Website-Icon News4teachers

„Lehrkräfte unterschätzen ihre Fähigkeiten enorm“: Wie Pädagoginnen und Pädagogen in der Wirtschaft durchstarten

Anzeige

DÜSSELDORF. Die Kompetenzen von Lehrkräften sind am Arbeitsmarkt stärker gefragt, als sie selbst oft ahnen. Zu diesem Schluss kommt aktuell die Wirtschaftswoche – eines der renommiertesten Wirtschaftsmagazine Deutschlands –, das den besonderen Qualifikationen, die Pädagoginnen und Pädagogen mitbringen, einen großen Beitrag widmet. Der macht deutlich: Wer Klassen managen, komplexe Inhalte vermitteln und Konflikte lösen kann, ist auch für Unternehmen ein Gewinn.

Heiß begehrt. Illustration: Shutterstock

Lehrer gelten vielen noch immer als Beamte mit Halbtagsjob, langen Ferien und überschaubarem Einsatz. Die Wirtschaftswoche räumt in einem ausführlichen Beitrag mit diesem Klischee auf – und zeigt, warum Pädagoginnen und Pädagogen für Unternehmen hochattraktiv sein können. „Tatsächlich nämlich verfügen Lehrer über eine Reihe von Kompetenzen, die Unternehmen dringend suchen“, heißt es dort.

Vom Mathe-Lehrer zum Datenanalysten

Björn Mauer, einst Gymnasiallehrer für Mathematik und Chemie, brachte seinen Schülern Bruchrechnen bei. Doch irgendwann stellte er fest: „Ich will das nicht mehr.“ Heute arbeitet er als Datenanalyst beim Softwaredienstleister Baros Solutions. Statt Klausuren zu korrigieren, schreibt er Codes und wertet Datensätze aus. „Es fühlt sich an, als würde ich dafür bezahlt, Rätsel zu lösen“, erzählt er.

Anzeige

Dass er in seinem neuen Job schnell erfolgreich wurde, liegt nicht zuletzt an Kompetenzen, die er aus der Schule mitgebracht hat: analytisches Denken, die Fähigkeit, komplexe Sachverhalte in handhabbare Schritte herunterzubrechen – und die Kunst, Inhalte so zu erklären, dass andere sie verstehen. Innerhalb eines Jahres stieg er im Unternehmen vom einfachen Mitarbeiter zum Bereichsleiter der Datenanalyse auf. „Für ihn ist das auch ein Zeichen der Wertschätzung, die er als Lehrer so oft vermisst hat“, schreibt die Wirtschaftswoche.

Von der Musiklehrerin zur Projektmanagerin

Auch Katharina Strothmann, fünf Jahre Lehrerin für Musik und Religion, entschied sich gegen ein Leben im Klassenzimmer. Schon früh engagierte sie sich über den Unterricht hinaus – als Sprecherin eines Arbeitskreises für Lehrergesundheit, bei dem sie Umfragen durchführte, Ergebnisse auswertete und diese im Kollegium präsentierte. Erst durch diese Reflexion erkannte sie, wie vielfältig ihre Kompetenzen waren: Empathie, Organisationstalent, Zeitmanagement, Kommunikationsstärke.

„Das Unternehmen hat in mir Kompetenzen erkannt, die mir selbst nicht einmal bewusst waren“, erzählt sie rückblickend. Heute arbeitet sie als Projektmanagerin bei Sdui, einem Anbieter einer digitalen Plattform für Schulen – inklusive digitalem Klassenbuch und Stundenplan. Ihre neue Rolle nutzt genau jene Fähigkeiten, die sie aus dem Lehrerzimmer mitgebracht hat: komplexe Abläufe strukturieren, verschiedene Interessen zusammenführen und verständlich kommunizieren.

„Lehrer sind Brückenbauer“ – Isabell Probst über unterschätzte Fähigkeiten

Der Wirtschaftswoche-Artikel. Ausschnitt.

