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Demos für Demokratie: In sozialen Medien läuft eine Hetzkampagne von rechts gegen Lehrkräfte auf Hochtouren

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BERLIN. Seit Wochen halten die Massenproteste gegen die AfD nun schon an. Auf allein drei großen Demonstrationen in Berlin, Freiburg und Augsburg sind am Samstag mindestens 200.000 Menschen (nach Veranstalterangaben noch deutlich mehr) auf den Straßen. Gegen die Proteste läuft in den sozialen Medien eine Desinformationskampagne von rechts auf Hochtouren – insbesondere gegen Lehrkräfte.

Wildfremde halten sich an den Händen und strecken diese in die Höhe. «Wir sind die menschliche Brandmauer», schallt eine Stimme von der Bühne. Mehr als 150.000 Menschen haben sich nach Polizeiangaben am Samstagmittag in Berlin vor dem Reichstagsgebäude versammelt. Für Demokratie und Toleranz, gegen rechts, Hass und die AfD. Die Veranstalter, ein Bündnis namens Hand in Hand, spricht sogar von 300.000 Teilnehmern. Angemeldet hatten sie ein Drittel davon. In etlichen weiteren Städten sind es am Samstag ebenfalls zum wiederholten Male ungewöhnlich viele Menschen, die auf die Straße gehen: rund 30.000 in Freiburg, etwa 25.000 in Augsburg, circa 10.000 in Krefeld, jeweils nach Polizeiangaben. Hinzu kommen weitere Demos im ganzen Land, teils mit vierstelligen Teilnehmerzahlen.

Seit gut drei Wochen gehen überall in Deutschland immer wieder Zehntausende Menschen gegen rechts und gegen die AfD auf die Straße. Auch Lehrerverbände haben zur Teilnahme aufgerufen (News4teachers berichtete). Gleichzeitig läuft in sozialen Medien eine Desinformationskampagne – vor allem gegen Lehrkräfte – auf Hochtouren. «Linke Indoktrination: Deutsche Lehrer beurlauben Schüler für die Teilnahme an Anti-AfD-Demos und verteilen dafür gute Noten. Die Eltern sind alarmiert, doch der grosse Aufschrei bleibt aus», so heißt es auf X beispielsweise. Oder: «Lehrer werden dazu aufgefordert, an den “Demos gegen Rechts” teilzunehmen und sich im Unterricht zu “positionieren”. Das ist politische Indoktrination und hat in einem demokratischen Staat nichts an Schulen zu suchen.» Oder: «Unser Lehrer hatte einen Zettel. Da kamen dann die Namen derjenigen drauf, die nicht zur Demo gewesen sind.»

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Die AfD beteiligt sich nach Kräften daran, solche Gerüchte zu verbreiten: «Nach dem „Fridays-for-Future“-Kult rollt nun die nächste Indoktrinationswelle durch unsere Schulen: Überall in Deutschland berichten fassungslose Eltern, dass ihre Kinder zur Teilnahme an linken Demonstrationen „gegen rechts“ genötigt werden», so behauptet die Partei auf X. Als Beleg wird der unbestätigte Bericht eines rechtspopulistischen Mediums über einen angeblichen Fall in Bayreuth angeführt, bei dem ein Lehrer Einsen für die Teilnahme an einer der Demonstrationen verteilt haben soll.

Die GEW hält auf Facebook dageggen: «Die AfD vertritt rassistische, homophobe, frauenfeindliche Positionen. Aufgabe von uns Pädagog*innen ists, den kritischen Umgang mit der AfD zu fördern & demokratiefeindliche diskriminierende Positionen im Unterricht zu thematisieren. Wir sind nicht neutral!» (Was die Neutralitätspflicht für Lehrkräfte bedeutet und was nicht – siehe Info-Kasten unten.)

Auslöser der Proteste ist eine Recherche des Medienhauses Correctiv zu einem Treffen radikaler Rechter mit einzelnen Politikern von AfD, CDU und Werteunion im November in Potsdam. Dort hatte der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, nach eigenen Angaben über das Konzept der sogenannten Remigration gesprochen. Wenn Rechtsextremisten den Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll – auch unter Zwang.

Demonstrant: Haben zu lange die Klappe gehalten

Erschreckt von den Ergebnissen dieser Recherche zeigt sich die Berlinerin Claudia Kirchert, die mit ihrer Tochter vor das Reichstagsgebäude gekommen ist. Die 49-Jährige spricht davon, mit der Teilnahme in der großen Gruppe etwas gegen das Gefühl der Machtlosigkeit zu tun. «Ich wäre vor einem Jahr möglicherweise noch nicht zu so einer großen Demo gegangen.» Die Hoffnung jetzt: Der AfD und Rechtspopulisten signalisieren, dass es ein Gegengewicht gibt. Ähnlich argumentiert Demonstrant Patrick Stein: «Ich glaube, wir haben zu lange die Klappe gehalten.» Er hat ein Schild dabei im Stil der Warnhinweise von Zigarettenschachteln: «Rassismus fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu.»

