DÜSSELDORF. Ein kleiner Schritt zurück in eine Normalität, die eigentlich keine ist: In NRW öffneten die ersten Schulen unter starken Corona-Sicherheitsvorkehrungen mit einem Teil der Schüler. Viele hatten dagegen erhebliche Gesundheitsbedenken – auch wegen der kurzen Vorbereitungszeit, die die Landesregierung den Schulleitungen und Schulträgern eingeräumt hat. Zehn Prozent der rund 5.500 Schulen im Land haben innerhalb von nur einem Tag um Unterstützung gebeten bei der Beschaffung von Hygiene-Artikeln. Schulministerin Gebauer reagiert mit Kritik an den Kommunen.
Fast sechs Wochen nach der Schließung der Schulen in Nordrhein-Westfalen wegen der Corona-Krise öffneten viele am Donnerstag erstmals wieder ihre Pforten für Tausende Prüflinge. Das Schulministerium rechnete mit maximal 250.000 von insgesamt 2,5 Millionen Schülern in NRW (um die Zahl gab es zuletzt Verwirrung – News4teachers berichtete). Den knapp 90.000 Abiturienten war es freigestellt, wieder zur Schule zu kommen, weil sie nach den Osterferien ohnehin keinen regulären Unterricht mehr gehabt hätten. Für Schüler, die vor anderen Abschlussprüfungen stehen, galt dagegen bereits ab heute wieder die Schulpflicht.
Gesundheitliche Risiken für Schüler und Lehrer?
Die CDU/FDP-Koalition in NRW nutzte mit der Entscheidung die früheste Option einer Bund-Länder-Vereinbarung zur Schulöffnung. Oppositionsparteien sowie Schüler- und Lehrervereinigungen haben erhebliche Bedenken wegen gesundheitlicher Risiken für Schüler, Lehrer und deren Angehörige (News4teachers berichtete).
Das Aktionsbündnis «Schulboykott NRW» wollte sich vor der Düsseldorfer Staatskanzlei zu einer zweiten kleinen Kundgebung in dieser Woche treffen. Die Aktivisten fordern, das Abitur 2020 nach Durchschnittsnoten zu vergeben statt nach Abschlussprüfungen. Wegen hoher Sicherheitsauflagen war die Protestaktion nach Angaben der Veranstalter mit nur 25 Teilnehmern vor Ort geplant.
Laut einer Umfrage für die FDP-Landtagsfraktion befürworten fast 57 Prozent von 2002 repräsentativ befragten Bürgern in NRW eindeutig oder eher Abiturprüfungen unter Schutzmaßnahmen. Nur ein Drittel der Befragten wollen eindeutig oder eher die bisherigen schulischen Leistungen zur Grundlage der Abiturnote machen, wie die «WAZ» erfuhr. Die Grünen forderten hingegen in einem Brief an Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), sich zu besinnen und den Schulstart auf den letzten Drücker noch zu stoppen, wie die «Rheinische Post» berichtete.
Erst am Mittwoch hatte die Landesregierung Empfehlungen mit Verhaltensregeln zur Schülerbeförderung veröffentlicht. Dort wird unter anderem die «Bitte» geäußert, lieber zu Fuß oder per Fahrrad zur Schule zu kommen als mit Bus und Bahn. Außerdem sollten die Schüler ihre Handy-Displays regelmäßig reinigen und in Bus und Bahn weder Gespräche führen noch essen oder trinken.
Corona-Hygienestandards an den Schulen gewährleistet?
Kritiker der Schulöffnung sehen die Corona-Hygienestandards an den Bildungseinrichtungen nicht gewährleistet. Die Landesregierung garantierte hingegen allen Schulen, die akute Probleme bei der Beschaffung von Desinfektionsmitteln oder Schutzmaterial haben, Unterstützung.
