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Gegen die Verunsicherung unter Lehrern: Welche Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen überhaupt noch erlaubt sind

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DÜSSELDORF. Am Ende gab’s dann doch einen Freispruch: Vor gut einem Jahr sorgte der Fall eines Musiklehrers für Schlagzeilen, der im Untericht eine Stillarbeit aufgegeben hatte – und zunächst wegen “Freiheitsberaubung” verurteilt worden war. Das Problem: Er erlaubte nur denjenigen Schülern das Verlassen des Klassenzimmers, die mit der Arbeit fertig waren. Mehr noch: Er setzte sich mit seinem Stuhl vor die Tür. Erst in zweiter Instanz wurde festgestellt, dass der Pädagoge sich keiner Straftat schuldig gemacht hatte. Das Verfahren sorgt allerdings bis heute für Unsicherheit unter Lehrern: Welche Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen sind denn überhaupt noch erlaubt? Dr. Thomas Böhm ist Dozent für Schulrecht – hier ist ein Auszug aus seinem Überblick, der in voller Länge in der Zeitschrift “Grundschule” erschienen ist.

Hier ist der vollständige Beitrag herunterladbar (kostenpflichtig).

Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen sind in den Schulgesetzen der Länder geregelt. Foto: Shutterstock

Was Sie über Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen wissen müssen

Die Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen sind in den Schulgesetzen der Länder geregelt. Erziehungsmaßnahmen werden dabei nur beispielhaft aufgeführt, während es bei den Ordnungsmaßnahmen einen abgeschlossenen Katalog der zur Verfügung stehenden Maßnahmen gibt. Die Erzieherischen Maßnahmen sind keine Verwaltungsakte, gegen sie kann daher nur eine Beschwerde, aber kein Widerspruch  eingelegt werden. Einige Länder schließen die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs bei den meisten Ordnungsmaßnahmen mit Ausnahme der Entlassung von der Schule aus, während in anderen Ländern der Widerspruch eine aufschiebende Wirkung hat, die von der Schule allenfalls mit einer Anordnung der sofortigen Vollziehung beseitigt werden kann.  Erzieherische Einwirkungen können mündlich oder schriftlich mitgeteilt werden, während Ordnungsmaßnahmen den Eltern immer schriftlich mitzuteilen sind.

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Die Erzieherischen Einwirkungen zielen vorrangig auf eine Verhaltensänderung der Schüler durch Einsicht und können von allen Lehrkräften einzelnen oder in Absprache ergriffen werden. Die Ordnungsmaßnahmen sollen  auch die Einsicht der Schüler in ein Fehlverhalten fördern, dienen aber vor allem der Sicherung der schulischen Ordnung. Sie können je nach Landesregelung nur von der Schulleitung oder einer Konferenz ausgesprochen werden.

Erzieherische Einwirkungen und Ordnungsmaßnahmen  sind pädagogische Maßnahmen, die dem Erziehungsauftrag der Schule dienen, die Erfüllung des Unterrichtsauftrages sichern sowie der Aufsichts-und Fürsorgepflicht der Schule entsprechen, da sie die Schädigung der am Schulleben Beteiligten und anderer Personen verhindern sollen.

Zeitschrift 'Grundschule'

Weitere Beiträge zum Thema Schulrecht sind in der Zeitschrift “Grundschule” mit dem Titel “Keine Angst vor dem Schulrecht! Was Sie für Ihre pädagogische Arbeit wissen müssen” erschienen. Hier lässt sich das Heft bestellen oder lassen sich einzelne Beiträge herunterladen (kostenpflichtig).