Als die Menge den Sprechchor «Ganz Berlin hasst die AfD» anstimmt, hat ein Moderator eine andere Idee: «Ganz Berlin stoppt die AfD», gibt er vor, die Menge applaudiert und stimmt ein. Auf der Bühne sprechen viele junge Leute, teils mit migrantischem Hintergrund. In der Menge stehen auch viele mittelalte, bürgerlich wirkende Menschen und trotzen dem Regen, der anfangs nur nieselt und später heftiger wird.

Zu sehen sind bunte Fahnen, Grauhaarige mit Schildern gegen Deportationen, Tanzende, etliche Familien mit Kindern. Und auch einige, die sich als Betroffene der rechtsextremen Fantasien sehen: «Ich bin schwul. Ich wäre sicherlich eine der Gruppen, die von diesem rechtsradikalen Mob diskriminiert würde», sagt der 59-jährige Armin Dötsch, der am Morgen als einer der ersten in roter Jacke und mit Schildern des Sozialverbands SoVD vor Ort ist. Er betont auch: Man müsse den sozialen Kitt der Gesellschaft halten und verbessern.

Serkan Bingöl ist mit einer Gruppe Geflüchteter gekommen, um ihn herum stehen vier, fünf junge Männer. Der 36-jährige ist Berliner mit deutschem Pass und Gymnasiallehrer. Er sagt: «Wir wollen ein Zeichen setzen für Solidarität und dass wir gegen Diskriminierung sind. Und dass wir es schön finden, wenn weiterhin eine Gesellschaft mit Vielfalt statt Einfalt in Deutschland existiert.»

Hoffnung auf gesellschaftliche Wirkung der Demos

Unverständnis gegenüber Menschen, die in der AfD eine Lösung für ihre Unzufriedenheit sehen, äußern an diesem Tag mehrere der befragten Menschen. Ein Schild bringt es so auf den Punkt: «Wenn die AfD die Antwort ist, wie dumm war dann die Frage?» Der 27-jährige Stefan Morlock hofft auf eine mehr als symbolische Wirkung der Demos auf Gesellschaft und Politik: «Das Handeln zeigt sich einerseits bei den Wahlen, aber auch im Alltag. Dass man sich einsetzt für die Schwächeren in der Gesellschaft.»

Mehrere Redner richten Forderungen an die demokratischen Parteien, sich gegen den Rechtsruck zu stellen und rechten Forderungen und Narrativen entgegenzutreten. Luisa Neubauer, Gesicht der deutschen Klimabewegung, sagt laut Redemanuskript: Man könne nicht an einem Tag auf der Demo «Friede, Freude, Demokratie für alle» rufen und dann ins Parlament zurückkehren und tief rechte Wörter, Sprache und Politik in die demokratische Mitte hineintragen. «Das geht nicht auf.»

In das Berliner Regierungsviertel waren schon einmal am 21. Januar nach Angaben der Polizei mehr als 100 000 Demonstranten gekommen. Der Bundestag, seit 1999 mit Sitz im umgebauten historischen Reichstagsgebäude, ist zentrales Symbol der bundesdeutschen Demokratie.

Bundeskanzler Olaf Scholz wertete bereits vorab die zahlreichen geplanten Demonstrationen gegen rechts an diesem Wochenende als «starkes Zeichen» für die Demokratie und das Grundgesetz. News4teachers / mit Material der dpa

Neutralitätspflicht

Lehrkräfte müssen parteipolitisch neutral sein (und dürfen beispielsweise im Unterricht nicht zur Wahl einer bestimmten Partei aufrufen). Sich für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus positionieren – dazu sind sie sogar verpflichtet. Das stellt das Deutsche Institut für Menschenrechte in einem juristischen Gutachten klar.

«Der aus den Menschenrechten abzuleitende und rechtsverbindliche Bildungsauftrag würde leerlaufen, wenn das Gebot der Chancengleichheit der Parteien so interpretiert würde, dass rassistische und rechtsextreme Positionierungen von Parteien nicht als solche thematisiert werden könnten. Das Gebot der Chancengleichheit der Parteien kann daher nicht so verstanden werden, dass Schulen ihren Bildungsauftrag nicht wahrnehmen können: Vertritt eine am politischen Wettbewerb teilnehmende Partei systematisch rassistische beziehungsweise rechtsextreme Positionen, sei es durch ihr Programm oder dadurch, dass sich ihre Führungspersonen wiederkehrend entsprechend äußern, dürfen Lehrkräfte dies im Unterricht thematisieren», so heißt es in dem Gutachten.

Und: «Dabei ist zu berücksichtigen, dass beamtete wie auch nicht beamtete Lehrkräfte gemäß den menschenrechtlichen Verträgen, dem Beamtenrecht und dem Schulrecht dazu verpflichtet sind, sich für die Menschenrechte, die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und die dahinter stehenden Werte einzusetzen. Lehrer_innen haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, für die Grundprinzipien der Grund- und Menschenrechte einzutreten.»

Hier geht es zu dem vollständigen Gutachten.

Teachers for Future fordern Lehrkräfte auf, gegen Rechtsextremismus Position zu beziehen – trotz Versuchen der Einschüchterung

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