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Prognose: Musisch-künstlerische Bildung in Schulen geht weiter den Bach herunter – Lehrermangel in Musik und Kunst weitet sich aus

BONN. Kunst und Musik sind keine verzichtbaren Nebenfächer – sondern fester Bestandteil einer zeitgemäßen Bildung, zu der die Fähigkeit zur kreativen Problemlösung gehört. Die ist gerade auch in Mathematik, Informatik, den Naturwissenschaften und Technik (den sogenannten MINT-Fächern) grundlegend. Das jedenfalls meint die Telekom Stiftung. Sie wollte deshalb wissen, wie es perspektivisch mit der Unterrichtsversorgung in den Fächern aussieht. Ergebnis der in Auftrag gegebenen Studie: schlecht.

“Junge Menschen brauchen Problemlösekompetenzen und die Fähigkeit, Verschiedenes neu zusammenzudenken.“ (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

„Für die Entwicklung von MINT-Kompetenzen ist (…) die Erweiterung von MINT um unter anderem Kreativität und den künstlerisch-musischen Bereich wichtig“, so heißt es bei der Telekom Stiftung (die als Ableger eines Tech-Konzerns ihren Fokus naturgemäß auf die Bildung in Mathematik, Informatik und den Naturwissenschaften legt). „Diese Verbindung (…) bringt Lernende in die sinnliche und kreativ-gestaltende Auseinandersetzung mit mathematisch-naturwissenschaftlichen Phänomenen. Das fördert das Zusammenwirken von fachlichen und überfachlichen Fähigkeiten und den innovativen Umgang mit MINT-Kompetenzen. Und es kann auch denjenigen einen Zugang zu MINT eröffnen, die ihn für sich noch nicht gefunden haben.“

Kurz: Die künstlerischen Fächer in der Schule legen eine Grundlage, die in Mathe, Technik und den Naturwissenschaften benötigt wird – Kreativität. „Kunst und Musik – wenn sie als Fächer gut unterrichtet werden – bringen Besonderheiten in die Schule, die nicht nur, aber ganz besonders für MINT bereichernd und heutzutage sogar unverzichtbar sind“, schreibt die Telekom Stiftung. „Umso bedenklicher ist es, dass Kunst und Musik nach offiziellen Statistiken der Kultusministerkonferenz in den meisten Schularten zu den Mangelfächern zählen, es also schon heute nicht ausreichend ausgebildete Lehrkräfte gibt, die sie qualitätsvoll unterrichten können.“

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Kein Wunder also, dass eine Sonderauswertung der PISA-Studie, die in dieser Woche veröffentlicht wurde, ergab, dass kreative Problemlösung nicht zu den ausgeprägten Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler in Deutschland gehört (News4teachers berichtete). Noch schlechter: Daran wird sich auf absehbare Zeit wohl auch nichts ändern.

Die Telekom Stiftung hat den renommierten Bildungsökonomen Prof. Klaus Klemm damit beauftragt, exemplarisch für Nordrhein-Westfalen den Bestand an Kunst- und Musiklehrkräften zu ermitteln. Die Ergebnisse sind niederschmetternd: Für die Fächer Musik und Kunst fehlen allein in dem Bundesland in den kommenden Jahren voraussichtlich Tausende Lehrerinnen und Lehrer. Bis zum Schuljahr 2035/36 könnten mehr als 60 Prozent der Stellen für diese Fächer an weiterführenden allgemeinbildenden Schulen in NRW nicht qualifiziert besetzt werden, wie aus der Prognose hervorgeht.

Für die 13 Jahre von 2022/23 bis 2035/36 müssten in NRW demnach für das Fach Kunst 5791 Lehrerinnen und Lehrer und damit durchschnittlich 445 pro Schuljahr eingestellt werden. Für das Fach Musik werden demnach 4024 Lehrkräfte benötigt, also jährlich rund 310. Bei gleichbleibender Anzahl an Lehramtsabsolventen wie in den Jahren 2021 und 2022 stünden jedoch jährlich nur 180 neue Lehrkräfte für Kunst und 102 für Musik zur Verfügung.

Für Kunst könnten laut der Vorhersage damit nur 40,4 Prozent der offenen Stellen besetzt werden, für Musik sogar nur ein Drittel (32,9 Prozent). Der hohe Bedarf an Lehrerinnen und Lehrern ergibt sich laut der Prognose vor allem daraus, dass bis 2035/36 altersbedingt viele Kunst- und Musiklehrkräfte in Nordrhein-Westfalen aus dem Schuldienst ausscheiden. Derzeit sind 43,5 Prozent der Musiklehrkräfte und 46,5 Prozent der Kunstlehrkräfte älter als 50 Jahre.

„Die für Nordrhein-Westfalen vorhersehbaren Nachwuchsprobleme werden überall in Deutschland auftreten“

Langfristig lasse sich der Bedarf an ausgebildeten Lehrkräften für die beiden Fächer nur dann besser decken, wenn sich mehr Menschen für ein Lehramtsstudium und dabei für zumindest eines der beiden Fächer Kunst und Musik entschieden, hieß es in der Prognose. Das würde jedoch von heute aus gesehen erst ab 2030 Wirkung zeigen. Daneben müssten daher etwa auch Quer- und Seiteneinsteiger gewonnen und qualifiziert werden. Klemm hält die Ergebnisse seiner Studie für übertragbar auch auf andere Bundesländer. „Die für Nordrhein-Westfalen vorhersehbaren Nachwuchsprobleme werden überall in Deutschland auftreten“, so schreibt er.

Um den großen Mangel an ausgebildeten Lehrkräften für Kunst und Musik zumindest abzuschwächen, sieht der Bildungsforscher ein Bündel von Maßnahmen als dringend geboten an, darunter:

Als „verheerend“ bezeichnete die schulpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im NRW-Landtag, Dilek Engin, die Prognose. Die Landesregierung müsse alle Hebel in Bewegung setzen, damit sich diese Prognose nicht bewahrheite. „Kreative Fächer in der Schulbildung sind nicht einfach nur nice-to-have. Sie sind ein zentraler Bestandteil für die Prägung von Geist und Haltung und zudem elementar wichtig für eine positive Zukunftsgestaltung.“

Das sieht auch die Telekom Stiftung so:  „Die musisch-künstlerischen Fächer ermöglichen es Kindern und Jugendlichen, sich die Welt mit allen Sinnen zu erschließen – ob mit Augen und Ohren, den Händen oder gar der Nase. Auch ist die kreative – innovativ-gestaltende – Auseinandersetzung wesentlicher Teil von Kunst und Musik. Sowohl dieses sinnliche Entdecken der Welt als auch der kreative Umgang mit ihren Phänomenen, Herausforderungen und Möglichkeiten sollten gerade auch im schulischen MINT-Bereich eine viel stärkere Rolle einnehmen. MINT-Kompetenzen sind unerlässliche Grundlage für Innovation, doch um damit die Welt auch wirklich verändern und gestalten zu können, brauchen junge Menschen Problemlösekompetenzen und die Fähigkeit, Verschiedenes neu zusammenzudenken.“ Kunst und Musik seien deshalb unverzichtbare Disziplinen heutiger und zukünftiger Bildung. News4teachers / mit Material der dpa

Hier geht es zur vollständigen Studie.

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