In einem Interview mit dem Lokalradio “Radio Erft” heute Vormittag wurde Gebauer gefragt: “Hörerinnen und Hörern bemängeln den schlechten Hygienenzustand in vielen Schulen in NRW, die von der Regierung jahrelang in Kauf genommen wurden. Wie also sollen betroffene Schulen binnen weniger Tage die Vorgaben erfüllen können?” Gebauer antwortete: “Ich weiß, dass es Schulen gibt, die sich in desaströsem Zustand befinden. […] Wir haben eine Garantie gegeben, dass Schulträger über die Bezirksregierung Münster Material für die Hygiene käuflich erwerben können.” 20.000 Liter Desinfektionsmittel, eine Million Schutzmasken und mobile “Handwaschmöglichkeiten” stünden bereit.
Nach Angaben des Schulministeriums hatten bis zum Mittwoch rund zehn Prozent der Schulen das Hilfsangebot in Anspruch genommen – allerdings war den Schulen das Angebot des Schulministeriums auch erst am Dienstag unterbreitet worden (News4teachers berichtete), also 48 Stunden vor den angeordneten Schulöffnungen.
Gebauer über Kommunen: “Offenbarungseid”
Im Landtag übte Gebauer am Mittwoch deutliche Kritik an Versäumnissen der kommunalen Schulträger, die für die Hygiene in den Einrichtungen verantwortlich seien. Trotz üppig ausgestatteter staatlicher Hilfsprogramme seien die Gelder vielerorts nicht zur nötigen Sanierung und Ausstattung der Schulen abgerufen und verwendet worden. «Da gibt es manchen Offenbarungseid», stellte die Ministerin im Schulausschuss fest. Zu einer Verschiebung des Öffnungstermins aus diesem Grund – wie unter anderem von der GEW, der Schulleitungsvereingung NRW, dem Städtetag NRW und den privaten Schulträgern gefordert – war sie allerdings nicht bereit.
Gebauer sagte am heutigen Nachmittag: Die ersten Rückmeldungen aus den Schulen zeigten, dass der Start gut gelungen sei. Die NRW-Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern, sieht dagegen hohe gesundheitliche Risiken für die Schüler. «Der Gesundheitsschutz ist in den Schulen nicht überall gewahrt. Wir gehen ein sehr hohes Risiko ein», sagte Finnern der «Rheinischen Post». Die Abstandsregeln könnten nicht ausreichend kontrolliert werden, ebenso wie Hygienestandards, wie Schulen zurückgemeldet hätten. News4teachers / mit Material der dpa
BERLIN. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat in einer Regierungserklärung im Bundestag Kritik an einzelnen Bundesländern geübt – ohne sie namentlich zu nennen. “Ich trage die Beschlüsse, die Bund und Länder beschlossen haben, aus voller Überzeugung mit”, sagte Merkel. Doch die Umsetzung bereite ihr Sorgen. Sie wirke “in Teilen sehr forsch, um nicht zu sagen: zu forsch”.
Merkel warnte: “Lassen Sie uns jetzt das Erreichte nicht verspielen und einen Rückschlag riskieren.” Angesichts der Zahlen der Neuinfektionen des Robert Koch-Instituts sprach Merkel von einem Zwischenerfolg. Doch dieser Erfolg sei zerbrechlich: “Wir bewegen uns auf dünnem Eis.” Sie warnte davor, sich zu schnell in falscher Sicherheit zu wiegen.
Bei der Bund-Länder-Vereinbarung am Mittwoch vor einer Woche war festgelegt worden, “der Schulbetrieb soll ab 4. Mai schrittweise wieder aufgenommen werden – zunächst prioritär für Abschlussklassen und qualifikationsrelevante Jahrgänge sowie die letzte Klasse der Grundschule”. Lediglich Prüfungen und Prüfungsvorbereitungen sollten vorher möglich sein. NRW hat daraus eine Schulöffnung mit Pflichtunterricht für bis zu 250.000 Schüler gemacht (News4teachers berichtete). News4teachers
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