DRESDEN. Bei den Verantwortlichen in den Kultusministerien sollten jetzt – nach den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg – die Alarmglocken schrillen: Das Bild vom alten, abgehängten AfD-Wähler gilt nicht mehr. Rechtspopulismus wird in Ostdeutschland zur Jugendbewegung. Das bedeutet: Wer politische Bildung in Schulen nicht voranbringt, riskiert die Zukunft der liberalen Demokratie. Eine Analyse von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek.
„Eines weiß man jetzt, nach den Erfolgen der AfD in Brandenburg und Sachsen: Wer weit rechts steht, wer mit dem Rechtsextremismus verstrickt ist, der kann damit in Ostdeutschland ein Viertel der Stimmen gewinnen. Und das ist die Katastrophe dieses Wahlabends“, so kommentiert der „Spiegel“. Tatsächlich kommt es noch dicker: In Sachsen konnte keine andere Partei bei 18- bis 24-Jährigen besser punkten als die AfD. Auch in Brandenburg gewannen die Rechtspopulisten zahlreiche Jungwähler. Heißt: Fremdenfeindlichkeit und Misstrauen gegenüber der Demokratie wachsen sich nicht aus – sie wachsen nach.
In vielen ostdeutschen Schulen findet politische Bildung praktisch nicht statt
Ist das ein Wunder? Politische Bildung findet in vielen ostdeutschen Schulen praktisch nicht statt. Im Gegenteil. Lehrer, die für die Demokratie einstehen, müssen mit Anfeindungen rechnen. Und verantwortliche Politiker ignorieren die Probleme. Beispiel Sachsen, eine Episode aus dem November des vergangenen Jahres: Kultusminister Christian Piwarz (CDU) stellt ein Modellprojekt mit dem Titel „Starke Lehrer – starke Schüler“ vor. Inhalt: Lehrer sollen im richtigen Umgang mit fremdenfeindlichen Schülern geschult werden. So weit, so nett.
Was der Minister allerdings bei der Präsentation des Projekts verschweigt (und was erst durch eine Recherche von News4teachers bekannt wird): Das Modell war bereits drei Jahre zuvor gestartet worden und es gab im gesamten Verlauf massive Schwierigkeiten. Nicht nur, dass viele Lehrer Fremdenfeindlichkeit bei ihren Schülern gar nicht problematisieren mochten. Rassismus und Rechtsradikalismus waren offenbar so präsent an den Schulen, dass die wenigen Lehrer, die sich an dem Projekt beteiligten, Angst hatten, sich vor Schülern offen für die rechtsstaatliche Demokratie einzusetzen. „Entsprechende Interventionsformen werden von vielen Lehrkräften (..) als riskant wahrgenommen. Man mache sich angreifbar und laufe Gefahr, in der Auseinandersetzung mit rechtsaffinen Schülern zu unterliegen. Man will vor der Klasse nicht sein Gesicht verlieren“, so heißt es im Evaluationsbericht.
Überrascht zeigen sich die Autoren, dass Teilnehmer von Widerstand sogar aus dem Kollegenkreis berichteten. „Verunsicherung wurde dadurch hervorgerufen, dass im Kollegium negative Einstellung gegenüber dem Projekt in durchaus abschätziger Weise offen kommuniziert wurden. Projekteilnehmerinnen und Projekteilnehmer schilderten, wie von Teilen des Kollegiums offensiv rechtspopulistische Positionen vertreten wurden. Da auch viele Schulleitungen sich nicht oder nur sehr zurückhaltend zugunsten der Projektziele positionierten, fiel es den Lehrkräften schwer, sich im Sinne des Projektes in der Schulöffentlichkeit zu engagieren.“
Das Fazit der Wissenschaftler fiel vernichtend aus: „In Bezug auf die Entwicklung einer reflexiven Schulkultur im Umgang mit rechtsextremen Vorfällen zeigte sich, dass an den Projektschulen insgesamt kaum Veränderungen erreicht werden konnten.“ Heißt: Der Fremdenhass grassiert dort weiter unwidersprochen. Und der verantwortliche Minister? Schmückt sich weiter mit dem Projekt, hält es aber nicht für nötig, die Probleme anzusprechen. Offenbar ein zu heißes Eisen.