Früher galten Lehrer als unantastbar. Sie waren viel geachtete Respektspersonen. Doch diese Sichtweise hat sich längst überholt. Sehen Eltern heutzutage eine Lehrkraft im Unrecht und ihren Sohn oder ihre Tochter in irgendeiner Weise in der Schule benachteiligt, werden sie aktiv, beschweren sich bei der Dienstaufsicht oder beschreiten sogar den Klageweg. Das wirft grundsätzliche Fragen auf: Was dürfen Lehrer eigentlich und was nicht? Wo warten im Dickicht des Schulrechts besondere Fallstricke? Wir wollen Ihnen Orientierung bieten und haben Experten befragt, was Lehrer im Schulalltag an rechtlichen Aspekten beachten sollten und auch müssen.

Die gelegentlich vertretene Auffassung,  Ordnungsmaßnahmen  seien in der Grundschule nicht angebracht, da die Grundschule pädagogisch und erzieherisch tätig werden müsse, beruht auf einer Verkennung des pädagogischen Gehalts von Ordnungsmaßnahmen, die immer eine sorgfältige pädagogische Würdigung des Schülerverhaltens voraussetzen.  „Auch Ordnungsmaßnahmen erfüllen erzieherische Ziele.“ (Avenarius / Füssel: Schulrecht, 2010, S. 491) Ein weitgehender Verzicht auf Ordnungsmaßnahmen würde im übrigen auch der Verpflichtung  der Schule widersprechen, Fehlverhalten von Schülern wirkungsvoll zu unterbinden, um wichtige Rechtsgüter wie das Recht der anderen Schüler auf ungestörten Unterricht, körperliche Unversehrtheit und angstfreien Schulbesuch zu schützen.

Erziehungsmaßnahmen und Ordnungsmaßnahmen  setzen ein Fehlverhalten  voraus.  Ordnungsmaßnahmen dürfen erst ergriffen werden, wenn Erzieherische Einwirkungen sich als wirkungslos erwiesen haben oder angesichts der Schwere des Fehlverhaltens offensichtlich nicht ausreichen.

Fehlverhalten

Das Fehlverhalten muss einzelnen Schülern zuzurechnen sein. Es können daher auch Maßnahmen gegen Schülergruppen ergriffen werden, wenn das Fehlverhalten jedem einzelnen Schüler zuzurechnen ist.  Eine Gruppe darf aber nicht pauschal für das Fehlverhalten einzelner verantwortlich gemacht werden.  Hat sich dagegen eine Schülergruppe am Fehlverhalten beteiligt, ohne dass sich Art und Ausmaß der Beteiligung einzelner genau feststellen ließen, handelt es sich nicht um eine rechtswidrige Kollektivmaßnahme, da alle Schüler an dem Fehlverhalten beteiligt waren. Dabei muss nicht in jedem Fall festgestellt werden, welches Ausmaß das Fehlverhalten hatte. Hat eine Klasse den Klassenraum verschmutzt, können alle Schüler verpflichtet werden, den Raum zu säubern, unabhängig von der genauen Art und dem Ausmaß ihrer Beteiligung an der Verschmutzung des Raumes. Um eine rechtswidrige Kollektivmaßnahme würde es sich nur handeln, wenn Schüler, die an der Verschmutzung unbeteiligt waren, ebenfalls von der Erziehungsmaßnahme betroffen wären.

Zur Begründung einer Ordnungsmaßnahme dürfen grundsätzlich auch generalpräventive Gründe angeführt werden (OVG NRW, Az.: 19 B 985/14; In: SchulRecht 3-4/2015, S. 50f). Ordnungsmaßnahmen sollen die Ordnung in der Schule nicht nur sichern, indem sie auf Schüler einwirken, die ein Fehlverhalten gezeigt haben, sondern auch, indem anderen Schülern deutlich gemacht wird, welches Verhalten in der Schule nicht akzeptiert und in bestimmter Weise sanktioniert wird.

