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„Weniger ist mehr – auch in der Schule“: Sind die Lehrpläne so überfrachtet, dass Schüler (und Lehrkräfte!) überfordert sind?

DÜSSELDORF. Sind Schultage mittlerweile zu vollgepackt? Mit einem Foto eines hundert Jahre alten Stundenplans aus einem Schulmuseum im sozialen Netzwerk Linkedin hat ein Schulpraxisberater eine Diskussion ausgelöst. Im Mittelpunkt die Frage: Führen die Lehrpläne von heute zu Überforderung?

Die vollgepackten Schultage belasten die Schüler:innen enorm, warnt der Schweizer Schulberater Sammy Frey. Symbolfoto: Shutterstock / Prostock-studio

Vor hundert Jahren war Schule vollkommen anders. Das zeigt das Foto vom „Stundenplan Sommer 1924“, das Schulberater Sammy Frey online auf Linkedin veröffentlicht hat. Schultage umfassten teilweise nur drei Unterrichtsstunden, vor den Lerneinheiten am Nachmittag hatten Kinder mehrere Stunden Pause und auch samstags mussten sie zur Schule. Der Fächerkanon fokussierte auf die Bildungsgrundlagen: Rechnen, Sprache und Schreiben. Ergänzend standen Religion, Anschauungsunterricht, Singen und Turnen auf dem Plan.

Angeregt durch das Ausstellungsstück im Berner Schulmuseum kommentierte Frey sein Foto des Stundenplans mit einem kritischen Blick auf die heutigen Zustände: „Heute sind die Tage vollgepackt: ein Wechselbad aus Fächern, Lehr- und Betreuungspersonen, Mittagstisch mit Angeboten, am Abend muss man noch Hobbies und Hausaufgaben reinquetschen.“ Das belaste die Schüler:innen außerordentlich – bis zum Zusammenbruch.

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Schulberater warnt vor negativen Folgen

Frey, der jahrelang als Lehrer in der Schweiz tätig war, bevor er Schulberater wurde, wirft zusammen mit dem Foto die Frage auf, wie man Schule entschleunigen könne, „damit die Kids wieder Luft haben“. Seine Idee: überflüssige Fächer weglassen wie Früh-Französisch. Dann bleibe auch wieder mehr Zeit für Lesen, Schreiben und Rechnen. „Sie können die Sprache dann lernen, wenn das andere sitzt.“

Gegenüber dem Mediennetzwerk Ippen.Media macht der Schulberater deutlich, dass die Belastung durch den Schulalltag nicht nur ein Schweizer Problem ist, sondern auch eines des deutschen Bildungssystems. „Der Lehrplan ist viel umfangreicher geworden und die Stunden in der Schule reichen oft nicht aus, um alles zu erledigen und der ‚Rest ist Hausaufgabe‘.“ Die Folge, so Frey: überlastete Lehrkräfte, Schulverweigerung und psychischen Probleme bei vielen Kindern.

Rückenwind von John Hattie

Für seine Kritik erhält der Schulberater unter seinem Ursprungskommentar zum Foto viel Zustimmung. Einige Erwachsene teilen ihre Stundenpläne von früher, um aufzuzeigen, dass die Pläne auch vor etwa 40 Jahren den Kindern noch mehr Spielraum ließen. „Weniger ist mehr – auch in der Schule“, schreibt eine Kunsttherapeutin und fragt: „Wo bleibt der Raum fürs Lernen in Ruhe und Tiefe?“


Ähnlich begründet auch der neuseeländische Bildungsforscher Professor John Hattie im Interview mit dem Deutschen Schulportal, warum er grundsätzlich für schlanke Lehrpläne plädiert (News4teachers berichtete): „Ich werde oft gefragt, wenn ich um die Welt reise, ob ich in Ausschüssen zur Reform des Lehrplans mitarbeiten würde, und ich habe eine feste Regel: Ich sage, ich komme gerne, solange dem Ausschuss erlaubt ist, die Hälfte des Lehrplans zu streichen.“ Ein überfrachteter Lehrplan verhindere, dass Schülerinnen und Schüler Themen vertiefen können, die sie wirklich interessieren. Überspitzt: „Wir brauchen keinen Lehrplan mit 3.000 Seiten!”

„Solche vereinfachten Rückblicke helfen der heutigen Bildungsdiskussion nicht weiter“

Doch nicht alle teilen diese Meinung: Unter dem Beitrag von Schulberater Frey kritisiert eine Mutter etwa, dass der ständige Fokus auf die Defizite von Kindern den Blick auf die Leistungsstärkeren verstelle, die mehr Herausforderungen bräuchten. Und die Schulleiterin einer Bezirksschule gibt zu bedenken, dass ein Vergleich mit einem Stundenplan aus dem Jahr 1924, ohne den historischen Kontext zu berücksichtigen, „schlicht nicht zielführend sei“. „Solche vereinfachten Rückblicke helfen der heutigen Bildungsdiskussion nicht weiter – im Gegenteil: Sie verzerren die Realität und verhindern eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den echten Herausforderrungen von heute.“

Zurück zum Stand von vor hundert Jahren will Schulberater Frey natürlich nicht, wie er laut Frankfurter Rundschau betont. Er wünscht sich ein Umdenken im Bildungswesen: Schule sollte Kinder neugierig und wissensdurstig machen, statt sie mit Wissen vollzustopfen. News4teachers

Blitz-Umfrage zu Hatties Thesen (mit überraschenden Ergebnissen): Große Mehrheit stimmt zu – Lehrpläne sind überfrachtet!

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