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Studie: Nicht alle Schulen tragen die Inklusion mit – vor allem Gymnasien klinken sich aus

JENA. Noch immer tun sich das deutsche Bildungssystem und seine Akteure schwer mit dem Thema Inklusion. In Jena haben Forscher über mehrere Jahre den Inklusionsprozess begleitet. Nicht alle Schulen tragen die Bemühungen mit – wofür es keinen nachvollziehbaren Grund gibt, meinen die Wissenschaftler.

Erziehungswissenschaftlerinnen der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Humboldt-Universität Berlin haben innerhalb zweier Projekte über sechs Jahre hinweg genauer beobachtet, wie die Stadt Jena und ihre Schulen die Inklusion von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf angehen.

Die meisten Lehrer in Jena standen der Inklusion sehr offen gegenüber. Foto: U.S. Air Force photo / Staff Sgt. Carolyn Viss (p.d.)

„Jena ist in vielerlei Hinsicht Vorreiter, was Inklusion angeht“, sagt Bärbel Kracke von der Friedrich-Schiller-Universität. „Allein schon, dass sich die Zuständigen 2011 wissenschaftliche Expertise ins Boot geholt haben, um zu hinterfragen, wie das Thema an Jenaer Schulen behandelt wird – und mit welcher Qualität –, macht deutlich, welchen Stellenwert sie dem Thema beimessen.“ Damals lernten bereits 60 Prozent aller Schüler mit Lernbeeinträchtigungen in allgemeinen Schulen. Inzwischen sind es sogar 90 Prozent.

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Bei ihren Untersuchungen haben die Expertinnen festgestellt, dass Inklusion auch in Jena durchaus nicht von allen Schulen getragen wird, sondern dass es besonders engagierte Einrichtungen gibt, die sich dem Thema sehr intensiv widmen. So seien beispielsweise vor allem die Thüringer Gemeinschaftsschulen eine wichtige Anlaufstelle, da hier Schülerinnen und Schüler von der ersten bis zur zwölften Klasse gemeinsam lernen können und somit ein stabiles Umfeld ohne Schulwechsel gegeben ist.

Gymnasien hingegen verweigerten sich größtenteils der Aufnahme von Schülern mit Lernbeeinträchtigungen und begründen dies mit dem höheren Leistungsanspruch. Doch will Bärbel Kracke das nicht gelten lassen: „Wissenschaftliche Studien sagen ganz klar, dass die schulische Leistung von Kindern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf nicht leiden an Schulen, die inklusiv auch andere Kinder betreuen“, sagt die pädagogische Psychologin. „Im Gegenteil dazu zeigen andere Untersuchungen, dass die Sozialkompetenz der Kinder und Jugendlichen dadurch gefördert wird.“

Schule sollte nach Krackes Meinung immer offen sein für die soziale Vielfalt der Gesellschaft, um die Integration unserer hochkomplexen Gesellschaft zu stärken. Außerdem sei wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Schüler mit Lernbeeinträchtigungen vom Lernumfeld einer allgemeinen Schule profitieren und beispielsweise häufiger befähigt werden, eine Berufsausbildung zu absolvieren.

„Es gibt viele Schulen hier, die sich dem Thema sehr aktiv zugewandt haben, die Konzepte entwickeln und umsetzen. Und es gibt einige wenige, die sich leider immer noch verweigern“, sagt Kracke. „Die meisten Lehrerinnen und Lehrer stehen dem Thema sehr offen gegenüber. Wir haben in unseren Gesprächen häufig gehört, dass sie es gar nicht als so wichtig empfinden, umfassend theoretisch auf Inklusion vorbereitet zu sein. Viel wichtiger sei es, sich einem Kind mit besonderem Förderbedarf zu öffnen, sich auf die Herausforderung einzulassen, gut mit den Eltern zu kommunizieren und stetig zielgerichtet fortzubilden – dann kommt alles andere während des Machens.“

Insgesamt führten die Erziehungswissenschaftlerinnen Interviews mit etwa 140 Personen aus ganz unterschiedlichen Bereichen. „Wir haben mit Schulleiterinnen und -leitern, Lehrerinnen und Lehrern, Sonderpädagoginnen und -pädagogen sowie mit Eltern gesprochen und darüber hinaus den Unterricht an fast allen Schulen beobachtet“, berichtet Krackes Mitarbeiterin Stefanie Czempiel.

Die Herangehensweise Jenas im Bereich Inklusion hat Modellcharakter für andere Kommunen, bestätigten Vertreter des Deutschen Städtetages während der Tagung zum Projektabschluss. Ihr Erfolg sei vor allem der Sensibilität der Verwaltung gegenüber dem Thema zu verdanken. „Zudem investiert die Stadt viel Geld in Schulbegleitung, die zum einen die Kinder mit Hilfebedarf unterstützen und zum anderen in systemischer Funktion eine gesamte Klasse bereichern kann“, sagt Kracke. Zudem treffe sich ein Kreis aus Akteuren der Verwaltung und der Universität regelmäßig, um Prozesse auszuwerten und weitere mögliche Initiativen auf den Weg zu bringen. Eine Koordinierungsstelle innerhalb der Stadt zur Unterstützung von Eltern mit Kindern mit besonderem Förderbedarf während der gesamten Bildungsbiographie wäre darüber hinaus empfehlenswert. (pm)

Die Studienergebnisse sind im Sammelband „Schulische Inklusion in der Kommune“ (Waxmann Verlag, Münster/New York 2019, 350 Seiten, 37,90 Euro, ISBN 978-3-8309-3991-7) veröffentlicht.

Gymnasien kneifen bei der Inklusion (wie eine Abfrage des NRW-Schulministeriums zeigt)

 

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