DÜSSELDORF. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan lässt offenbar nichts unversucht, Kritiker seiner Politik mundtot zu machen – und das nicht nur in der Türkei. In Deutschland, genauer: in Nordrhein-Westfalen, sollen sogar türkischstämmige Schüler laut Medienberichten von den Konsulaten zu Spitzeldiensten aufgefordert worden sein. Sie wurden angeblich genötigt, mit ihren Handys heimlich Lehrer zu filmen, die sich kritisch im Unterricht zu den Ereignissen in der Türkei seit dem gescheiterten Putschversuch äußern. Die Kinder und Jugendlichen sollen diese illegalen Aufnahmen den Berichten zufolge dann an die türkischen Behörden senden. Die Konsulate weisen die Vorwürfe allerdings zurück.
Die GEW schlägt Alarm. Sie erhebt laut einem Bericht der „Rheinischen Post“ schwere Vorwürfe gegen die vier türkischen Konsulate in Nordrhein-Westfalen. Türkischstämmige Lehrer, Eltern, Imame und sogar Schüler seien aufgefordert worden, Kritiker des türkischen Präsidenten Erdogan und der Regierung in Ankara zu denunzieren. Dafür sei eine eine zentrale Veranstaltung unter dem Titel „Diskriminierung türkischer Schülerinnen und Schüler“ angesetzt worden, deren Inhalt dann aber ohne weitere Begründung geändert wurde.
Statt möglicher Sorgen und Ängste von Kindern und Jugendlichen habe plötzlich die angebliche Gefahr durch Kritiker am Kurs der türkischen Regierung auf der Tagesordnung gestanden, und die Konsuln hätten von den Anwesenden verlangt, „Kommissionen“ zu gründen, die Berichte über solche Aktivitäten sammeln und den türkischen Behörden zuleiten sollten. Die Schüler sollen Handy-Filme aus dem Unterricht kritischer Lehrkräfte liefern. „Ob die Order bereits ausgeführt wurde, wissen wir bisher nicht“, so zitiert die Zeitung den stellvertretenden GEW-Landesvorsitzenden Sebastian Krebs. Allerdings sollen manche Teilnehmer des Treffens das Ansinnen empört zurückgewiesen haben. “Bespitzelung in der Schule geht gar nicht! Wir wollen ein friedliches Miteinander, das Integration nach den Regeln unserer freiheitlichen Demokratie fördert“, sagt die nordrhein-westfälische GEW-Chefin Dorothee Schäfer.
Konsulate weisen Vorwürfe zurück
Die Konsulate haben mittlerweile erklärt, dass die Vorwürfe falsch seien – es habe keine solche Veranstaltungen gegeben. Die GEW erklärt ihrerseits heute: Sie “verurteilt alle Versuche, durch heimliche Bespitzelung und Denunziation Unruhe und Unfrieden in die Schulen zu tragen. Die Bildungsgewerkschaft ist aber nicht die Instanz, die Aufklärung in dieser hochbrisanten Angelegenheit zu erbringen hat. Die GEW NRW geht davon aus, dass im Rechtsstaat Deutschland das Ministerium für Schule und Weiterbildung (MSW) alles zum Schutz der betroffenen Lehrerinnen und Lehrer unternehmen wird und die Justiz tätig werden wird, um Bespitzelung strafrechtlich zu ahnden.”
Tatsächlich hat das Schulministerium bereits Stellungnahmen eingefordert – und bekommen. Die Konsulate hätten die Vorwürfe als haltlos bezeichnet, teilte ein Ministeriumssprecher am Freitag mit. Auch die die Föderation Türkischer Elternvereine habe widersprochen. «Das nehmen wir zur Kenntnis und werden die Stellungnahmen den Sicherheitsbehörden zur Verfügung stellen», sagte der Sprecher. Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) werde in der nächsten Sitzung des Schulausschusses des Landtags umfassend über den gesamten Vorgang berichten. Die Staatsanwaltschaft prüft laut “Rheinischer Post” aktuell, ob ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird.
Vorwürfe gegen Ditib erhärtet
Einem Bericht des „Kölner Stadt-Anzeigers“ zufolge erhärten sich unterdessen Spionage-Vorwürfe gegen die Türkisch-Islamische Anstalt für Religion (Ditib), die in Nordrhein-Westfalen unter anderem im Beirat für den Islamunterricht an den Schulen im Land sitzt. Das NRW-Innenministerium bestätigte auf Anfrage der Zeitung, dass fünf Lehrer aus dem Landesschuldienst, die auch islamischen Religionsunterricht geben, auf Spionage-Listen mit angeblichen Gülen-Anhängern auftauchen. Die Listen sollen im Auftrag der türkischen Religionsbehörde Diyanet von Ditib-Predigern im Bereich der Generalkonsulate Köln, Düsseldorf und München erstellt und nach Ankara übermittelt worden sein. Der in den USA lebende Prediger Fethullah Gülen gilt für die türkische Regierung als Staatsfeind und Auftraggeber für den gescheiterten Putsch; seine Anhänger werden rigoros verfolgt.
„Aufgrund der ungeheuerlichen Spitzelvorwürfe, die jetzt vom Generalbundesanwalt untersucht werden, ist Unruhe entstanden“, sagte NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne). Um den islamischen Religionsunterricht in den Schulen nicht zu belasten, habe sie Ditib aufgefordert, ihren Sitz im Beirat ruhen zu lassen, erklärte sie. Der achtköpfige Beirat gibt seine Zustimmung zu Lehrplänen für den islamischen Religionsunterricht an den Schulen in NRW und ist an der Genehmigung von Lernmitteln beteiligt. Erdogan selbst will laut “Bild”-Zeitung im März auf einer Großveranstaltung in Nordrhein-Westfalen für sein umstrittenes Präsidialsystem werben. Für den 16. April ist in der Türkei eine Volksabstimmung angesetzt, an der auch die in Deutschland lebenden Türken teilnehmen können. Agentur für Bildungsjournalismus
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