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Kleiner Babyboom – aber die Gesellschaft schrumpft weiter

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WIESBADEN. Wer redet eigentlich noch vom Schülerschwund? Angesichts der großen Zahl an Flüchtlingskindern, die in die deutschen Schulen drängen, scheint es für Schulen derzeit eher notwendig, ihre Kapazitäten aufzustocken. Neue Lehrer werden in nahezu allen Bundesländern gesucht. Die von der Politik eingeplante demografische Rendite, also die Möglichkeit, freiwerdende Mittel für Bildungsreformen zu nutzen, scheint erst einmal in weite Ferne gerückt.

Doch dass der Zuzug von außen die demografische Entwicklung umkehrt, halten Experten für unwahrscheinlich. Auch wenn sich ein zarter Trend zur Familie zeigt: Auf mittlere Sicht wird die Gesellschaft schrumpfen und die Schule mit ihr. Dass 2015 in Deutschland mehr Kinder geboren wurden als pro Jahr in den 14 Jahren davor, wird daran nichts ändern.

Zwar wurden 2015 in Deutschland mehr Kinder geboren als im Jahr zuvor, doch bei Weitem noch nicht genug, die Sterbefälle auszugleichen. Foto: Quinn Dombrowski / flickr (CC BY-SA 2.0)

Ein kleiner Babyboom und mehr Hochzeiten: Wird Familie in Deutschland wieder groß geschrieben? «Es deutet sich eine Trendwende an», sagt Jürgen Dorbritz, Forschungsdirektor am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. Soziologe Harald Rost vom Staatsinstitut für Familienforschung stellt mit Blick auf Umfragen fest: «Partnerschaft, Familie und Kinder stehen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen hoch im Kurs.» Der Kinderwunsch und die tatsächliche Kinderzahl klafften auch nicht mehr ganz so weit auseinander wie noch vor 10, 15 Jahren. Trotzdem kämen weniger Babys zur Welt als ursprünglich gewünscht.

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Rund 738 000 Jungen und Mädchen wurden 2015 in Deutschland geboren. Mehr waren es nach Erhebungen des Statistischen Bundesamtes zuletzt vor 15 Jahren. Etwa 400 000 Paare gaben sich das Ja-Wort, auch hier gab es seit dem Jahr 2000 keinen höheren Wert.

Dorbritz erklärt das Plus bei den Geburten mit einem «Doppeleffekt», bestehend aus der Altersstruktur der Frauen und ihrem Verhalten. «Frauen kriegen mehr Kinder als vor drei, vier Jahren», sagt der Wissenschaftler. So sei die Geburtenziffer von 1,39 pro Frau (2011) auf 1,48 (2014) gestiegen und werde 2015 voraussichtlich noch leicht darüber liegen. Zugleich gebe es mehr Frauen im Alter zwischen 25 und 35 Jahren – also potenzielle Mütter. Dies erkläre auch die Zunahme der Eheschließungen: Mehr Paare seien im entsprechenden Alter. Und: «Kinder sind eines der zentralen Heiratsmotive.»

Soziologe Rost von der Universität Bamberg gibt jedoch zu Bedenken: «Die Menschen in Deutschland haben nach wie vor einen hohen Anspruch an Elternschaft.» Viele wollten nach einer langen Ausbildung erst einmal den beruflichen Einstieg finden und eine ausreichend große Wohnung haben. Die Fruchtbarkeit nehme mit 30 Jahren aber allmählich ab und statt der gewünschten zwei bis drei Kinder kämen dann oft nur ein bis zwei.

«Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nach wie vor schwierig», nennt Rost einen anderen Grund. Die Kinderbetreuung sei zwar ausgebaut worden, insbesondere im Schichtdienst, in Randzeiten und in den Ferien sei es aber nach wie vor nicht einfach, eine gute Betreuung zu finden. «Deutschland könnte familienfreundlicher sein.» In Frankreich etwa gebe es seit vielen Jahren große steuerpolitische Anreize für das dritte Kind.

«Die Gesellschaft ist nicht sehr kinderfreundlich», sagt auch Rembrandt Scholz vom Max-Planck-Institut für Demografische Forschung in Rostock und beschreibt eine Folge: «Viele Frauen sind mit einem Kind zufrieden.» Die Bevölkerung müsse sich darauf einstellen, dass sie schrumpfe. Denn: «Seit mehr als 40 Jahren sterben in Deutschland mehr Menschen als geboren werden.»

Mit Blick auf die gestiegene Zahl der Todesfälle – 925 000 Menschen starben 2015 in Deutschland, das waren 6,5 Prozent mehr als im Vorjahr – sagt auch Dorbritz: «Die Kluft zwischen Sterbefällen und Geburten wird sich nicht schließen, sondern eher noch größer werden.» Die Bevölkerungspyramide nennt Scholz als Grund. Und Dorbritz erläutert: «Die Babyboomer kommen so langsam in das Alter, wo die Sterbewahrscheinlichkeit steigt.» Die einzige Möglichkeit, die Lücke zwischen Sterbefällen und Geburten zu schließen, sei Zuwanderung.

Scholz sieht das anders: «Dazu wäre eine Riesenzuwanderung von mindestens 300 000 Menschen jedes Jahr notwendig.» Ob dies die Gesellschaft verkrafte, sei fraglich. Eine schrumpfende Bevölkerung sei auch nichts Schlimmes. «Das ist wertfrei. Man muss sich aber darauf einstellen und die sozialen Sicherungssysteme umbauen.» (Ira Schaible, dpa)

• zum Bericht: Statistik: Immer weniger Schüler in Deutschland – Trendumkehr durch Flüchtlinge noch nicht sichtbar
• zum Bericht: Die Politik hat sich verrechnet – demographische Rendite wird Bildungsreformen nicht finanzieren

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