BERLIN. „Unser Bildungssystem ist leider auf allen Ebenen unverändert selektiv und ungerecht“ – beklagt die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi in einem aktuellen Interview. Sie fordert von der Bundesregierung: „Es muss mehr in Bildung investiert werden, denn nur so schaffen wir eine Gesellschaft, in der auch in Zukunft alle die Chance auf ein gutes Leben und gute Arbeit haben. Bildungsausgaben sind keine Kosten, sie sind existenzielle Investitionen in die Zukunft.“
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) werben gemeinsam für eine Bildungsoffensive in Deutschland, „denn die Situation im Bildungssystem braucht entschlossene Schritte“, wie es heißt. Bildungsqualität und Chancengleichheit sollten oberste Ziele sein. Die Zahl der jungen Menschen, die die Schule ohne Anschluss verlassen, müsse reduziert werden. Dafür seien entlang der gesamten Bildungskette konkrete Maßnahmen und Meilensteine festzulegen. Konkret wird unter anderem gefordert, den Fachkräftemangel in den Bildungseinrichtungen zu bekämpfen, die frühkindliche Bildung qualitativ und quantitativ auszubauen und die Berufsorientierung an Schulen zu verbessern (hier geht es zu der vollständigen Liste).
Wie tief muss die Bildungskrise in Deutschland sein, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber jetzt schon gemeinsam Alarm schlagen? Die DGB-Chefin Fahimi antwortet auf diese Frage in einem Interview mit dem „DSW Journal / Magazin des Deutschen Studierendenwerks“: „Mit dem BDA sind wir uns einig: Die Zahl der jungen Menschen, die nicht gut durch das Bildungssystem kommt, ist zu groß. Deshalb haben wir nun gemeinsam festgehalten, was wir von Bund und Ländern in der Bildungspolitik erwarten. Es muss endlich mehr investiert werden! Wir erwarten von Bund, Ländern und Kommunen, dass sie wirksame und abgestimmte Maßnahmen ergreifen, um die Bildungsqualität und die Chancengleichheit zu verbessern.“
Die soziale Ungleichheit sei in Deutschland nach wie vor immens. „Von echter Chancengleichheit sind wir meilenweit entfernt. Es ist eine schreiende Ungerechtigkeit, wie sehr Bildungserfolg immer noch von der sozialen Herkunft abhängig ist“, sagt Fahimi. „Wir brauchen ein Bildungssystem, das flächendeckend Chancen und Entwicklungsperspektiven für einen guten Start in das Berufsleben fördert – und zwar unabhängig vom Elternhaus. Das gilt sowohl für den Weg der beruflichen Aus- und Weiterbildung als auch für den akademischen Pfad. Qualität im Bildungssystem und finanzielle Förderung sind dabei die Schlüsselinstrumente.“
“Berufswahlkompetenz in den Schulen auszubauen, wäre ein echtes Stück Lebenshilfe”
Dabei gehe es auch darum, den Fachkräftemangel zu bekämpfen – aber nicht dadurch, dass junge Menschen von den Hochschulen ferngehalten würden. „Das Wichtigste ist, dass junge Leute wirklich nach ihren Neigungen frei entscheiden können, welchen Weg sie einschlagen wollen. Wir haben eingangs über Chancengleichheit im Bildungssystem gesprochen, und dazu gehört die freie Wahl des Berufswegs. Allerdings muss man erstmal wissen, welche Optionen es überhaupt gibt und was den eigenen Neigungen am meisten entspricht. Berufswahlkompetenz in den Schulen auszubauen, wäre daher ein echtes Stück Lebenshilfe. Ansonsten: In allen schulischen und dualen Berufen zusammen haben im vergangenen Jahr 700.000 junge Menschen ihre Ausbildung begonnen. Dem standen 490.000 Studienanfängerinnen und -anfänger gegenüber. Von der vielbeschworenen Akademikerschwemme kann also keine Rede sein.“
Sorgen mache sie sich vor allem um diejenigen, die weder in der Ausbildung noch im Studium landen. „Schwierig ist die Lage doch vor allem für diejenigen, die die Schule ohne Abschluss verlassen. 250.000 junge Menschen beginnen Maßnahmen im Übergangsbereich – trotz der Rekordzahl an unbesetzten Ausbildungsplätzen. Das sind die, um die wir uns als erstes kümmern müssen“, sagt Fahimi.
Und wie? „Mein erster Appell geht hier an die Arbeitgeber und Betriebe. Sie müssen sich stärker der Ausbildung von jungen Menschen widmen, auch wenn die Schulleistungen vielleicht nicht überragend waren. Sie müssen deren Stärken erkennen und fördern, statt nur auf die Defizite zu schauen. Ich finde aber auch, dass gerade kleinere Betriebe mehr Unterstützung von den Jugendberufsagenturen bekommen sollten. Wer sich schwer tut, eine Ausbildung durchzuhalten, braucht mehr sozialpädagogische Begleitung. Und mit der Ausbildungsgarantie muss das Versprechen gehalten werden, dass alle eine Chance auf einen Berufsabschluss erhalten.“ News4teachers
Drängender denn je: Warum wir mehr Chancengerechtigkeit im Schulsystem brauchen – eine Gegenrede