Eine wichtige Stimme im Wirtschaftswoche-Beitrag ist Isabell Probst, Coachin für Lehrkräfte, die einen Ausstieg aus dem Schuldienst erwägen. Sie sagt: „Das sind vor allem leistungsbereite und lösungsorientierte Menschen.“ Lehrerinnen und Lehrer seien in der Kunst geschult, mit heterogenen Gruppen ein Ziel zu erreichen, das oft nicht das Ziel der Gruppe selbst ist. „Wer einem bockigen Teenager vermitteln kann, dass sich das Pauken von Vokabeln auszahlt, der schafft es auch, Kollegen aus anderen Abteilungen für ein Projekt zu begeistern – oder Kunden für ein neues Produkt.“ Ihre Bezeichnung für Lehrkräfte, die diesen Weg gehen: „Brückenbauer“.

Probst nimmt wahr, dass viele Pädagoginnen und Pädagogen ihre Stärken selbst nicht sehen: „Lehrer unterschätzen ihre Fähigkeiten enorm. Die meisten sehen sich nicht als Experten auf einem Gebiet. Dabei öffnet gerade das Generalistische am Lehrberuf die meisten Türen.“

Motive für den Ausstieg: Belastung, Frust, fehlende Anerkennung

Probst hat auch schon News4teachers ein ausführliches Interview gegeben. Darin machte sie die Gründe für den wachsenden Ausstieg deutlich: „Viele Lehrkräfte sind chronisch überlastet, fühlen sich von der Politik allein gelassen und finden keine Anerkennung für ihre Arbeit.“ In vielen Gesprächen sei die Resignation greifbar: Lehrerinnen und Lehrer, die morgens auf dem Parkplatz im Auto sitzen bleiben, weil sie nicht mehr die Kraft finden, das Schulgebäude zu betreten – genau wie Katharina Strothmann es beschreibt.

Zahlen untermauern diese Entwicklung: Im Schuljahr 2023/24 verließen laut Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie rund 27.000 Lehrkräfte freiwillig den Schuldienst – doppelt so viele wie noch 2015.

Wohin die Reise geht: Von NGOs bis Bestattungswesen

Doch wohin zieht es die Aussteiger? Probst berichtet im News4teachers-Interview: Viele ehemalige Lehrkräfte wechseln in bildungsnahe Branchen – Verlage, NGOs, EdTech-Start-ups oder Coaching. Andere schlagen allerdings völlig neue Wege ein. „Ich kenne auch jemanden, der ist Bestatter geworden.“ Entscheidend sei, dass sie ihre Kernkompetenzen – Organisation, Empathie, Vermittlung – überall einbringen können.

„Beeindruckende Ruhe“: Wie Fobizz von Lehrerkompetenzen profitiert

Ein Beispiel für den erfolgreichen Übergang in die Wirtschaft ist das Unternehmen Fobizz, ein Anbieter digitaler Fortbildungen für Lehrkräfte. Gründerin Diana Knodel hat bereits mehrere ehemalige Lehrerinnen eingestellt – und schwärmt gegenüber der Wirtschaftswoche: „Man merkt ihnen an, dass sie erfahren darin sind, für andere Menschen verantwortlich zu sein.“ Eine von ihnen stieg bei Fobizz rasch auf und übernahm Personalverantwortung für ein Team. „Sie macht ihren Job mit einer wirklich beeindruckenden Ruhe“, sagt Knodel. Meetings unter ihrer Leitung seien bestens vorbereitet, moderiert und effizient. Zudem könne sie Feedback geben – freundlich und gleichzeitig kritisch.

Lehrerinnen und Lehrer verfügen über ein Kompetenzprofil, das in der Wirtschaft hochgefragt ist: Belastbarkeit, Organisationstalent, Empathie, Kommunikationsstärke, didaktische Fähigkeiten, Verantwortungsbewusstsein. Während Schulen händeringend Personal suchen, profitieren Unternehmen zunehmend vom Exodus aus dem Klassenzimmer. Isabell Probst bringt es auf den Punkt: „Lehrer unterschätzen ihre Fähigkeiten enorm.“ Die Wirtschaft offensichtlich nicht. News4teachers 

Hier geht es zu dem Beitrag in der Wirtschaftswoche. 

Zahl der Kündigungen hat sich verdreifacht: Immer mehr Lehrkräfte quittieren den Schuldienst

Anzeige
Die mobile Version verlassen