Bei gemeinschaftlichem Fehlverhalten einer Lerngruppe und bei besonders häufigem Fehlverhalten bestimmter Schüler ist den Ursachen für das Fehlverhalten in besonderer Weise nachzugehen,  da es sich um eine erzieherisch besonders problematische Situation handelt, von der besondere Gefahren ausgehen. In den meisten Fällen ist es offensichtlich, dass es sich um ein Fehlverhalten handelt, da Schüler gegen gesetzlich vorgegebene Pflichten oder sogar Normen des Strafgesetzbuches verstoßen haben. In Zweifelsfällen legt die Lehrkraft willkürfrei fest, welches Verhalten untersagt ist, oder die Schule untersagt in einer von einer Konferenz beschlossenen Schulordnung bestimmte Verhaltensweisen. Das Verbot, den Unterricht zu stören, ist gesetzlich vorgegeben. Die Einschätzung, ob Essen und Trinken während des Unterrichts den Unterricht stören, kann aber unterschiedlich ausfallen. Die entsprechenden Regeln sollten daher in einer Schulordnung konkretisiert werden.

Kein Verschulden

Ordnungsmaßnahmen  setzen kein Verschulden voraus. Sie können daher auch gegenüber Schülern ergriffen werden, die aufgrund ihres Alters, einer Behinderung oder eines Förderbedarfs nicht schuldhaft gehandelt haben. Ordnungsmaßnahmen dienen dem Schutz aller am Schulleben Beteiligten, sie sind aber keine Strafen.  Würde man bei fehlendem Verschulden keine  Ordnungsmaßnahmen aussprechen können,  würde man die Opfer den Tätern schutzlos ausliefern. „Die Überweisung an eine andere Schule derselben Schulform als Ordnungsmaßnahme hätte selbst bei einem positiv festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf ausgesprochen werden können.“ (OVG Niedersachsen, Az.: 2 ME 416/12; In: SchulRecht 11-12/2013, S. 164).

Erziehungsmaßnahmen

Zu den Erziehungsmaßnahmen, die Lehrkräfte ergreifen dürfen, gehören das erzieherische Gespräch, die Ermahnung, Gruppengespräche mit Schülern und Eltern, die mündliche oder schriftliche Missbilligung des Fehlverhaltens, der Ausschluss von der laufenden Unterrichtsstunde, die Nacharbeit unter Aufsicht nach vorheriger Benachrichtigung der Eltern, die zeitweise Wegnahme von Gegenständen, Maßnahmen mit dem Ziel der Wiedergutmachung angerichteten Schadens und die Beauftragung mit Aufgaben, die geeignet sind, das Fehlverhalten zu verdeutlichen und besondere schulische Arbeitsstunden unter Aufsicht.  Diese Aufzählung ist lediglich beispielhaft und nicht abschließend. Die Lehrkräfte können daher jede erzieherische Maßnahme ergreifen, die der Schwere des Fehlverhaltens entspricht.

Es gehört auch zum erzieherischen Auftrag der Schule, bei schwerwiegendem Fehlverhalten, Gefährdung des Kindeswohls oder einer kompletten Verweigerung der Zusammenarbeit durch die Eltern das Jugendamt, die Polizei oder andere Behörden zu informieren.

Zivilrechtliche Schadensersatzansprüche von Schülern gegeneinander kann die Schule nicht mit Ordnungsmaßnahmen durchsetzen. Bei der Entscheidung, ob eine Ordnungsmaßnahme ergriffen wird und welche Ordnungsmaßnahme ausgewählt wird, können aber die Einsicht eines Schülers in sein Fehlverhalten und die Bereitschaft des Schülers und seiner Eltern, Schadensersatz zu leisten, als wichtige Gesichtspunkte der Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigt werden.

Lehrkräfte können Schüler von der laufenden Unterrichtsstunde, die Schulleitung kann sie für den Rest eines Unterrichtstages ausschließen. Der Ausschluss von einem oder mehreren Unterrichtstagen ist eine Ordnungsmaßnahme, die je nach Landesregelung von der Schulleitung oder einer Konferenz ausgesprochen werden kann.

