BERLIN. Bundeskanzler Friedrich Merz ist, nach einem denkwürdigen Tag im Parlament, gewählt und vereidigt – die neue Bundesregierung kann ihre Arbeit aufnehmen. Eines der prominentesten Kabinettsmitglieder: die designierte neue Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD). Gerade Lehrkräfte dürften mit viel Interesse auf die bisherige Bundestagspräsidentin blicken. Denn in ihrer Ablage wartet ein Vorgang von großer Brisanz: ein neues Arbeitszeitgesetz, das die Erfassung der Arbeitszeit in Deutschland regeln soll – auch für Lehrkräfte.
In Sachen Erfassung der Arbeitszeit von Lehrkräften sind die meisten Kultusministerinnen und Kultusminister abgetaucht. Zwar wurde ein erster Modellversuch dazu angekündigt – in Bremen (News4teachers berichtete). Die Umsetzung steht allerdings in den Sternen. Dabei sind die Bundesländer nach zwei Gerichtsurteilen eigentlich in der Pflicht, sich um das Thema zu kümmern. Nimmt sich die neue Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) der Sache an?
Für Lehrkräfte wird die tatsächlich geleistete Arbeitszeit bis heute nicht erhoben – obwohl es zwei Gerichtsurteile bereits von 2019 (Europäischer Gerichtshof) und von 2022 (Bundesarbeitsgericht) gibt, die Arbeitgeber grundsätzlich dazu verpflichten, „ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“, wie Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) im vergangenen Herbst in einem Schreiben erklärte. Sie und die meisten anderen Kultusminister sehen sich allerdings nicht in der Pflicht, sich zeitnah daran zu halten.
Erst im März lehnte der Landtag von Schleswig-Holstein einen Antrag der oppositionellen SPD-Fraktion ab, die Landesregierung möge die Einführung von Arbeitszeiterfassung vorbereiten. Bildungsministerin Karin Prien (CDU) – die nun als Bundesbildungsministerin nach Berlin wechselt – sieht dafür keinen Grund. Prien bezweifelte, ob eine Arbeitszeiterfassung die Attraktivität des Lehrerberufs steigern könne. Viele Lehrkräfte schätzten gerade die Flexibilität und fänden es wahrscheinlich nicht gut, wenn eine Arbeitszeiterfassung sie verpflichten würde, den gesamten Arbeitstag in der Schule zu verbringen. Was das eine – Arbeitszeiterfassung – mit dem anderen – Präsenzpflicht in der Schule – zu tun hat, blieb dabei allerdings offen.
Der Druck auf die Kultusministerien, endlich zu handeln, ist tatsächlich nicht allzu groß. Schopper ließ wissen: „Ein Verstoß gegen § 3 des Arbeitsschutzgesetzes ist nicht bußgeldbewehrt.“ Hintergrund: Die Ampel-Regierung hatte die Umsetzung der Urteile auf die lange Bank geschoben. Im Wortlaut Schoppers las sich das so: „Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat im Nachgang zum Beschluss des Bundesarbeitsgerichts angekündigt, eine Regelung zur Arbeitszeiterfassung im Arbeitszeitgesetz vorzulegen. Eine solche liegt bisher nicht vor.“
Richtig ist: Der bisherige Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) legte im April 2023 einen Gesetzentwurf vor, demzufolge die Arbeitszeit künftig elektronisch erfasst werden muss. Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit sollen danach noch am selben Tag aufgezeichnet werden. Von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung sind demnach auch Lehrkräfte, andere Beamtinnen und Beamte sowie die Wissenschaft betroffen.
„Bei der Lehrkräftearbeitszeit gilt die Besonderheit, dass nur die wöchentliche Unterrichtsverpflichtung zeitlich genau festgelegt ist“
Dass dieser Entwurf noch nicht Gesetz geworden ist, lag offensichtlich auch am Widerstand der Kultusministerinnen und Kultusminister. „Bei der Lehrkräftearbeitszeit gilt die Besonderheit, dass nur die wöchentliche Unterrichtsverpflichtung zeitlich genau festgelegt ist. Die übrigen von den Lehrkräften zu erbringenden Tätigkeiten sind hingegen zeitlich nicht festgelegt“, so begründete Schopper die ablehnende Haltung – und zitierte das Bundesverwaltungsgericht dazu: „Die durch die Regelstundenmaße erfolgende Pflichtstundenregelung ist in die allgemeine beamtenrechtliche Regelung der Arbeitszeit der Lehrkräfte als konkret messbare Größe eingebettet, während die Arbeitszeit der Lehrkräfte im Übrigen entsprechend deren pädagogischer Aufgabe wegen der erforderlichen Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, der Korrekturarbeiten, der Teilnahme an Schulkonferenzen, Besprechungen mit Eltern und dergleichen nicht im Einzelnen in messbarer und überprüfbarer Form bestimmt, sondern nur grob pauschalierend geschätzt werden kann.“
Tatsächlich schickte die Kultusministerkonferenz (KMK) einen Brief ans Bundesarbeitsministerium, um auf gesetzliche Sonderregelungen für Lehrkräfte und Beschäftigte in der Wissenschaft zu bestehen – und holte sich dort eine Abfuhr.
