KÖLN. Der Verbund German U15, der 15 deutsche Universitäten zusammenfasst, hat sich mit einem umfassenden Positionspapier an die Öffentlichkeit gewandt, in dem vor den dramatischen Folgen des Lehrermangels gewarnt wird. Die Verbundsmitglieder bilden rund ein Drittel aller Lehramtsstudentinnen und -studenten in Deutschland aus.
Der Lehrermangel ist mittlerweile allerorten spürbar und betrachtet man die jüngsten Verlautbarungen etwa von KMK oder Philologenverband, in aller Munde. Nach KMK-Schätzungen werden in den nächsten zehn Jahren bundesweit mindestens 30.000 Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen fehlen. Auch das Interesse am Lehramtsstudium an den Hochschulen ist mit 13,7 Prozent weniger Studienanfängerinnen und -anfängern im Studienjahr 2021/22 gegenüber dem Vorjahr gesunken. Überlegungen in den Bundesländern, Teilzeitmöglichkeiten von Lehrkräften einzuschränken, scheinen kaum geeignet, die Attraktivität des Berufs wieder zu erhöhen.
Nun hat sich auch der Universitätsverbund German U15 zu Wort gemeldet. Der Bildungsnotstand habe bereits jetzt gravierende soziale, wirtschaftliche, politische und wissenschaftliche Folgen und gefährde dauerhaft die Zukunftsfähigkeit Deutschlands, heißt es in einem aktuellen Positionspapier. Darin schlägt der Verbund Maßnahmen vor, die die Qualität und Professionalität des Lehramtsstudiums und den Lehrerin- und Lehrerberuf stärken sollen.
Vom Lehrermangel und seinen Folgen für die Bildung seien auch die Hochschulen betroffen, die auf hervorragend ausgebildete Schülerinnen und Schüler angewiesen seien. Zudem trügen sie mit dem Lehramtsstudium die Verantwortung für eine qualitätsgesicherte Bildung und Professionalisierung angehender Lehrkräfte und sicherten damit die Qualität schulischer Bildung sowie die Attraktivität des Lehrberufs. An den Universitäten des Verbunds studieren rund ein Drittel aller angehenden Lehrkräfte in Deutschland.
Das heute verabschiedete Positionspapier enthält Vorschläge, die sich an die Politik in Bund und Ländern, aber auch an die Hochschulen selbst richten. Es unterscheidet Ad-hoc-Maßnahmen zur Krisenbewältigung von längerfristigen grundsätzlichen Maßnahmen, die auf eine grundlegende Reform der Lehrerinnen- und Lehrer gerichtet sind.
Die geforderten Maßnahmen im Überblick:
I. Ad-hoc-Maßnahmen zur Krisenbewältigung
- Allen künftigen Lehrerinnen und Lehrern soll ein qualitätsgesicherter Bildungsweg ermöglicht werden. Es gebe mittlerweile viele Wege ins Lehramt. Unverzichtbar sei, dass alle rechtlich klar abgesteckt und vor allem qualitätsgesichert erfolgen. Universitäten könnten dafür praxiserprobte Formate in Aus-, Fort- und Weiterbildung anbieten und so die Qualitätssicherung von Quer- und Seiteneinsteigern gewährleisten. Dafür bräuchten sie entsprechenden Ressourcen.
- Universitäres Know-how soll besser genutzt werden, um fachfremde Lehrkräfte durch spezifische Qualifizierungs- und Fortbildungsangebote zu professionalisieren. Wenn Lehrkräfte für fachfremden Unterricht in der Krise eingesetzt würden, müssten sie dafür qualifiziert oder fortgebildet werden. Universitäten hätten dafür passgenaue, hochwertige Formate. Dieses Know-how von Universitäten müsse im Fort- und Weiterbildungsbereich deutlich stärker als aktuell ausgeschöpft werden.
- Wenn Lehramtsstudierende als Lehrkräfte eingesetzt werden, müsse dies zeitlich begrenzt geschehen und vor allem professionell begleitet werden. Praxiserfahrungen seien wertvoll, doch zugleich könne die Qualität der Lehrerinnen- und Lehrerbildung unter einer zu frühen Berufstätigkeit von Studierenden leiden. Ebenso könne sich die Dauer des Studiums verlängern. Eine klare zeitliche Regulierung und eine professionalisierende Begleitung seien daher unverzichtbar.
- Die Attraktivität des Lehramtsstudiums müsse durch positive Schulerfahrungen gesteigert werden. Nur wenn es gelänge, attraktive Rahmenbedingungen für den Lehrberuf zu schaffen, hätten die Universitäten eine realistische Möglichkeit, genug Studieninteressierte für ein Lehramtsstudium zu gewinnen. Die Entlastung von Lehrerinnen und Lehrer, unter anderem durch die Etablierung multiprofessioneller Teams, aber auch die Förderung neuer Karrierewege durch flexible rechtliche Vorgaben aus der Politik können dazu beitragen, dass das Interesse am Lehramtsstudium wieder steigt.