Ordnungsmaßnahmen

Zu den Ordnungsmaßnahmen gehören der schriftliche Verweis, die Überweisung in eine parallele Klasse oder Lerngruppe, der vorübergehende Ausschluss vom Unterricht von einem oder mehreren Tagen, der Ausschluss von Schulveranstaltungen wie einem Wandertag oder einer Klassenfahrt, die Androhung der Entlassung von der Schule  und die Entlassung von der Schule.

Die Schule kann alle tatsächlich möglichen und rechtlich zulässigen Maßnahmen ergreifen, um die Gesundheit, das Eigentum und andere Rechtsgüter der Schüler vor rechtswidrigen Eingriffen durch Mitschüler zu schützen. Schüler haben allerdings keinen Anspruch darauf, dass die Schule vorbeugend die Aufnahme eines Schülers unterlässt, von dem eine Gefahr ausgehen könnte. Ein Schüler, der mit Widerspruch und Klage gegen die Aufnahme eines Mitschülers in die von ihm besuchte Grundschule vorging und sich dabei auf schwerwiegende frühere Konflikte wie Bedrohung und Körperverletzung berief, scheiterte, da die Regelungen zur Aufnahme von Schülern nicht den Zweck verfolgen, Mitschüler vor der Aufnahme von Schülern zu schützen, von denen sie sich beeinträchtigt fühlen, und allein die Aufnahme eines Schülers in eine Schule noch keine Rechte von Mitschülern verletzen kann, da das erst das der Aufnahme folgende Verhalten des Aufgenommenen tun kann (VG Stuttgart, Az.: 12 K 2286/11; In: SchulRecht 7-8/2012, S. 78).

Ein Schüler hat auch keinen Anspruch darauf, dass die Schule die von ihm gewünschte Ordnungsmaßnahme gegen einen Mitschüler anwendet, da die Schule und die Schulaufsicht nach pflichtgemäßem Ermessen über Ordnungsmaßnahmen entscheiden. „Gerichte dürfen nur unsachliche und offensichtlich übermäßige Reaktionen auf das Verhalten eines Schülers beanstanden, daher verbietet es sich grundsätzlich für ein Gericht, die Schule zur Einleitung einer Ordnungsmaßnahme zu verpflichten. Eine Ausnahme besteht allenfalls dann, wenn das Ermessen der Schule oder der Schulaufsicht „auf Null geschrumpft“, also derart eingeschränkt ist, dass einzig und allein die begehrte Ordnungsmaßnahme getroffen werden müsste“ (VG Darmstadt, Az.: 3 L 879/14; In: SchulRecht 9-10/2015, S. 139f).  Schüler, die unter dem Fehlverhalten anderer Schüler leiden, können daher nur bei schwerwiegenden Beeinträchtigungen, gegen welche die Schule nicht oder nur mit offensichtlich ungeeigneten Mitteln vorgeht, auf dem Rechtsweg einen Schutz durch schulische Ordnungsmaßnahmen erzwingen. Angesichts dieser rechtlichen Schwäche der Opfer sollte die Schule ihre Verpflichtung zum Schutz der Rechtsgüter aller Schüler sehr ernst nehmen, ohne auf Fehlverhalten vorschnell oder zu hart zu reagieren.

Hier ist der vollständige Beitrag herunterladbar (kostenpflichtig).

Der Autor

Dr. Thomas Böhm ist Dozent für Schulrecht und Rechtskunde am Institut für Lehrerfortbildung in Essen-Werden. Er ist Herausgeber der Zeitschrift „SchulRecht“, deren Schwerpunkte die aktuelle Rechtsprechung zum Schulrecht und Rechtsfragen aus der schulischen Praxis bilden. Seine Handbücher „Schulrechtliche Fallbeispiele für Lehrer“, „Aufsicht und Haftung in der Schule“ und „Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen in der Schule“  erläutern die Rechtslage am Beispiel zahlreicher Fälle.

Die heikle Frage der Aufsichtspflicht – worauf müssen Lehrer achten? Und wo sind die Grenzen?

 

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