WIESBADEN. Menschen mit Migrationshintergrund könnten in der Zukunft das Rückgrat des deutschen Arbeitsmarkts bilden. Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) hat Potenziale und Herausforderungen untersucht.
In Deutschland leben laut Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) rund 24 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, gemäß dem Statistischen Bundesamt Personen, die selbst oder mindestens seitens eines Elternteils die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzen. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und einer alternden Gesellschaft komme dieser Bevölkerungsgruppe aufgrund ihrer relativ jungen Altersstruktur eine bedeutende Rolle zu.
Für eine neue Publikation hat das Forschungsinstitut des Bundes nun Daten aus dem Mikrozensus ausgewertet, um zu zeigen, wie sich die Bevölkerung mit Migrationshintergrund im Hinblick auf Merkmale wie Familienstand, Schulbildung oder Erwerbsbeteiligung in den letzten beiden Jahrzehnten verändert hat. Den Hintergrund beschreibt Nikola Sander, Studienleiterin und Forschungsdirektorin am BiB: „Der demografische Wandel und die Alterung der Gesellschaft stellen den Arbeitsmarkt schon jetzt vor große Herausforderungen. Um diesen zu begegnen, gilt es, die vielfältigen Potenziale von Menschen mit Migrationshintergrund bestmöglich zu nutzen.“
Der Vergleich zur Bevölkerung ohne Migrationshintergrund verdeutliche, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen diesen Gruppen bestehen und welche Potenziale und Herausforderungen Zuwanderung mit sich bringe. So bleibe etwa die Erwerbsbeteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund, insbesondere von Frauen, hinter dem Niveau der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund zurück, obwohl diese Gruppe durch ihre relativ junge Altersstruktur und ihre steigende Bildungsbeteiligung prinzipiell gute Voraussetzung für eine Integration in den Arbeitsmarkt habe.
Als wesentlicher Schlüssel zur Teilhabe an der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt gilt den BIB-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftlern dabei wenig überraschend die Bildung, die außerdem Gesundheit und Lebenserwartung positiv beeinflussen könne. Die Untersuchung zeigte, dass Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit Migrationshintergrund 2022 eine höhere Bildungsbeteiligung haben als 2013. Sie liegt aber entsprechend den Mikrozensus-Daten immer noch unter den Vergleichswerten der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund:
- Kinder unter drei Jahren mit Migrationshintergrund besuchten seltener eine Bildungs- und Betreuungseinrichtung als Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund. Mit zunehmendem Alter stieg ihr Anteil an und erreicht mit fünf Jahren 82 Prozent (2022).
- Bei Jugendlichen im Alter von 15 Jahren zeigte sich ein Trend zu höherwertigen Schulabschlüssen, insbesondere bei Mädchen mit Migrationshintergrund: Zwischen 2013 und 2022 stieg der Anteil von Gymnasiastinnen von 30 auf 38 Prozent. Bei gleichaltrigen Mädchen ohne Migrationshintergrund lag der Vergleichswert für 2022 mit 47 Prozent allerdings noch höher. Ähnliche Unterschiede zeigten sich für männliche Jugendliche, wenn auch auf niedrigerem Niveau.
- Die Hochschulbeteiligung ist über die letzten Jahre bei beiden Geschlechtern gestiegen, wobei sie bei Frauen höher ist als bei den Männern. 36 Prozent der Frauen ohne Migrationshintergrund besuchten im Alter von 20 Jahren eine Hochschule, bei Frauen mit Migrationshintergrund sind es mit 30 Prozent etwas weniger.