- Einrichtungen der Lehrerinnen- und Lehrerbildung seien als Centers of Excellence zu stärken und zu vernetzen, um Lösungen für die akuten und grundsätzlichen Herausforderungen zu entwickeln. Die Universitäten in Deutschland hätten unterschiedliche Strukturen und Schwerpunktsetzungen in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung herausgebildet. Die aktuelle Debatte verdeutliche, dass Bund, Länder und die Universitäten jetzt gemeinsam handeln müssten, um die Zukunftsfähigkeit der Lehrerinnen- und Lehrerbildung zu garantieren. Hierfür sollte mit Unterstützung und Einbindung der Politik ein länderübergreifendes Austauschnetzwerk der Einrichtungen etabliert werden, das einen kontinuierlichen Erfahrungsaustausch ermögliche und den Wissenstransfer beschleunige.
II. Grundsätzliche Maßnahmen für die Zukunftsfähigkeit der Lehrkräftebildung
- Die „Qualitätsoffensive Lehrerinnen- und Lehrerbildung“ (QLB) solle fortgesetzt werden, um die Innovationsfähigkeit der Lehrkräftebildung zu sichern. Der Verbund begrüße nachdrücklich die Vereinbarung im Koalitionsvertrag der Bundesregierung, die Offensive auch über 2023 hinaus fortzuschreiben. Förderbedarfe und Förderlogiken sollten gemeinsam mit den Universitäten erarbeitet werden, damit ein neues Programm den notwendigen Beitrag zur Bewältigung der Bildungskrise leisten könne. Die QLB sei eine Erfolgsgeschichte: Sie hätte die Stellung der Lehrkräftebildung in der Universität deutlich erhöht und sich als Instrument bewährt, um Innovationen aus der Universität in die Schule zu bringen.
- Polyvalenz und Wissenschaftsbasierung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung seien zu sichern. Universitäten bildeten angehende Lehrerinnen und Lehrer nicht aus, sie bildeten sie. Das Lehramtsstudium sei in diesem Sinne ein wissenschaftliches Studium. Lehrerinnen- und Lehrerbildung sei forschungsorientiert und stärke neue Formen des Umgangs mit Wissen und Erkenntnis. Ihr Ziel sei es, angehende Lehrerinnen und Lehrer zu befähigen, fachliches Wissen und Können nicht nur einmalig zu erwerben, sondern fortlaufend selbstständig aktualisieren und weiter entwickeln zu können. Die Polyvalenz des Lehramtsstudiums sei entscheidend, um die Durchlässigkeit zwischen Fach- und Lehramtsstudium zu sichern. Sie ermögliche die Einbettung wissenschaftlicher Methoden und Fragestellungen in den Fachunterricht und biete künftigen Lehrerinnen und Lehrern Perspektiven der fachlichen Weiterentwicklung.
- Universitäten müssten viel stärker zu Orten der Weiterbildung werden. Dafür müsse der Wissenstransfer zwischen Universitäten und Schulen schneller und besser werden. Universitäten und Schulen müssten für alle Phasen der Lehrkräftebildung gemeinsame Ansätze und Modelle entwickeln, die den gegenseitigen Wissenstransfer fördern. Das Potenzial von Universitäten durch ein wissenschaftlich basiertes, attraktives Fort- und Weiterbildungsangebot, einen stärkeren Beitrag zum „lebenslangen Lernen“ von Lehrerinnen und Lehrer zu leisten, müsse stärker und systematisch genutzt werden. Die Länder müssten die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass der Besuch solcher Angebote für Lehrerinnen und Lehrer attraktiv sei und in den Universitäten ein solcher Beitrag nachhaltig abbildbar sei.
- Die internationale Mobilität im Lehramt sei weiter zu fördern. Die Internationalisierung in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung müsse weiter gezielt gefördert werden, damit sie zu einer stärkeren Vernetzung und einem gegenseitigen Forschungsaustausch beitrügen. Universitäten könnten dank ihrer Expertise und ihrer globalen Netzwerke sowohl den internationalen Wissensaustausch als auch die Mobilität der Lehramtsstudierenden voranbringen. Die Politik sei gefordert, Lehramtsstudierenden durch die Anpassung rechtlicher Rahmen- und Förderbedingungen ein Auslandsstudium oder ein Schulpraktikum im Ausland ohne offene Anerkennungsfragen zu ermöglichen. News4teachers
Das Positionspapier steht auf den Seiten der Universität zu Köln zum Download zur Verfügung.