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“Schämt Euch!” – Deutschland steht vor den Vereinten Nationen am Pranger, weil es die Inklusion an Schulen praktisch verweigert

GENF. „Schämt Euch!“ – so heißt es auf einem Transparent, das Aktivistinnen und Aktivisten des Berliner Bündnisses für schulische Inklusion vor dem Palais der Vereinten Nationen in Genf platziert haben. Und: „Deutschland verweigert das Menschenrecht auf inklusive Bildung.“ Der Ort des Protests, zu dem Dutzende von Initiativen aufgerufen haben, ist kein Zufall: Heute und morgen findet hier eine sogenannte Staatenprüfung statt, in der Deutschland im Mittelpunkt steht – genauer: das Engagement, das die Bundesrepublik zeigt, um die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Die Kritik daran ist scharf.

Es ist fast schon dreist, wie Deutschland auf die offizielle Staatenprüfung, mit der die Vereinten Nationen den Fortschritt bei der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention prüfen will, reagiert. Die hat der Bundestag 2009 ratifiziert und damit zum geltenden Recht in Deutschland und zur internationalen Verpflichtung gemacht. Entsprechend harsch fallen die Reaktionen aus: Verbände und Betroffenengruppen haben sich auf den Weg zum UN-Sitz nach Genf gemacht (wo die Staatenprüfung stattfindet), um gegen die Ignoranz von Bund und Ländern zu protestieren.

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Das Deutsche Institut für Menschenrechte, das vom Bundestag mit dem Mandat ausgestattet wurde, den Vereinten Nationen offiziell zu berichten, fällt in seinem Gutachten ein vernichtendes Urteil (News4teachers berichtete): „In Deutschland herrscht in der Politik und auch in weiten Teilen der Gesellschaft ein verfehltes Inklusionsverständnis. So wird die Mehrheit der Kinder mit Behinderungen weiterhin nicht inklusiv beschult und wächst ohne schulischen Kontakt zu nichtbehinderten Kindern auf. Das Ziel einer inklusiven Gesellschaft ist so nicht zu erfüllen.“

Auch in einer gemeinsamen Stellungnahme von einem Bündnis deutscher Nichtregierungsorganisationen zur UN-Behindertenrechtskonvention, dem 37 Organisationen angehören, wird Klartext gesprochen. „Die Umsetzung der inklusiven Bildung ist im Berichtszeitraum in fast allen Bundesländern ins Stocken geraten, zum Teil sogar rückläufig“, so heißt es in dem Bericht, der den Vereinten Nationen ebenfalls vorgelegt wird.

„In keinem Bildungsbereich – von der Kita über Schule, Ausbildung und Hochschule bis zur Erwachsenenbildung – liegt eine verbindliche Gesamtstrategie (Ziele, Zeitplan, Qualitätskriterien, Ressourcen) von Bund und Ländern zum Aufbau inklusiver Bildungseinrichtungen vor. Es erfolgt keine planmäßige Beseitigung baulicher Barrieren im Bestand von Bildungseinrichtungen und keine durchgängige Berücksichtigung von Barrierefreiheit in der Digitalisierung.“

„Eine ausreichende Verlagerung von sonderpädagogischem Personal in die Inklusion findet in den meisten Bundesländern nicht statt”

Die Ausführungen der Bundesregierung im Staatenbericht, so heißt es weiter, „betrachten wir als ausweichend und zum Teil irreführend. Die vom UN-Ausschuss zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen in den Fragen zu Artikel 24 erbetenen Zahlen werden nicht erhoben. Bewusstsein Fortbildungen von Schulleitungen und Lehrenden sind nicht regelhaft und verpflichtend. Im Ergebnis bilden sich selbst an ‚inklusiven‘ Schulen nur wenige Lehrer*innen in inklusiver Bildung, Förderung und Unterrichtsentwicklung fort. Deshalb ist der menschenrechtliche Gehalt der inklusiven Bildung in der Lehrer*innenschaft weitestgehend unbekannt. In der allgemeinen Lehrer*innenausbildung bleibt Inklusion ein Randthema.“

Sonderpädagoginnen und -pädagogen würden immer noch weitestgehend für die Arbeit in Förderschulen ausgebildet. „Darüber hinaus gibt es bisher keine wirksame administrative Steuerung von Ausmaß und Qualität der inklusiven Schul- und Unterrichtsentwicklung. Schulministerien und Schulaufsichten setzen lediglich Rahmen für Personalausstattung und Lehrpläne und überlassen die konkrete Ausgestaltung von Unterricht und Schulleben weitestgehend den einzelnen Schulen. Verbindliche inhaltliche Qualitätskriterien für inklusive Bildung fehlen.“

Die Einführung inklusiver Bildung in Regelschulen sei von erheblichem Personalmangel geprägt. „Eine ausreichende Verlagerung von sonderpädagogischem Personal in die Inklusion findet in den meisten Bundesländern nicht statt. Für den Einsatz von Lehrkräften mit Behinderungen existieren keine Entwicklungsprogramme.“ Bildungseinrichtungen ‚Inklusive Schulen‘ werden nicht transparent und in ihrer Qualität erfasst.

Der Rechtsanspruch auf inklusive Schulbildung sei in den meisten Bundesländern mit (Ressourcen-)Vorbehalten versehen, der Zugang zu angemessenen Vorkehrungen sei nicht gesichert. „Die Mehrheit der Landesregierungen hält das Sonderschulsystem als vermeintlich bessere Alternative für viele Kinder mit Behinderungen aufrecht.“ News4teachers

Hier geht es zum vollständigen “Gemeinsamen Bericht der Zivilgesellschaft zum 2. und 3. Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention durch Deutschland”.

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers heiß diskutiert.

Eltern protestieren vor den Vereinten Nationen gegen Deutschland – weil es die Inklusion in Schulen schleifen lässt

 

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