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Im Vorfeld der KMK: Bündnis (samt GEW) fordert eine neue Oberstufe – freier, flexibler, projektorientierter

BERLIN. Die Kultusministerkonferenz tagt heute und morgen. Ein wichtiger Tagesordnungspunkt: eine neue Oberstufenvereinbarung, die eine bessere Vergleichbarkeit beim Abitur in Deutschland bringen soll. Ein großer Wurf ist dabei nicht zu erwarten. Ein Bündnis von Bildungsinitiativen, Schülervertretungen und der GEW fordert allerdings die Kultusminister in einer gemeinsamen Erklärung auf, Weichen für eine zukunftsfähige Hochschulreife zu stellen. Die soll den Anforderungen einer digitalen Wirtschaft entsprechen – mit fächerübergreifendem Projektunterricht, individuellen Lernzeiten und neuen Prüfungsformaten.

Weniger pauken, mehr selbstbestimmt Lernen: So soll die neue Oberstufe aussehen (Symbolfoto). Foto: Shutterstock

„Wir Schulpraktiker*innen und Expert*innen aus Initiativen und Verbänden sind besorgt, dass vorhandene Gestaltungsräume der Schulen und vielfältige Reformansätze eingeschränkt werden“, so heißt es in einer gemeinsamen Erklärung, die Bildungsinitiativen wie die Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule, mehrere Landesschülervertretungen sowie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) im Vorfeld der für heute und morgen anberaumten KMK-Sitzung herausgegeben haben.

Darin heißt es: „Wir erwarten von der KMK, neben der Vergleichbarkeit und Rechtssicherheit auch den digitalen Wandel, die veränderten Anforderungen der Arbeitswelt und die zunehmende Heterogenität der Schülerschaft in der Neufassung der Regelungen zu berücksichtigen. Wir plädieren für eine Oberstufe, in der fachlich und interdisziplinär, individuell und im Team, projektorientiert und inhaltlich vertieft, digital und analog, handlungsorientiert und theoriebezogen auf hohem Niveau gelernt und gearbeitet werden kann. Dazu bedarf es entsprechender Lern- und Prüfungsformate in einer flexibilisierten Oberstufe, die individuelle Lernzeiten und Bildungswege ermöglicht. Internationale Beispiele zeigen die Realisierbarkeit.“

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„Alle Jugendlichen müssen lernen, im Team zu arbeiten und ihr Lernen selbstständig zu verantworten”

Warum sich aus Sicht der Unterzeichner die gymnasiale Oberstufe verändern muss: „Die Dynamik des sozialen, kulturellen, ökologischen, politischen und wirtschaftlichen Wandels fordert von allen Jugendlichen und jungen Erwachsenen Fähigkeiten, die über den Erwerb anspruchsvoller fachlicher Kompetenzen hinausgehen. Zunehmend gewinnen strategische, soziale, personale und kommunikative Kompetenzen an Bedeutung. Auch überfachliche Sichtweisen und Werteorientierung sind gefragt. Schule soll die Bereitschaft und Fähigkeit vermitteln, die Chancen und Herausforderungen unserer Zeit mutig, innovativ und kreativ zu gestalten und sich aktiv für die Gestaltung unserer demokratischen Gesellschaft einzusetzen.“

Heißt konkret: „Alle Jugendlichen müssen lernen, im Team zu arbeiten und ihr Lernen selbstständig zu verantworten. Kreatives und vernetztes Denken, ebenso wie komplexe Problemlösefähigkeiten gehören zu den notwendigen und geforderten Kompetenzen. Das gilt in besonderem Maße für diejenigen, die die allgemeine Hochschulreife erwerben. Viele Grundschulen und Schulen in der Sekundarstufe I verändern seit Jahren ihre pädagogische Arbeit in diesem Sinne, in der gymnasialen Oberstufe hingegen verhindern einengende formale Regelungen pädagogische und curricular angemessene Antworten auf die veränderten gesellschaftlichen Anforderungen und die zunehmende Diversität.“

Um der zunehmenden Heterogenität durch vielfältige Herkunftsgeschichten, sehr unterschiedliche Lernvoraussetzungen, Begabungen und Interessen gerecht zu werden, bedürfe es einer Flexibilisierung von Raum-, Zeit- und Lerngruppenstrukturen. Heterogenität als Chance zu sehen und zu nutzen, führe zu mehr Bildungsgerechtigkeit. Die Digitalisierung verändere das Lernen in einem Maße, wie es noch gar nicht vollständig zu überblicken sei. „Schüler*innen müssen dabei unterstützt werden, sich in der riesigen Menge an zur Verfügung stehenden Informationen zu orientieren. Lernen wird insgesamt vernetzter, die Formen informeller, die Kommunikation schneller und Feedback gewinnt erheblich an Bedeutung.“

Das bisherige Modell einer Oberstufe basiert auf gemeinsamem Unterricht nach Fächern und Lerngruppen getrennt für alle Mitglieder zur gleichen Zeit und am gleichen Ort. Die Leistungsmessung in der Oberstufe und vor allem im Abitur wird dominiert von Klausuren in den jeweiligen Fächern, die die Schülerinnen und Schüler einzeln und in Präsenz in der Regel mit der Hand schreiben müssen.

