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Inklusion – gescheitert? “Zu wenige Lehrer, zu wenige Räume, zu wenige Schulbegleiter, viel Gegenwind”: Eine Mutter berichtet

BERLIN. In der kommenden Woche muss die Bundesregierung ihre Inklusionspolitik vor den Vereinten Nationen rechtfertigen. Ein dafür erstelltes Gutachten des Deutschen Instituts für Menschenrechte kommt zu verheerenden Ergebnissen – insbesondere im Bereich Bildung hinke Deutschland weit hinter den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention hinterher (News4teachers berichtete). Was das konkret bedeutet, erzählt im Folgenden eine Mutter eines Kindes mit Behinderung. Sie spricht entnervt von “Nixklusion”.

“Es ist schlimm, welche Kraftanstrengungen und finanziellen Aufwendungen wir auf uns nehmen müssen, um das Recht unseres Kindes auf Bildung durchzusetzen.” Illustration: Shutterstock

Ich habe mal aus der Perspektive einer Mutter aufgeschrieben, was Deutschland so tut, um Inklusion zu verhindern. Unser Sohn ist ein besonderes Kind. Hier ist unsere Geschichte:

Suche nach einem Kindergarten: Sehr schwierig. Der in der Nähe kann nicht genommen werden, da man keine besonderen Kinder möchte und auch keine Erfahrung damit hat. Ausserdem sind die Gruppen zu groß. Nach Rücksprache bei der Stadt auf eigene Faust auf die Suche gemacht.

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Schwierig! Ein Kindergarten in der Nähe bietet uns einen Platz an, allerdings müsse das Kind dann täglich bis 16 Uhr bleiben. (Die „gesunden“ Kinder dürfen mittags abgeholt werden.) Auf die Frage nach einer Begründung heißt es: Die Sonderschule, auf die er ja dann gehen wird, wird auch bis 16 Uhr sein. Welche Sonderschule?

“Die besonderen Kinder durften nicht im Klassenraum bei den anderen sein, sie wurden separiert”

Endlich einen Regelkindergarten gefunden, der das Kind mit Einzelintegrativplatz
annimmt. Tägliche Fahrzeit von 2 x einer halben Stunde. Viel versprochen, was man alles an Therapien macht, die man auch bezahlt bekommt. Angeblich tolle Therapeuten, die in die Einrichtung kommen und viel Ahnung haben. Es geht um Ergotherapie zum Erlangen von vorschulischen Kompetenzen. Auch angeblich besondere zeitliche Zuwendung für unser Kind in Form von Einzelspielzeit mit einem Erzieher. Papier ist geduldig! Fast nie stattgefunden!

Suche nach einer Schule, die unser Kind nimmt. Wieder das Gefühl, als Bittsteller zu agieren. Es gibt viel zu wenige inklusive Plätze für besondere Kinder, schon gar nicht in der Nähe. Die Schulen in unserer Stadt haben jedenfalls keinen für uns, obwohl wir uns sehr früh gekümmert haben.

Also Privatschule, tägliche Fahrzeit von 2 x 30 Minuten. Monatliche Kosten von 150 Euro.
Große Freude, die nehmen ihn. „Die besonderen Kinder seien mittendrin und könnten so optimal profitieren. Jedes Kind könne nach eigenem Tempo lernen und das wäre überhaupt der beste Ansatz“. Das wurde draus: Die besonderen Kinder durften nicht im Klassenraum bei den anderen sein, sie wurden separiert. Allerdings ohne sich mit Lesen und Schreiben zu befassen. Im Foyer gab es jeweils einen Erwachsenen, der ihnen vorgelesen hat. Oder sie waren im Werkraum oder Aussengelände.

Und das Schlimmste: Unser Sohn wurde als geistig beeinträchtigt beurteilt, damit
die Schule mehr Gelder erhält. Wie wir hinterher erfahren haben, sind wir leider kein Einzelfall.

Nach jahrelangem Kampf mit Hilfe eines Anwalts den Förderschwerpunkt
„Geistige Entwicklung“ losgeworden. Nach einem Gespräch mit der Schule und der Rückmeldung, dass man für die besonderen Kinder bzw. deren Beschulung doch keine Kapazitäten hätte, haben wir nach einem Jahr die Reißleine gezogen und ihn von der Schule genommen. Er hatte bisher noch gar nichts an Kulturtechniken gelernt.

