BERLIN. Im Laufe der Ausbildung zur Lehrkraft springen viele junge Menschen – genauer: über 40 Prozent – ab und erreichen den Schuldienst nicht, das ist bekannt. Was sind die Gründe? Um das zu ermitteln, wirft der Stifterverband einen genaueren Blick auf die Daten. Und siehe da: Das oft gescholtene Referendariat ist offensichtlich nicht das Hauptproblem. Der Philologenverband sieht sich bestätigt.
„Frühere Prognosen zum Lehrkräftebedarf und -angebot der Kultusministerien stellten sich im Nachhinein als zu optimistisch heraus. Noch konnte der Lehrkräftemangel trotz großer Anstrengungen und aller bis jetzt auf den Weg gebrachten Maßnahmen nicht gedeckt werden“, so stellt der Stifterverband einleitend in seinem „Lehrkräftetrichter“ fest.
Die Folge: „In Deutschland besteht akuter Mangel an Lehrkräften: Es wird davon ausgegangen, dass in den nächsten zehn Jahren 68.000 bis 81.000 Lehrkräfte fehlen. Obwohl alle Bundesländer betroffen sind, variiert das Ausmaß des Mangels deutlich. Während in Schleswig-Holstein in absoluten Zahlen insgesamt mehr Lehrkräfte ausgebildet werden, als eingestellt werden müssten – allerdings nicht in den Fächern und Schulformen mit dem größten Mangel –, decken die ausgebildeten Lehrkräfte in Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen oder Sachsen nur jeweils die Hälfte des aktuellen Einstellungsbedarfs ab.“
Eine Ursache des Lehrkräftemangels: „Die Lehrkräftebildung. Denn obwohl der Lehrberuf weiterhin beliebt ist – von zwölf Erstsemstern studiert eine Person auf Lehramt – scheiden noch zu viele potenzielle Lehrkräfte zwischen Studienbeginn und Berufseintritt aus.“ Konkret: Von jährlich rund 47.000 jungen Menschen, die ein Lehramtsstudium beginnen, schließen gerade mal 28.000 ihr Referendariat ab, werden also tatsächlich auch Lehrkräfte. Mit anderen Worten: 41 Prozent der potenziellen Lehrkräfte schieden im Verlauf ihrer Ausbildung aus.
„Berlin und Sachsen-Anhalt verloren mehr als jede fünfte Person zwischen Anfang und Ende des Referendariats“
Was genau ist das Problem? Um das zu ermitteln, lohnt ein genauerer Blick in die Zahlen – und siehe da: Das häufig kritisierte Referendariat ist es offenbar nicht, jedenfalls nicht in der Fläche. Denn von 29.500 Studienabsolventinnen und -absolventen, die den Vorbeitungsdienst beginnen, schließen ihn im Schnitt 28.000 ab – also relativ viele. „Die Schwundquote im Referendariat lag bei fünf Prozent“, so stellen die Autorinnen und Autoren fest. Allerdings fiel der Verlust in einigen Bundesländern deutlich stärker aus: „Berlin und Sachsen-Anhalt verloren mehr als jede fünfte Person zwischen Anfang und Ende des Referendariats.“
Gleichwohl lautet das Fazit der Studie: Der Schwund ist im Wesentlichen auf einen Ausstieg aus dem Lehramtsstudium zurückzuführen. Berlin zum Beispiel verliert im Laufe des Studiums zwei von drei potenziellen Lehrkräften. „Hinter einer hohen Schwundquote können mehrere Faktoren stehen, wobei ein Abbruch des Lehramtsstudiums in der Regel der häufigste ist. Handlungsoptionen bestehen, wenn der Studienabbruch durch (vermeidbaren) Frust der Studierenden oder (wahrgenommene) Studienbedingungen bedingt ist. Ein Beispiel wäre Studierende im Lehramtsstudium zu halten, die dieses aufgrund eines unzureichenden Schul- oder Praxisbezugs abbrechen. Empfehlungen sehen eine stärkere Verzahnung von Theorie und Praxis in der Hochschullehre, aber auch mehr Schulerfahrung und Einbindung dieser bei den Dozierenden vor“, so heißt es.
Dass der Schwund zu Anfang des Lehramtsstudiums höher sei als gegen Ende, liege auch daran, dass Studierende dann als eher gefestigt in ihrer Entscheidungsfindung für eine Fachrichtung gelten. „Umso bedenklicher, dass sieben Bundesländer zwischen Mitte und Ende des Studiums noch mindestens jede fünfte potenzielle Lehrkraft verlieren; Sachsen-Anhalt sogar jede dritte.“ Was ist zu tun? Der Stifterverband mahnt die Kultusministerinnen und Kultusminister, das Problem überhaupt erst einmal als solches wahrzunehmen. „Zu oft werden vorhandene Daten in Frage gestellt und der tatsächliche Schwund massiv unterschätzt“, kritisiert die Studie.
„Der immer wieder beschriebene außerordentliche ‚Praxisschock‘ sowie besonders hohe Abbruchquoten im Referendariat sind ein Mythos!”
Die aktuellen Zahlen des „Lehrkräftetrichters“ entkräften nach Einschätzung des Deutschen Philologenverbands die gängige Annahme, dass ein vermeintlich zu hartes Referendariat, also der Vorbereitungsdienst, besonders viele angehende Lehrkräfte verschrecken würde. „Der immer wieder beschriebene außerordentliche ‚Praxisschock‘ sowie besonders hohe Abbruchquoten im Referendariat sind ein Mythos! Die Abbruchquoten der Referendare und Referendarinnen im Vorbereitungsdienst sind konstant niedrig. Das deckt sich auch mit unseren Erfahrungen“, sagt Philologen-Bundesvorsitzende Prof. Susanne Lin-Klitzing.
Sie betont: „Es entbehrt jeder statistischen Grundlage, die Verantwortung für den Lehrkräftemangel einem vermeintlich zu harten Referendariat in die Schuhe zu schieben. Natürlich ist das Referendariat eine herausfordernde, aber eben auch eine wertvolle Ausbildungszeit. Damit diese so gewinnbringend wie möglich genutzt werden kann, treten wir nach wie vor für ein 24-monatiges Referendariat und gegen ein überlanges Studium ein. Leider ist dies in vielen Bundesländern geradezu konterkariert worden. Die Studienzeiten wurden verlängert und das Referendariat dafür fast überall fahrlässig verkürzt – außer in Bayern und in Hessen. Dort wird erfreulicherweise an einem 24- bzw. 21-monatigen Vorbereitungsdienst festgehalten.“
„Die vielen Studienabbrecher geben zu denken“, so Lin-Klitzing. „Aber es liegt auch in der Natur der Sache, dass sich junge Menschen gelegentlich neu orientieren. Die Universitäten sollten allerdings dringend darum bemüht sein, die Studienbedingungen für Lehramtsstudierende zu verbessern. Oberstes Anliegen der Finanz- und Kultusministerien muss es darüber hinaus sein, gut ausgebildete Lehrkräfte im System zu halten, sprich: die Rahmenbedingungen zu verbessern. Das wäre die beste Werbung für den Beruf und würde sicher auch viele Studierende zusätzlich motivieren, in mancher Durststrecke durchzuhalten.“ News4teachers
Hier geht es zur vollständigen Analyse des Stifterverbands.