ESSEN. Rund 35.000 Lehrerinnen und Lehrer müssen jährlich eingestellt werden, um den Bedarf der Schulen in Deutschland zu decken. Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft fragt: Warum reichen angeblich über 50.000 Studienanfängerinnen und Studienanfänger im Lehramt eigentlich nicht aus, um diesen Bedarf zu decken? Die Erklärung ist so schlicht wie erschreckend: Nur etwas mehr als die Hälfte derjenigen, die ein Studium begonnen haben, werden am Ende der Ausbildung auch als Lehrerin oder Lehrer tätig sein.
Neue Lehrkräfte anwerben, sie professionell ausbilden und für den Schuldienst gewinnen – mit diesen Herausforderungen sehen sich die Länder angesichts des Lehrkräftemangels konfrontiert. Und sind damit offensichtlich zunehmend überfordert. Nach Jahren des Anstiegs sank die Zahl der Studienanfängerinnen und Studienanfänger im Jahr 2023 erstmals. Die Folge: “Selbst bei einer hundertprozentigen Erfolgsquote in der Ausbildung und Übergangsquote in den Beruf kann der derzeit prognostizierte Bedarf an Lehrkräften in einigen Unterrichtsfächern auch in den kommenden zehn Jahren nicht gedeckt werden”, so stellt der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft nun in einer Analyse fest.
Zumal die offiziellen Zahlen der Studienanfängerinnen und Studienanfänger die tatsächliche Situation beschönigen. Im Schnitt der Studienjahre 2017 bis 2021 nahmen rund 52.500 Studierende pro Jahr – etwa 7 Prozent aller Studienanfängerinnen- und anfänger – ein Lehramtsstudium auf. Eine Analyse der Wechselquoten innerhalb dieser Gruppe, die der Stifterverband nun vorgelegt hat, zeigt allerdings, dass mit deutlich weniger potenziellen Lehrkräften gerechnet werden muss. “Denn 4.800 dieser Studienanfängerinnen und Studienanfänger wechseln jährlich innerhalb des Lehramtsstudiums (zum Beispiel vom Lehramt Gymnasium zu Grundschule); werden statistisch also doppelt erfasst.”
“Besonders im MINT-Bereich steht das Lehramt in Konkurrenz zu fachwissenschaftlichen Studiengängen, die attraktive Einstellungsmöglichkeiten in der Wirtschaft eröffnen”
Noch gravierender: Die Zahl der Studierenden im Lehramt dünnt sehr schnell aus. Kaum angefangen, entscheidet sich etwa ein Drittel der Lehramtsstudierenden in den ersten Semestern schon wieder gegen das Lehramt. Der Stifterverband hat die Studierendenzahl im Verlauf der Ausbildung (Studium, Referendariat) erhoben. Ergebnis: Von den mehr als 50.000 Studienanfängerinnen und Studienanfängern schließen lediglich 30.300 ihr Lehramtsstudium ab, nur 28.300 beenden auch das Referendariat. Auch im weiteren Verlauf des Studiums kann der Weggang von Studierenden nicht durch Studiengangswechsel ausgeglichen werden.
Besonders akut sei der Lehrkräftemangel in den MINT-Bereichen. “Besonders im MINT-Bereich steht das Lehramt in Konkurrenz zu fachwissenschaftlichen Studiengängen, die attraktive Einstellungsmöglichkeiten in der Wirtschaft eröffnen. Der hohe Schwund an Studierenden im Lehramt spiegelt dabei in etwa den Schwund in den fachwissenschaftlichen Studiengängen wider, kann aber – im Gegensatz zu den Fachwissenschaften – im Verlauf des Studiums kaum durch Wechsler kompensiert werden. Zum Beispiel macht die Voraussetzung, zwei Fächer zu studieren, einen Wechsel aus einem Nicht-Lehramtsstudium in ein höheres Semester im Lehramt schwierig. Ein Ein-Fach-Lehramtstudium könnte hier Abhilfe schaffen”, so heißt es in dem Papier.
Kann diese Versorgungslücke nicht geschlossen werden, droht laut Stifterverband ein Bildungsnotstand, der schwerwiegende Folgen für die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und den gesellschaftlichen Wohlstand hierzulande hat. “Wir müssen perspektivisch mehr Lehrkräfte gewinnen, diese professionell ausbilden und sie durch alle Phasen der Lehramtslaufbahn begleiten und weiterbilden, um sie auf die komplexen Anforderungen in Schulen bestmöglich vorzubereiten”, so heißt es.
Um die Ursachen des Lehrkräftemangels ergründen und bewältigen zu können, müssten zunächst verlässliche Aussagen über den Status quo in der Lehrkräfteausbildung getroffen werden: Wer studiert aus welchen Gründen (nicht) auf Lehramt und wer entscheidet sich aus welchen Gründen (nicht), die Lehramtslaufbahn fortzuführen und in den Schuldienst einzutreten? Bei der Beantwortung dieser Fragen sei eine große Forschungs- und Datenlücke zu konstatieren. “Es liegen weder ausreichend Daten vor, um kohortenspezifische Verläufe nachzeichnen noch um einen Überblick über die Beweggründe für oder gegen das Aufnehmen/Fortführen eines Lehramtsstudiums erhalten zu können”, so heißt es.
Hier müsse gegengesteuert werden. “Denn nur auf Basis belastbarer Befunde können bildungspolitische Maßnahmen ergriffen werden, die letztendlich einen Bildungsnotstand verhindern.” News4teachers
Hier geht es zu der Analyse des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft.