
Nach einer Umfrage im Auftrag der Bundesstiftung wüssten sechs von sieben Befragten im Alter von 14 bis 29 Jahren nichts mit dem Datum 17. Juni 1953 anzufangen – dem Tag des gescheiterten Volksaufstands in der DDR. «Wir sprechen von jungen Menschen, die seit 2009 den Geschichtsunterricht im vereinten Deutschland durchlaufen haben», sagte Kaminsky. «Eine Umfrage zum 13. August 1961 würde mit Sicherheit ein vergleichbares Bild ergeben.»
«Zugleich dürften diese Wissensdefizite die Quittung eines allzu sehr auf Kompetenzvermittlung ausgerichteten Geschichtsunterrichts sein»
An dem Tag vor 62 Jahren hatte die Führung der DDR mit dem Bau der Berliner Mauer begonnen. Dies sollte die massenhafte Abwanderung von Menschen in den Westen Berlins und in die Bundesrepublik stoppen, der die DDR-Wirtschaft bremste und den Staat destabilisierte.
«Die Abriegelung der Grenze zu West-Berlin war die politische Konkurserklärung, mit der das kommunistische Regime auf die massenhafte Abwanderung von Akademikern, Facharbeitern und vor allem von jungen Menschen aus der DDR reagierte. Die Ursache für die Massenflucht 1960/61 war der neuerliche Versuch der SED, die kommunistische Umgestaltung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zu erzwingen», so erklärt die Bundesstiftung. Die Mauer wurde nach Massenprotesten in der DDR am 9. November 1989 – also erst mehr als 28 Jahre später – geöffnet.
Kaminsky beklagt falsche Schwerpunkte in der Schule. «Hier spiegelt sich eine Bildungspolitik wider, die nicht nur allzu schnell bereit war, die Zahl der Wochenstunden für Geschichte und Gesellschaftskunde zugunsten der MINT-Fächer und anderer Schwerpunkte zu reduzieren», kritisiert sie.
«Zugleich dürften diese Wissensdefizite die Quittung eines allzu sehr auf Kompetenzvermittlung ausgerichteten Geschichtsunterrichts sein», meint die promovierte Sprachwissenschaftlerin. Dieser vermittle Schülerinnen und Schülern offenkundig kein ausreichendes und gemeinsames zeithistorisches Wissensfundament. Dabei gebe es bei jungen Leuten großes Interesse an der jüngsten Zeitgeschichte. Die Stiftung wolle Lehrkräfte ermutigen, dieses Interesse zu bedienen.
«Die DDR-Bürger hatten ihre Lektion am 17. Juni 1953 gelernt», so Kaminsky. Die Niederschlagung des DDR-Volksaufstands von 1953 habe gezeigt, dass die SED-Diktatur gegen den Willen der Sowjetunion nicht überwunden werden konnte. Daher sei den Menschen, denen ein Leben in der Diktatur unerträglich erschien, nur die Flucht in den Westen geblieben, betont sie.
Angesichts aktueller Debatten über die DDR – gemeint ist auch die verbreitete «Ostalgie», eine Verklärung der DDR-Vergangenheit – fordert die Direktorin der Bundesstiftung: «Die Niederschlagung des DDR-Volksaufstands vom 17. Juni 1953 und der Mauerbau am 13. August 1961 sind die sichtbarsten Symbole der kommunistischen Diktatur in der DDR. Lehrerinnen und Lehrer sowie politische Bildner stehen in der Verantwortung, dass junge Leute, die die Schule verlassen, mit diesen Daten etwas anfangen können.»
Zum Phänomen der «Ostalgie» heißt es bei der Bundesstiftung: Sie «spiegelt einerseits das Bedürfnis von ehemaligen DDR-Bürgern wider, Erfahrungen und Erinnerungen an ein früheres Leben zu bewahren und im Austausch darüber zu bleiben. Andererseits geht dies aber auch mit einer zunehmend positiven Betrachtung der DDR-Vergangenheit einher. Kritiker werfen der ‘Ostalgie-Bewegung’ eine Verharmlosung der SED-Diktatur und ihrer Repressalien vor. Das schwierige Leben unter der Diktatur werde außer Acht gelassen und das Leben in der DDR verklärt.» News4teachers / mit Material der dpa
- Informationen und historische Hintergründe liefert das Online-Dossier der Bundesstiftung Aufarbeitung zum Mauerbau: https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/recherche/dossiers/mauerbau-am-13-august-1961
- Zeitzeugen des Mauerbaus im gesamten Bundesgebiet können über das Portal Zeitzeugenbuero.de recherchiert und kontaktiert werden: https://www.zeitzeugenbuero.de/themendossiers/mauerbau-13-august-1961
An der Berliner Mauer und der streng bewachten Grenze zwischen der DDR und der Bundesrepublik kamen mehrere Hundert Menschen bei Fluchtversuchen ums Leben. Wie viele es genau waren, wird bis heute erforscht.
Das Berliner Mauermuseum legte am Mittwoch eine neue vorläufige Bilanz vor, die 1.922 Todesfälle mit dem Grenzregime in Zusammenhang bringt. Neu in die Liste aufgenommen wurden den Angaben zufolge aber auch ungeklärte Todesfälle in Grenznähe sowie Selbsttötungen, darunter ein Fall an der Westgrenze der damaligen Tschechoslowakei.
Die Stiftung Berliner Mauer geht von einer nur etwa halb so großen Zahl aus: etwa 650 Opfer des DDR-Grenzregimes einschließlich von Menschen, die in der Ostsee ums Leben kamen. Die Stiftung nennt dies einen Näherungswert.
Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers heiß diskutiert.
Ostbeauftragter: DDR-Geschichte kommt im Unterricht zu kurz (und wird falsch vermittelt)