Also, selber gekümmert und begonnen, zuhause mit ihm lesen und schreiben zu üben. Nach einem Tipp der Ergotherapeutin ein tolles Programm gefunden, das man auch als Nicht-Lehrerin mit ihm machen kann. Und Bingo! Kind lernt lesen und schreiben und wächst über sich hinaus. Er ist stolz auf das, was er kann, wir bleiben dran! Und das tun wir bis heute. (Wenn ich mal zusammenrechnen würde, was wir an Lernmaterialien für unser Kind auf eigene Kosten gekauft haben, geht in die Tausende.)

Neue Schule muss her. Aufgrund seines Alters kann er nicht nochmal in eine
erste Klasse eingeschult werden, das Schuljahr ist außerdem vorbei. Was
bleibt? Sonderschule ist die einzige, die einen Platz hat. Die wollten wir nie, er ist
auch privat mittendrin, wir wollen keine Parallelwelt für unser Kind. (Von der
schlechten Perspektive mal ganz abgesehen.) Das richtige Leben zählt. Aber wir haben keine Chance.

Wir sind dann froh, dass er die Sonderschule nach der Grundschulzeit hinter sich lassen
kann. Wir haben einige Lehrer kennengelernt, die nervlich am Limit sind (oder weiter) und die Kinder oft defizitär beurteilen. Ich hätte nie gedacht, was unser Sohn angeblich alles nicht kann. (Grins) Braucht kein Mensch und ist für ein besonderes Kind, das um jede Form von Anerkennung noch mehr als andere kämpft, besonders schlimm. Auch die Verpflichtung (!), unser Kind täglich bis nachmittags dort zu lassen, finden wir unter aller Kanone. Abgesehen davon, dass es auch eine Benachteiligung zu gesunden Kindern darstellt.

Dann wieder Schulsuche. Wir versuchen nochmal inklusiv, weil wir sicher sind, dass es das Beste ist für unseren Sohn. Große Freude, wir haben einen Platz. Und dann: Ganz viel Frust und Kampf, es gibt definitiv zu wenige Lehrer, zu wenige Räume, zu wenige Schulbegleiter, viel Gegenwind.

Sogar an der Inklusiven Schule wird uns immer wieder das Märchen von der tollen Sonderschule erzählt und man empfiehlt uns einen Wechsel dorthin, weil man unserem Kind nicht gerecht werden könne.

“Unser Sohn hat ein Recht darauf, inklusiv beschult zu werden und daran halten wir fest”

Und das sogar zum ersten Mal, bevor man unser Kind überhaupt kennengelernt hat!
Das heißt, zuerst schickt man uns eine schriftliche Zusage, dass wir genommen werden an dieser Schule – und dann kurz vor den Sommerferien, bevor er dort starten soll, erhalten wir einen Anruf mit ganz vielen Argumenten, die dafür sprechen, doch die Sonderschule zu wählen und uns dringend “empfohlen” wird, dorthin zu wechseln. Wir sind wie vor den Kopf geschlagen und haben einmal mehr das Gefühl, Bittsteller zu sein und dass man unser Kind nicht möchte. Das schmerzt sehr!

Zum Glück sind wir sehr gut vernetzt und erfahren von anderen Eltern, dass man ihnen das Gleiche gesagt hat. Auch erfahren wir, dass jedes Jahr zahlreiche Kinder diese Schule
Richtung Förderschule verlassen, weil die Eltern Angst um die Bildung ihrer Kinder haben. Unser Sohn hat ein Recht darauf, inklusiv beschult zu werden und daran halten wir fest.

Es ist schlimm, welche Kraftanstrengungen und finanziellen Aufwendungen wir auf uns nehmen müssen, um das Recht unseres Kindes auf Bildung durchzusetzen.

Ich habe noch nie in meinem Leben einen Anwalt gebraucht, seit unserer Sohn die Schule besucht, mussten wir vier Mal einen einschalten, um seine Rechte wahrzunehmen. Von den unzähligen Stunden, die wir mit Recherche und Telefonaten mit Ämtern und Beratungsstellen zugebracht haben, ganz zu schweigen. Sehr traurig und auch ärgerlich! News4teachers

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers heiß diskutiert.

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