BERLIN. Aus Reihen der GEW wird Kritik am EU-Asylkompromiss laut, der unter anderem vorsieht, dass in Zukunft Asylverfahren direkt an den EU-Außengrenzen durchgeführt werden können. Es drohe eine Aushebelung des Grundrechts auf Asyl. Zudem würden sich die bereits menschenunwürdigen Zustände an den EU-Außengrenzen verschärfen, so heißt es.
„Pro Asyl sieht in dem erzielten Kompromiss einen ‚Ausverkauf der Menschenrechte‘. Dieser Bewertung schließen wir uns an. Als Bildungsgewerkschaft halten wir es für besonders problematisch, dass in Zukunft sogar Familien mit Kindern für bis zu 16 Wochen in Grenzverfahren gezwungen werden“, erklärt Thilo Hartmann, Vorsitzender der GEW Hessen.
Der Gewerkschafter stellt eine Verletzung der besonders schützenswerten Kinderrechte fest: „Das Recht auf Bildung, das alle Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren nach der UN-Kinderrechtskonvention genießen, lässt sich in Grenzverfahren nicht mal ansatzweise verwirklichen.“ Die GEW Hessen setze sich daher im weiteren politischen Prozess, der im Frühjahr 2024 abgeschlossen werden soll, für deutliche Verbesserungen ein.
„Die vermehrte Flucht von Menschen vor Krieg und Gewalt stellt auch die Kitas, Schulen und Hochschulen vor Herausforderungen“
Die stellvertretende Vorsitzende der GEW Hessen, Simone Claar, mahnt allerdings an, dass die Kommunen und die Bildungseinrichtungen dauerhaft mehr Unterstützung durch das Land und den Bund benötigen: „Die vermehrte Flucht von Menschen vor Krieg und Gewalt stellt auch die Kitas, Schulen und Hochschulen vor Herausforderungen. Diese sind an sich nicht neu, denn Migration ist in Deutschland seit Jahrzehnten eine gesellschaftliche Realität. Konzepte zum Umgang mit Diversität und Mehrsprachigkeit als pädagogischer Ressource wurden längst entwickelt und haben sich vielfach bewährt. Das Problem ist nicht die Migration, sondern das politisch motivierte kaputtgesparte Bildungssystem und der politisch verschuldete Fachkräftemangel.“
Erforderlich sei eine substantielle und dauerhafte Aufstockung der Mittel für alle Bildungsbereiche sowie eine bundesweit abgestimmte Strategie gegen den Mangel in den verschiedenen pädagogischen Berufen.
Die EU-Staaten hatten vergangene Woche in Luxemburg mit Mehrheit für eine weitreichende Reform des EU-Asylsystems gestimmt. Die mit Unterstützung der Bundesregierung vereinbarten Pläne sehen zahlreiche Ergänzungen und Verschärfungen vor, um illegale Migration zu begrenzen. Vorgesehen ist insbesondere ein deutlich härterer Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive. So sollen ankommende Menschen aus als sicher geltenden Ländern künftig nach dem Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen. Dort würde dann im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob der Antragsteller Chancen auf Asyl hat. Wenn nicht, soll er umgehend zurückgeschickt werden.
Denkbar ist aber, dass das EU-Parlament noch Änderungen durchsetzt. Es hat bei der Reform ein Mitspracherecht und wird in den kommenden Monaten mit Vertretern der EU-Staaten über das Projekt verhandeln.
„Durch den EU-Asylkompromiss werden sich nicht weniger Menschen auf den Weg nach Europa machen“
Sie habe sich für den Kompromiss entschieden, „weil ein Nichthandeln keine Alternative ist“, sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) – sprach aber von einer ihrer schwersten Entscheidungen . „Deutschland kann sich bei einem solchen Thema nicht enthalten“, betonte Baerbock. „Das hätte dazu geführt, dass Staaten wie Ungarn und Polen den Standard gesetzt hätten.“ Ohne den Kompromiss „hätte es wieder nationale Binnengrenzen gegeben“, sagte die Grünen-Politikerin. „Dann wäre die Konsequenz gewesen, dass jeder Staat gesagt hätte: Ich mache, was ich will.“
Auch aus den Reihen der Grünen gibt es Kritik an der geplanten Verschärfung des EU-Asylrechts – etwa von Niedersachsens Kultusministerin Julia Willie Hamburg. „Durch den EU-Asylkompromiss werden sich nicht weniger Menschen auf den Weg nach Europa machen“, sagte die Grünen-Politikerin (News4teachers berichtete). „Abschottungspolitik kann nicht die Probleme unserer Zeit lösen. Abschottung und Abschreckung mindern nicht das Leid für die Betroffenen.“ News4teachers / mit Material der dpa