Starken Einfluss auf die späteren beruflichen Abschlüsse und die künftige Arbeitsmarktteilhabe hat den BIB-Wissenschaftlern entsprechend auch der Schulabschluss. Bei den 25-Jährigen mit Migrationshintergrund zeigt die Bevölkerungspyramide sowohl eine steigende Zahl von Abiturientinnen und Abiturienten als auch eine steigende Zahl von Personen ohne Abschluss:
- 46 Prozent der 25-jährigen Männer und 59 Prozent der Frauen im gleichen Alter mit Migrationshintergrund hatten 2022 die Schule mit dem Abitur abgeschlossen und damit die Berechtigung für einen Hochschulbesuch erworben. Im Vergleich zu 2013 stieg der Anteil bei den Männern um 6 Prozentpunkte und bei den Frauen sogar um 10 Prozentpunkte. Gleichaltrige beider Geschlechter ohne Migrationshintergrund kamen allerdings noch immer auf einen knapp zehn Prozentpunkte höheren Anteil.
- Im Jahr 2022 konnten bei den 25-Jährigen ohne Migrationshintergrund 3 Prozent der Männer und 2 Prozent der Frauen keinen Schulabschluss vorweisen. Bei Gleichaltrigen mit Migrationshintergrund lagen die Vergleichswerte mit 12 Prozent (Männer) beziehungsweise 10 Prozent (Frauen) deutlich höher. Im Jahr 2013 hatte diese Quote in beiden Gruppen noch bei jeweils 6 Prozent gelegen.
Um die Potenziale der Menschen mit Migrationshintergrund in Zeiten des demografischen Wandels zu nutzen, gelte es, ihre Integration in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt, den Spracherwerb sowie den Zugang zu frühkindlicher, schulischer und beruflicher Bildung aktiv zu fördern und nachhaltig zu gestalten. „Ein unterstützendes und durchlässiges Bildungsangebot von Anfang an ist eine wichtige Voraussetzung, um Bildungspotenziale zu heben und daraus den Bedarf an Arbeitskräften zu decken“, formuliert BiB-Direktorin Katharina Spieß, die als Mitautorin der Studie firmiert.
Insgesamt ziehen die Autorinnen und Autoren der Studie im Hinblick auf die Bildung ein ambivalentes Fazit: Im Vergleich zur Bevölkerung ohne Migrationshintergrund falle insbesondere die Kitanutzung bei den Kindern unter drei Jahren deutlich geringer aus, obwohl eine institutionelle Betreuung für den Erwerb der deutschen Sprache und die gesellschaftliche Integration von Kindern und ihren Eltern von großer Bedeutung sei. Sei in den vergangenen Jahren bereits eine positive Entwicklung hinsichtlich der Bildungsbeteiligung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu verzeichnen gewesen, wonach deren Anteil sowohl unter den Gymnasiastinnen und Gymnasiasten als auch unter den Studierenden stieg, erreichten sie im Durchschnitt dennoch nicht das Niveau von Kindern und Jugendlichen ohne Migrationshintergrund.
Dies spiegele sich auch in den beruflichen Abschlüssen, denn dem hohen Anteil von Personen mit akademischem Abschluss unter den Personen mit Migrationshintergrund, der fast das Niveau der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund erreicht habe, stehe ein relativ hoher Anteil von Personen mit Migrationshintergrund gegenüber, die keinen Berufsabschluss haben.
Katharina Spieß sieht darin nicht zuletzt eine Herausforderung für das Bildungssystem, denn, so Spieß: „Es bedarf weiterer Anstrengungen, damit mehr junge Menschen mit Migrationshintergrund einen Schulabschluss erzielen.“ Gerade ein Ausbau der frühkindlichen Bildung würde sowohl den Spracherwerb als auch die Integration der Kinder sowie deren Eltern fördern. Gleichzeitig könnte eine stärkere Nutzung von institutionellen Betreuungsangeboten insbesondere Mütter von der Sorgearbeit entlasten und ihren Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern. Weitere Anstrengungen im Hinblick auf die Sprachförderung Jugendlicher und Erwachsener sowie die Anerkennung ausländischer Abschlüsse können sich ebenfalls positiv auf die Bildungs- und Erwerbsbeteiligung auswirken. (zab, pm)