ERFURT. In Thüringen haben Vertreterinnen und Vertreter der Lehrkräfte-Gewerkschaften einem „Konsenspaket“ mit dem Bildungsministerium zugestimmt, das eine Verschlechterung der Konditionen für ältere Lehrkräfte vorsieht, konkret: eine Verschiebung der sogenannten „Altersabmilderung“. Diese Senkung der Unterrichtsverpflichtung kann künftig erst ab einem Alter von 57 in Anspruch genommen werden (bisher 55). Die Vereinbarung führt zu einer Grundsatzdebatte: Sind Gewerkschaften eigentlich befugt, kampflos einem Arbeitgeber Zugeständnisse zulasten der Beschäftigten zu machen?
So richtig begeistert wirken sie nicht, die vier Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, die links und rechts vom am Kopf des Tisches sitzenden Bildungsminister Helmut Holter (Linke) Platz genommen und augenscheinlich – Kugelschreiber noch in den Händen haltend – gerade eine Übereinkunft unterzeichnet haben. Auf dem Foto, das die Pressestelle des Ministeriums veröffentlicht hat, lächelt jedenfalls nur der Minister.
Kein Wunder. Holter hat den Vertreterinnen und Vertretern der GEW Thüringen, des Thüringer Lehrerverbands (tlv), des Thüringer Philologenverbands, des Berufsschullehrerverbands Thüringen sowie des „tbb beamtenbund und tarifunion thüringen“ gerade eine Zustimmung zur Verschlechterung von Konditionen für ältere Lehrkräfte abgenommen.
Nämlich: Die Altersabmilderung, dank der Lehrerinnen und Lehrer ab einem bestimmten Alter weniger Unterricht geben müssen und dafür andere, weniger belastende Aufgaben übernehmen sollen, wird nun von 55 auf 57 Jahre verschoben. Außerdem gibt es eine neue Staffelung: Während die Lehrerinnen und Lehrer in Vollzeit bisher zwei Unterrichtsstunden Altersabminderung bekamen, ist es nach den neuen Regeln zunächst nur eine. Ab dem Schuljahr, in dem das 60. Lebensalter vollendet wird, sind es dann zwei und ab dem Schuljahr, in dem das 63. Lebensjahr vollendet wird, vier Stunden. Das ist glasklar: eine Verschlechterung der Konditionen.
„Mit der Neuregelung erreichen wir Verlässlichkeit für alle Kolleginnen und Kollegen, die heute im Anspruchsalter sind oder kurz davor stehen”
In der Pressemitteilung des Ministeriums liest sich das Ergebnis der Gespräche dann so: „Thüringer Lehrerinnen und Lehrer können sich langfristig und nachvollziehbar auf angepasste Regelungen zur sogenannten Altersabminderung einstellen. Thüringens Minister für Bildung, Jugend und Sport, Helmut Holter, und Vertreterinnen und Vertreter Thüringer Bildungsgewerkschaften und -verbände haben am 19. Oktober 2023 Einigung bezüglich einer Neuregelung von Altersabminderungen von Lehrkräften an Staatlichen Schulen im Freistaat erzielt. Änderungen sollen demnach mit einer Stichtagsregelung greifen und für Lehrkräfte ab Geburtsjahrgang 1973 gelten. Für Lehrkräfte früherer Geburtsjahrgänge bleibt es bei den bisherigen Regeln.“
Dazu erklärt Holter: „Ich habe immer gesagt: Eine allein mathematische Lösung des Problems Lehrermangel wird es nicht geben. Deshalb war mir wichtig, die Frage der Altersabminderungen im Dialog mit den Gewerkschaften zu klären. Mit der Neuregelung erreichen wir Verlässlichkeit für alle Kolleginnen und Kollegen, die heute im Anspruchsalter sind oder kurz davor stehen. Gleichzeitig treten wir ein in eine behutsame Erschließung zusätzlicher Ressourcen in den kommenden Jahren. Diese Behutsamkeit ist wichtig, denn wir sind uns über die Arbeitsbelastungen im Schulwesen im Klaren. Deshalb heben wir zwar das Anspruchsalter leicht an, verlieren aber die Frage guter Arbeitsbedingungen und Unterstützung nicht aus dem Blick. Wir müssen und werden weiter an guten Arbeitsbedingungen für alle Lehrkräfte arbeiten und gleichzeitig weiter kraftvoll Lehrerinnen und Lehrer einstellen, um den Lehrermangel zu überwinden. Wir brauchen nicht nur eine gesunde Altersmischung, wir brauchen vor allem gesunde Lehrerinnen und Lehrer.“
„Gewerkschaften, die mit Arbeitgebern auskungeln, wie man die Probleme der Arbeitgeber auf dem Rücken der eigenen Mitglieder löst, haben keine Existenzberechtigung“
Das mag alles so sein. Dass Lehrergewerkschaften aber einer Verschlechterung der Konditionen für die Beschäftigten im Schuldienst zustimmen, kommt bei Lehrkräften nicht gut an. „Gewerkschaften haben da zugestimmt?? Ohne Worte. Ich freue mich heute schon auf den Brief, in dem ich angefragt werde, ob ich über die Pensionsgrenze hinaus arbeiten will. Da gibt‘s nur eine Antwort: Ihr könnt mich mal. Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Solche Maßnahmen beschleunigen das ‚Kaputtgehen‘…“, so schreibt eine Lehrerin im Leser*innenforum von News4teachers. Eine andere meint: „Gewerkschaften, die mit Arbeitgebern auskungeln, wie man die Probleme der Arbeitgeber auf dem Rücken und zu Lasten der eigenen Mitglieder löst, haben keine Existenzberechtigung. Fertig, Aus, Ende.“
War die Altersabminderung dann womöglich in der Praxis gar nicht effektiv, sodass sie auch aus Gewerkschaftssicht verzichtbar ist? Das hatte vor wenigen Tagen noch ganz anders geklungen. In einer gemeinsamen Erklärung würdigten die GEW Thüringen, der Thüringer Philologenverband und der Thüringer Lehrerverband (tlv) die Altersabminderung als „wirksames Instrument“ für die Entlastung des Personals. So bleibt die Frage offen, ob die Gewerkschaften für ihr Einlenken wenigstens ein Entgegenkommen in einem anderen Punkt erreicht haben.
Wenn, dann wird das Ergebnis die Betroffenen wohl kaum besonders beeindrucken. Als „weiteren Punkt“ des „Konsenspakets“ führt das Ministerium nämlich nur einen an: „die Verabredung zu einem jährlichen Mitarbeitenden-Vorgesetzten-Gesprächs, das ab dem Jahr, in dem das 59. Lebensjahr vollendet wird, den besonderen Schwerpunkt auf Wünsche und Bedürfnisse zur Ausgestaltung der letzten Dienstphase legt. In diesem strukturierten Gespräch sollen Themen wie der Übergang in den Ruhestand/die Rente, das Hinausschieben des angestrebten Ruhestands/der Rente durch Maßnahmen der Schulleitung, die Verlängerung der aktiven Zeit oder Wiedereinstieg nach dem Eintritt in Pension/Rente behandelt werden.“
Immerhin: „Die Verhandlungen und Gespräche zwischen Bildungsministerium und Gewerkschaften zu wichtigen Fragen der Personalentwicklung“ würden fortgesetzt. News4teachers