„Eine neu zu gestaltende Oberstufe traut den Lernenden die Verantwortungsübernahme für ihren eigenen Lernprozess zu”

Dem stellen die Initiatoren ihre Vision entgegen: „Wir brauchen eine Lernarchitektur, die das Lernen allein, zu zweit, im Team, in kleinen oder großen Gruppen ermöglicht, in unterschiedlichem Lerntempo, auch zu variablen Zeiten. Die Arbeitsweise ist sowohl wissenschaftspropädeutisch als auch orientiert an der Lebenswelt. Die Themen können aus der Perspektive unterschiedlicher Fächer bearbeitet werden, sind interdisziplinär vernetzt und erfordern forschendes, vertieftes und projektorientiertes Lernen. Interdisziplinarität ist bei der Umsetzung der Agenda 2030 für qualitativ hochwertige Bildung eine Voraussetzung. Damit erst lässt sich das weltweit zukunftsorientierte Bildungskonzept ‚Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)‘ systemisch in Unterricht und Schulkultur verankern und qualitativ weiterentwickeln.“

Handlungsorientierung und projektorientiertes Lernen förderten auch die Erfahrung von Selbstwirksamkeit. „Ohne Selbstlernkompetenzen wird das digitale Zeitalter nicht zu bewältigen sein. Eine neu zu gestaltende Oberstufe traut den Lernenden die Verantwortungsübernahme für ihren eigenen Lernprozess zu, ermöglicht ihnen die Arbeit an eigenen Fragestellungen und unterstützt sie dabei je nach Bedarf individuell. Anspruchsvolle und herausfordernde Aufgaben, die Verbindung von Theorie und Praxis, die Arbeit mit digitalen Medien, selbstverantwortete Lernexpeditionen und die Arbeit an außerschulischen, gesellschaftlich relevanten Projekten bereiten die Schüler*innen darauf vor, Verantwortung in der Gesellschaft und der Arbeitswelt zu übernehmen; sie unterstützen Persönlichkeitsentwicklung und Interessenorientierung.“

Das erfordere auch eine Weiterentwicklung der Prüfungsformate. „Um die oben genannte Lernkultur auch in den Prüfungen abzubilden, müssen Leistungen in ganz unterschiedlichen Formaten erbracht werden können, z. B. als E–Portfolios, Forschungsberichte, praktische Produkte, die durch eine Reflexion der Erarbeitung begleitet werden, Kolloquien, Multimediapräsentationen etc. Sie können fachbezogen oder überfachlich, allein oder kollaborativ erarbeitet und präsentiert werden.“ Um den Jugendlichen Zeit zu geben, sich vertieft mit anspruchsvollen Themen auseinanderzusetzen und dabei individuelle Schwerpunkte zu setzen, plädieren die Autorinnen und Autoren für eine verringerte und zeitlich flexiblere Belegverpflichtung und schlankere curriculare Vorgaben.“

„Wir halten Modularisierung in der gymnasialen Oberstufe für einen wirksamen Weg, um mehr Bildungsgerechtigkeit zu ermöglichen”

Und für Individuellere Bildungswege. „Der Weg zum Abitur wird der Heterogenität der Schülerschaft nicht gerecht und lässt in der bisherigen Form kaum Möglichkeiten für individuelle Bildungswege: Bisher müssen fast alle Jugendlichen in der gleichen Zeit ihre Kurse belegen und zeitgleich die schriftlichen Abiturprüfungen bewältigen und können nur Kurse aus zwei Jahren Qualifikationsphase anrechnen lassen. Notwendig wären:

Kurz: „Wir halten Öffnungen für ein ‚Abitur im eigenen Takt‘ durch Modularisierung in der gymnasialen Oberstufe für einen wirksamen Weg, um mehr Bildungsgerechtigkeit zu ermöglichen. Bisher gelten solche Regelungen als von der KMK genehmigte Ausnahme in Deutschland nur an der Eliteschule des Sports in Potsdam zur Vereinbarkeit von schulischen und sportlichen Erfolgen – wir wünschen dies für alle Wege zum Abitur in Deutschland.“ News4teachers

Hier geht es zu der vollständigen Erklärung.

Die Erklärung

Die Erstunterzeichnenden der “Potsdamer Erklärung für ein zukunftsfähiges Abitur – Ein notwendiger Beitrag zur Bewältigung der Bildungskrise in Deutschland” sind:

  • Initiative Flexible Oberstufe: Friedemann Stöffler Vorsitzender, Inge Gembach-Röntgen, Vorstand, Anja Lehmann Schulleiterin
  • GGG Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule – Verband für Schulen des gemeinsamen Lernens e.V.: Dieter Zielinski Vorsitzender, Andreas Skouras
  • Schulverbund Blick über den Zaun: Cornelia von Ilsemann + Andreas Niessen, Sprecherteam
  • GEW Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft: Maike Finnern, Vorsitzende; Anja Bensinger-Stolze, Vorstandsmitglied GEW Bereich Schule
  • Initiative Neue Oberstufe: Uli Marienfeld, Schulleiter; Barbara Stockmeier
  • Dalton Vereinigung Deutschland e.V.: Martin Wüller, Präsident
  • Institut für zeitgemäße Prüfungskultur: Patricia Drewes, David Tepaße
  • Schule im Aufbruch: Björn Lefers, Claudia Schanz
  • Kreidestaub: Sonja Zielke
  • Landesschülerausschuss Berlin: Aimo Görne, Vorsitzender
  • Landesschülerbeirat Baden-Württemberg: Berat Gürbüz, Vorsitzender
  • Landesschülervertretung Hessen: Pia Rosenberg, Landesschulsprecherin
  • Landesschüler*innenrat Niedersachsen: Malte Kern, Vorsitzender; Louisa Charlotte Basner, stv. Vorsitzende
  • Landesschüler*innenvertretung Nordrhein-Westfalen: Der Landesvorstand

Gemeinsame Standards: KMK plant offenbar weniger Leistungskurse beim Abitur

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