mentoringangebote während des Berufseinstiegs. Hier kann mit unkomplizierten Maßnahmen dauerhaft an der Problematik gearbeitet werden.“

VBE Schleswig-Holstein: „Es ist geradezu absurd, dass durch Verschlechterungen in den Arbeitsbedingungen erfolgreich für den Lehrerberuf geworben werden soll. Für den VBE ist es ein bildungspolitischer Offenbarungseid: Einfallslos und ungeachtet der extrem hohen Belastung der Lehrerschaft durch Corona, Krankheitswellen und eben den Lehrermangel wird Mehrarbeit durch Vorgriffsstunden und Einschränkung der Teilzeitmöglichkeiten empfohlen, ohne Entlastungen durch bessere Arbeitsbedingungen mitzudenken. Auf dem Rücken der gleichen Lehrkräfte, die unsere Schulen systemrelevant gehalten haben, soll nun das System gerettet werden, indem diejenigen, die ausgelaugt sind, mehr arbeiten sollen. Eine schlechte Werbung für den Lehrerberuf und das bewusste Inkaufnehmen vom Absinken der Unterrichtsqualität!“

Sächsischer Lehrerverband: „Die Empfehlungen sind ein Affront gegen die sächsischen Lehrkräfte, die mittlerweile seit Jahren an der Belastungsgrenze und darüber hinaus arbeiten. Ablehnung von Teilzeitarbeit, Anhebung der Unterrichtsverpflichtung, Einsatz von Senior-Lehrkräften im Unterricht, vermehrte Abordnungen an andere Schularten, Heraufsetzen von Klassenobergrenzen – das sind Maßnahmen ganz im Sinne des sächsischen Kultusministeriums. Aber die SWK-Empfehlungen dürfen keineswegs zum Freifahrtschein für ihre Umsetzung werden.“

„Wenn Eltern im Lehrberuf ihr Stundenmaß nicht mehr der Machbarkeit anpassen können, ist eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht mehr gewährleistet“

Verband Niedersächsischer Lehrkräfte: „Die Empfehlungen lesen sich wie das Drehbuch eines schlechten Filmes. (…) Die Empfehlung, ‚Beschäftigungsreserven‘ bei qualifizierten Lehrkräften zu erschließen, bedeutet einzig und allein eine nicht hinnehmbare Überbelastung der bereits am oder über dem Limit arbeitenden Lehrkräfte. Diese Lehrkräfte verzichten aus wichtigen Gründen auf einen erheblichen Teil ihrer Besoldung. Ältere Lehrkräfte haben ihre Unterrichtsverpflichtung aus Alters- und Gesundheitsgründen, jüngere dagegen aus familiären Gründen reduziert. Wenn Eltern im Lehrberuf ihr Stundenmaß nicht mehr der Machbarkeit anpassen können, ist eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht mehr gewährleistet. Die Folgen wären kontraproduktiv: Der Lehrkräftemangel wird sich weiter verstärken. Nicht nachvollziehbar, auch als Ultima Ratio nicht, ist eine befristete Erhöhung der maximalen Klassenfrequenz in der Sekundarstufe I. Gerne darf das Konsortium einen Monat Lehrerdasein an einer Sek-I-Schule ausprobieren, um in der Schulrealität anzukommen.“ News4teachers

Das KMK-Gutachten zum Lehrermangel zeigt: Der Staat versagt – es wird Zeit, die Gesellschaft mit an Bord zu holen

 

 

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