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Kretschmann: Zweite Fremdsprache zu lernen, ist künftig nicht mehr notwendig (“Mein Telefon übersetzt”) – Philologen empört

STUTTGART. Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg, hat – einmal mehr – die Notwendigkeit in Zweifel gezogen, dass Schülerinnen und Schüler fürs Abitur künftig noch eine zweite Fremdsprache lernen müssen. „Das brauchen wir heute nicht mehr“, befand er. Der Philologenverband zeigt sich empört und wittert einen Angriff auf das Gymnasium.

“Ich stecke mir einen Knopf ins Ohr”: Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) auf dem medienpolitischen Kongress “Source”. Foto: Staatsministerium Baden-Württemberg / Reiner-Pfisterer

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann zeigte sich beim Medien-Kongress “Source” in Stuttgart offen für ein Schulfach „Digitale Medienkompetenz”.  Dafür müsse man allerdings ein anderes Fach sein lassen, etwa eine verpflichtende zweite Fremdsprache, so der 76-Jährige. Die sei ohnehin bald nicht mehr notwendig. „Ich stecke mir einen Knopf ins Ohr und mein Telefon übersetzt – egal ob mein Gegenüber Spanisch, Polnisch oder Kisuaheli spricht“, befand Kretschmann.

Bereits im vergangenen Jahr hatte der Grünen-Politiker kontroverse Debatten ausgelöst. Im Rahmen eines Festakts zum 75-jährigen Bestehen des Deutsch-Französischen Institutes in Ludwigsburg betonte Kretschmann damals, dass die Technik das mühsame Erlernen einer zweiten Fremdsprache wie Französisch bald ersetzen könne. Es brauche „kleine Kerne“, wo richtig Französisch gesprochen werde an Schulen. Man dürfe aber nicht mehr glauben, dass jeder ein bisschen Französisch können müsse. „Und dann kann er noch nicht mal ein Eis bestellen, wenn er in den Urlaub geht“, so Kretschmann. Das mache keinen Sinn. Man müsse da disruptiver denken (News4teachers berichtete).

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„Natürlich wird Künstliche Intelligenz die Kommunikation verändern, gerade beim Lernen neuer Sprachen“

In der Folge erntete der Ministerpräsident enorme Kritik von Lehrerverbänden und der Opposition. Der Ministerpräsident bleibe sich treu und handele getreu dem Motto „Wer keine Ahnung hat, sollte wenigstens Verwirrung stiften“, kritisierte Gerhard Brand, der Bundes- und Landesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE).

Die digitale Transformation sei mehr ist als nur die Digitalisierung des Analogen, Sprache sei mehr als nur sprechen. „Mit der gelebten Sprache erschließen wir uns Kulturen und nehmen teil am Leben anderer Menschen.“ Wer vor diesem Hintergrund „schwäbisch gelehrt mit ein bisschen Disruptivität“ argumentiert, habe die Bedeutung von Sprache nicht verstanden.

Die Bildungsgewerkschaft GEW sprach seinerzeit von einem „falschen Signal“ für die Schulen und die vielen französisch-deutschen Schulpartnerschaften in Baden-Württemberg. „Natürlich wird Künstliche Intelligenz die Kommunikation verändern, gerade beim Lernen neuer Sprachen“, betonte die GEW-Vorsitzende Monika Stein. „Wer an unseren Schulen Französisch lernt, kann aber mehr als nur ein Eis bestellen. Und das sinnvolle Lernen einer Fremdsprache braucht das Gespräch untereinander.“

Und auch jetzt wieder gibt es heftigen Widerspruch. Der Philologenverband meldet sich zu Wort – und zeigt sich empört. „Ich bin fassungslos über die Aussage des Ministerpräsidenten (der selbst Lehrer war!), dass ein ‚Knopf im Ohr‘ alles richten soll“, so Landesvorsitzende Martina Scherer. „Es ist viel zu kurz gedacht, einfach alle eigenen Kompetenzen an „die KI“ abzugeben und sich damit zufriedenzugeben.“

Eine wesentliche Aufgabe schulischer Bildung auf höherem Niveau müsse weiterhin sein, sich Kompetenzen und Wissen anzueignen, um als mündiger Bürger Entscheidungen treffen zu können. „Den bloßen Umgang mit einem Werkzeug – hier der KI – zu erlernen, kann kein ausreichendes Ziel gymnasialer Bildung ein. Die Souveränität des Nutzers steht im Vordergrund: Das Formulieren sinnvoller Fragen für die KI und die Bewertung ihrer Antworten brauchen Grundlagenwissen und Denkfähigkeit. Dazu sind vor allem auch sprachliche Kompetenzen notwendig“, so Scherer.

„Die Kompetenzen durch das Erlernen einer Fremdsprache gehen weit über die reinen Sprachkenntnisse hinaus”

Außerdem dürfe Baden-Württemberg die technische Weiterentwicklung nicht anderen überlassen. „Wenn wir nur noch User sind und keine Expertinnen oder Entwickler mehr heranwachsen können, dann gehen Fortschritt und Wissenschaft schnell an unserem Land vorbei. Soll das das politische Ziel unserer Bildung werden?“, so Martina Scherer weiter. Selbstverständlich sei es notwendig, dass digitale Medienkompetenz an unseren Schulen Raum erhält, denn auch den sogenannten „digital Natives“ würden diese Kompetenzen nicht in die Wiege gelegt.

„Aber: Der Preis dafür darf nicht eine Absage an andere Fächer sein! Die zweite Fremdsprache und auch die Möglichkeit, eine weitere Sprache zu erlernen, müssen weiterhin für das Gymnasium selbstverständlich sein. Gerade die KI hängt an Sprache! Wer keine Sprache hat, kann auch KI nicht sinnvoll nutzen. Und: KI lernt nur durch und aus Sprache, da sie keine analogen Erfahrungen machen kann. Fehlende Sprache ist also letztlich selbst für die KI schädlich.“

Das allgemeinbildende Gymnasium habe sich in den letzten Jahren immer wieder gegen vermeintliche Gleichheitsbestrebungen durch Leistungsnivellierung wehren müssen. „Die verpflichtende zweite Fremdsprache ist ein Alleinstellungsmerkmal unserer Schulform, dem Gymnasium“, bekräftigt Martina Scherer. „Die Kompetenzen durch das Erlernen einer Fremdsprache gehen weit über die reinen Sprachkenntnisse hinaus, es geht auch um den interkulturellen Gedanken, um Landeskunde und Traditionen. Gerade in unserer vielfältigen Gesellschaft ist dies doch mehr als notwendig, nicht nur, um den europäischen Gedanken weiterzutragen. Sollen diese Lernziele nicht mehr zählen? Das, so die Philologen-Chefin, wäre ein neuerlicher Angriff auf das Gymnasium mit seinen spezifischen Aufgaben. News4teachers

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