“Indoktrination ist unvereinbar mit der Rolle des Lehrers”
Die Episode zeigt schlaglichtartig, welch politisches Klima offenbar in Teilen Ostdeutschlands herrscht. Der „Sachsen-Monitor“, eine im Auftrag der Landesregierung erhobene Umfrage, hatte bereits 2016 ein weit verbreitetes Misstrauen gegenüber der parlamentarischen Demokratie offengelegt. Zudem wurde deutlich, dass überproportional viele jüngere Menschen in Sachsen sich unkritisch gegenüber dem Nationalsozialismus zeigen. Hat die Schule im Freistaat bei der politischen Bildung versagt? Der Sächsische Lehrerverband wies nach den Ausschreitungen von Chemnitz den Vorwurf zurück – mit einer allerdings fragwürdigen Begründung.
„Sächsische Lehrerinnen und Lehrer nehmen ihren Bildungs- und Erziehungsauftrag sehr ernst und setzen ihn vorbildlich um. Das beschränkt sich bei weitem nicht nur auf den Bereich der politischen Bildung“, erklärte Jens Weichelt, Vorsitzender des Sächsischen Lehrerverbandes. Entsprechend falsch sei es, den Schulen eine Mitverantwortung an den politischen Entwicklungen im Freistaat zu unterstellen oder gar Lehrer mit DDR-Biographie als Mitverursacher darzustellen. „Schule ist kein Reparaturbetrieb der Gesellschaft. Bildung findet nicht losgelöst von gesellschaftlichen Entwicklungen statt, sondern greift diese auf. Hier machen es sich einige Leute zu einfach bei der Ursachenanalyse“, meinte Weichelt.
Er verwies auf den sogenannten Beutelsbacher Konsens zur politischen Bildung, der seit 1976 in der Bundesrepublik Deutschland Grundsätze für den Politikunterricht festlegt. Das „Überwältigungsverbot“ erlaube es nicht, „den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der ‚Gewinnung eines selbständigen Urteils‘ zu hindern. Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen Politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination aber ist unvereinbar mit der Rolle des Lehrers in einer demokratischen Gesellschaft und der – rundum akzeptierten – Zielvorstellung von der Mündigkeit des Schülers.“
Ist Demokratiebildung in der Schule – Indoktrination?
Ist eine Demokratie-Erziehung, die Schülern die Regeln des rechtsstaatlichen Miteinanders vermittelt, für den Sächsischen Lehrerverband also Indoktrination? Umgekehrt: Hat die Schule „neutral“ zu sein, wenn extreme Einstellungen wie Fremdenfeindlichkeit von vielen Menschen geteilt werden?
Tatsächlich ist das in Sachsen der Fall. „Auffallend sind das recht geringe Vertrauen in die Funktionsweise der Demokratie und deren Institutionen“, so stellte der „Sachsen-Monitor“ bereits 2016 fest. „Den Parteien, Regierungen und Parlamenten – mit Ausnahme der kommunalen Ebene – vertraut nur eine Minderheit.“ Eine Mehrheit ist hingegen der Meinung, Deutschland brauche eine starke Partei, die die „Volksgemeinschaft“ insgesamt verkörpert. Zudem sehen 46 Prozent die DDR nicht als Unrechtstaat. Und: „Ressentiments gegen Personen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit sind in Teilen der sächsischen Bevölkerung verbreitet. So ist eine Mehrheit (58 Prozent) der Sachsen der Meinung, dass Deutschland in einem gefährlichen Maß ‚überfremdet‘ sei.“ Je jünger die Befragten sind, desto größer ist die Zustimmungsrate zu radikalen Positionen.
Immerhin – es geht auch anders. In Mecklenburg-Vorpommern wurde am Montag die landesweit 50. „Schule gegen Rassismus“ vorgestellt. News4teachers
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Demokratiebildung: Kostenlose Unterstützung für die schulische Praxis
