BERLIN. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hat die Bundesländer davor gewarnt, Lehrer aus Corona-Risikogruppen unzumutbaren Belastungen auszusetzen. “Wichtig für jeden Arbeitgeber ist, auf die Gesundheit seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu achten”, mahnt Karliczek in der «Welt am Sonntag». Hintergrund ist offenbar der massive Druck auf betroffene Lehrer, sich nicht vom Präsenzunterricht abzumelden. “Der Arbeits- und Gesundheitsschutz kommt viel zu kurz”, erklärt die GEW.
«Wir brauchen die Kompetenz aller Lehrerinnen und Lehrer. Dabei müssen wir sicherstellen, dass die Arbeit für sie nicht zu einem persönlichen Risiko wird», sagt Karliczek. Die CDU-Politikerin äußert sich vor dem Hintergrund eines Konflikts über die Ablehnung vieler Atteste, der in Schleswig-Holstein zwischen Regierung und Lehrerschaft ausgetragen wird. Deren Gewerkschaft GEW wirft der Kieler Bildungsministerin Karin Prien (CDU) einen «hartherzigen Kurs» vor, der betroffene Lehrkräfte in den Präsenzunterricht zwinge.
Atteste von Lehrern aus Risikogruppen wurden reihenweise abgelehnt
Rund 2000 der 28.000 Lehrkräften in Schleswig-Holstein hatten ein Attest vorgelegt, das sie als Angehörige einer Risikogruppe ausweist. «Die Betriebsärztin hat bis auf 100 Fälle alle rigide abgebürstet – aus unserer Sicht ohne ausreichende Einzelfallprüfung. Das ist völlig inakzeptabel», sagte GEW-Landesgeschäftsführer Bernd Schauer der «Welt am Sonntag». Gegen die Entscheidung liefen zehn Klagen. In einem ersten Fall gab das Verwaltungsgericht Schleswig einer lungenkranken Lehrerin, die zum Präsenzunterricht gezwungen werden sollte, Recht – die Pädagogin darf im Homeoffice arbeiten. Prien hat allerdings angekündigt, gegen den Beschluss Rechtsmittel einlegen zu wollen (News4teachers berichtet ausführlich über den Fall – hier geht es zu dem Beitrag.)
Die schleswig-holsteinische Bildungsministerin weist auch jetzt die Vorwürfe zurück. Für Lehrkräfte gelte wie für alle Landesbediensteten: «Es kommt immer nur auf die individuelle Risikobewertung an. An einer Zivilisationskrankheit wie Übergewicht oder Asthma zu leiden, begründet abstrakt noch kein besonderes Schutzbedürfnis. Übrigens ja auch nicht bei Verkäufern im Supermarkt oder in der Industrie», sagte Prien der Zeitung.
“Die Lehrer wollen gerne unterrichten”
Laut “Welt am Sonntag” erklärt GEW-Bundesvorstand Ilka Hoffmann, die Gewerkschaft beobachte bei den betriebsärztlichen Begutachtungen insgesamt eine sehr restriktive Vorgehensweise. „Bei einer weniger strengen Handhabung würden einfach zu viele Lehrer fehlen.“ Sie sehe eine große Verunsicherung. „Der Arbeits- und Gesundheitsschutz kommt viel zu kurz. Das ist eine Verletzung der Fürsorgepflicht. Die Gesundheit der Lehrkräfte ist den Behörden weitgehend egal.“
Lediglich 0,35 Prozent der Lehrer in Schleswig-Holstein wurden als Risikopatienten anerkannt, die ihre Dienstpflicht im Homeoffice erfüllen dürfen. Aber auch andere Länder gehen offenbar restriktiv mit Freistellungen vom Präsenzunterricht um. Für Brandenburg meldete Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) in dieser Woche: “0,9 Prozent der Lehrer können coronabedingt nicht am Unterricht teilnehmen.” Sie betonte: “Wir haben diese Zahl mit Spannung erwartet und können jetzt sagen: Die Lehrer wollen gerne unterrichten.” Die GEW schätzt, dass tatsächlich rund zehn Prozent der Lehrkräfte Corona-Risikogruppen angehören.
Arbeitsschutz-Richtlinie sieht Regelungen vor, die in Schulen nicht gelten
Das Bundesarbeitsministerium hat in dieser Woche neue Richtlinien für den Schutz am Arbeitsplatz herausgeben. Die darin enthaltenen Regelungen stehen allerdings in einem bemerkenswerten Kontrast zum Schulbetrieb, wie ihn die Kultusminister für das beginnende Schuljahr vereinbart haben. „Ziel ist es, das Infektionsrisiko für Beschäftigte zu senken und Neuinfektionen im betrieblichen Alltag zu verhindern. Abstand, Hygiene und Masken bleiben dafür auch weiterhin die wichtigsten Instrumente“, heißt es in dem Papier.
Und: „Soweit arbeitsbedingt die Abstandsregel nicht eingehalten werden kann und technische Maßnahmen wie Abtrennungen zwischen den Arbeitsplätzen nicht umsetzbar sind, müssen die Beschäftigten mindestens Mund-Nase-Bedeckungen (MNB) zum gegenseitigen Schutz tragen.” Die Schulpraxis nach den Sommerferien sieht hingegen so aus: Für den Unterricht wurde bundesweit die Abstandsregel in den Klassenräumen ausgesetzt, Abtrennungen sind nicht vorhanden, und eine Maskenpflicht gilt in 15 von 16 Bundesländern – wenn überhaupt – lediglich auf Fluren und Schulhöfen. Als einziges Land hat Nordrhein-Westfalen eine bis zum 31. August befristete Maskenpflicht auch im Unterricht der weiterführenden Schulen erlassen. (News4teachers berichtet ausführlich über die neue Arbeitsschutz-Richtlinie – hier geht es zu dem Beitrag.) News4teachers / mit Material der dpa
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Bildungsministerin schreibt an alle Schulen: Abstandsregel ist einzuhalten – im Lehrerzimmer