„Der Umstand, dass der konkrete Umfang der Arbeitszeit nicht in jedem Fall im Voraus feststeht, steht einer nachträglichen Dokumentation am Ende des Arbeitstages nicht entgegen”, so schrieb Staatssekretärin Lilian Tschan an die damalige KMK-Präsidentin, die Berliner Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU). Heißt: Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gilt nach Auffassung des Bundesarbeitsministeriums schon heute umfassend für alle Lehrkräfte in den Schulen, die Kultusministerien müssten sie jetzt umsetzen.
Tun sie aber nicht. „Da mithin alle Länder von der möglichen Einführung einer Arbeitszeiterfassung im Bereich der Lehrkräfte in vergleichbarer Weise betroffen wären, sind die Länder in der Kultusministerkonferenz (KMK) übereingekommen, gemeinsam abgestimmt vorzugehen“, erklärte Schopper.
Bedeutet praktisch: stillzuhalten. Ihr sei zwar bekannt, dass in einzelnen Ländern „entsprechende Erprobungen bzw. Untersuchungen angedacht“ seien, so Schopper. Aber: „Nach Kenntnis des Kultusministeriums findet bisher in keinem Land in der Bundesrepublik eine Arbeitszeiterfassung bei allen Lehrkräften statt.“ Im Klartext: Der Brief aus dem Bundesarbeitsministerium wird geschlossen ignoriert. Schopper hierzu: „Die Länder haben sich in der KMK hierzu verständigt und halten an der zuvor abgestimmten Haltung fest, ihre Position im weiteren Gesetzgebungsverfahren entsprechend einzubringen.“
„Das Kultusministerium hat gegenüber den Interessensvertretungen kommuniziert, dass es beabsichtigt, die Regelung auf Bundesebene zur Arbeitszeiterfassung abzuwarten“
Schoppers lapidare Zusammenfassung: „Die Abstimmungen zum Referentenentwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes hinsichtlich der Arbeitszeiterfassung sind auf Bundesebene noch nicht abgeschlossen. Zum jetzigen Zeitpunkt steht dementsprechend noch nicht fest, ob und ggf. in welcher Form die möglichen Regelungen für eine Arbeitszeiterfassung den Bereich der Lehrkräfte umfassen werden oder ggf. auch Ausnahmen vorgesehen sind.“
So ist laut Schopper „eine zeitnahe Einführung einer Arbeitszeiterfassung von Lehrkräften derzeit nicht geplant“. Sie betonte: „Unabhängig davon stehen die Landesregierung und das Kultusministerium mit den Interessensvertretungen der Lehrkräfte in einem regelmäßigen Austausch zu den jeweils aktuellen bildungspolitischen Themen. Dazu gehören auch Fragen der Arbeitszeit der Lehrkräfte, inklusive des Aspekts einer möglichen Arbeitszeiterfassung. Das Kultusministerium hat gegenüber den Interessensvertretungen kommuniziert, dass es beabsichtigt, die Regelung auf Bundesebene zur Arbeitszeiterfassung abzuwarten und auf deren Basis den Umsetzungsbedarf für Baden-Württemberg zu prüfen.“ Dass mittlerweile zwei – vom Philologenverband unterstützte – Klagen von Lehrkräften anhängig waren, verschwieg sie in ihrer Antwort.
Im vergangenen Jahr hatten eine Lehrerin und ein Lehrer an Gymnasien in Baden-Württemberg Klage wegen zu vieler Überstunden gegen das Land am Verwaltungsgerichtshof eingereicht. Unterstützt wurden sie dabei vom Philologenverband. Die Klagen wurden allerdings später zurückgezogen (aus „juristischen Gründen“, wie der Landesvorsitzende des Philologenverbands damals mitteilte) und stattdessen Überlastungsanzeigen bei der Schulverwaltung eingereicht.
Bleibt die Hoffnung auf Bärbel Bas. Immerhin: Mit dem Thema Arbeitszeit kennt sie sich aus – die Sozialdemokratin ist studierte Personalmanagement-Ökonomin von Beruf. News4teachers
Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers heiß diskutiert (Auszug):