SAARBRÜCKEN. Intelligenztests sind in ihrer Aussagekraft umstritten, kommen heute dennoch an vielen Stellen zum Einsatz, mit oft bedeutsamen Konsequenzen für die Getesteten. Ergebnisse einer Studie nähren nun weitere Zweifel. Allerdings geben die Forscher selbst direkt wieder Entwarnung.
Intelligenztests, kommen heute in vielen gesellschaftlichen Bereichen zum Einsatz, etwa in der Bildungsforschung, der Hochbegabtendiagnostik oder im Personalwesen. Fast schon sinnbildlich für Intelligenztests stehen sogenannte figurale Matrizentests Bei diesen Aufgaben soll die Testperson bei geometrischen Figuren, von denen einige vorgegeben sind, die letzte Figur logisch vervollständigen – zum Beispiel einen Pfeil, der von Bild zu Bild um 90 Grad im Uhrzeigersinn gedreht wird.
Schaut man vorher Videos, in welchen die Grundregeln dieser Matrizentests erklärt werden, schneidet man anschließend deutlich besser im Intelligenztest ab, haben nun Forscher der Universität des Saarlandes und der Universität Luxemburg herausgefunden. Was zunächst banal und einleuchtend klinge, habe allerdings einen praxisrelevanten Hintergrund, so Jörn Sparfeld und Benedikt Schneider, die zwei Experimente mit über 300 Testpersonen durchgeführt haben. Durch den allumfassenden Zugang zu Lehr- und Erklärvideos im Internet, können sich Probanden, die einen Test absolvieren müssen, einen Vorteil verschaffen, der das Ergebnis massiv verfälschen könne.
Ähnlich wie ein Schüler, der eine gute Note schreibt, weil er – zufällig oder nicht – die richtigen Vokabeln und Grammatikregeln für die Stelle aus „De bello Gallico“ gelernt hat, die in einer Klausur behandelt wird, können Video-Tutorials die Ergebnisse von bestimmten Intelligenztests verfälschen. Ebenso, wie der in der Klausur erfolgreiche Schüler keinesfalls zwangsläufig ein guter Lateinschüler sein muss, müsse der im IQ-Test gut abschneidende Proband noch lange nicht intelligenter sein als eine andere Testperson, die solch ein Video nicht gesehen hat und im Test schlechter abschneidet.
„Um genau herauszufinden, wie sich ein Video auswirkt, das die Methodik figuraler Matrizen erklärt, haben wir zwei Experimente gemacht“, erklärt Benedikt Schneider: „Wir haben im ersten Experiment eine Testgruppe und eine Kontrollgruppe von jeweils 56 Personen untersucht, in einem zweiten Experiment wiederum zwei Gruppen zu 114 und 115 Personen“. Die Testgruppe durfte vor einem Matrizentest ein Video-Tutorial anschauen, das die zugrunde liegenden logischen Regeln eines Matrizentests erklärt. In der Zwischenzeit schaute die Kontrollgruppe ein für den Test komplett irrelevantes Video über Ernährung. „Im anschließenden Intelligenztest hat die Kontrollgruppe, die das Ernährungsvideo geschaut hat, im Schnitt 9,4 Aufgaben richtig gelöst. Die Testgruppe hingegen, die das Video-Tutorial zu sehen bekommen hat, hat 17,6 Aufgaben im Schnitt richtig gelöst“, beschreibt Schneider das Ergebnis.
Dennoch könne man Intelligenztests nach Ansicht der Forscher nicht generell kritisieren. Jörn Sparfeldt erklärt, warum Intelligenztests kein „Murks“ seien. Dazu zieht er einen weiteren Vergleich aus seiner schulischen Vergangenheit heran: „Ich war ein fauler Latein-Schüler. Manchmal habe ich dann am Tag der Klassenarbeit ein Fieberthermometer an die Heizung gehalten und meiner Mutter so vorgegaukelt, dass ich Fieber habe. Dann durfte ich daheim bleiben und musste die Arbeit nicht mitschreiben. Aber: Aus diesem Verhalten würde nun niemand den grundsätzlichen Schluss ziehen, dass Fiebermessen irrelevanter Murks ist“, so der Bildungswissenschaftler.
Die Probanden aller Testgruppen hatten vor dem eigentlichen Experiment einen anderen Intelligenztest bearbeitet – alle unter einheitlichen Bedingungen. In diesem Intelligenztest unterschieden sich beide Gruppen, Video-Schauer und Kontrollgruppe, nicht in den Ergebnissen. Allerdings lasse dieser einheitliche Test eine bemerkenswerte Erkenntnis zu: Diejenigen, die im anschließenden Experiment in ihrer jeweiligen Gruppe – also innerhalb der Kontroll- oder Testgruppe – besser abgeschnitten haben, waren auch diejenigen, die im Test davor besser waren. Intelligenztests sind demnach nach wie vor sinnvoll – und nützlich!
Allerdings ziehen die beiden Forscher ein wichtiges Fazit aus ihrer Untersuchung, nämlich, dass man bei der Interpretation der Ergebnisse im Intelligenztest immer die Randbedingungen im Einzelfall beachten müsse. Dass Video-Tutorials tatsächlich einen gravierenden Einfluss auf bestimmte Testergebnisse haben können, könnte ein Hinweis für die Anbieter solcher Tests sein, diese so zu gestalten, dass entweder alle oder keine der teilnehmenden Personen Gelegenheit haben sollten, sich eingehend auf den Test vorbereiten zu können. (zab, pm)
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