BERLIN. Nach rund zwei Monaten sehen viele Kinder in Deutschland zum Wochenstart erstmals ihre Kita oder Grundschule wieder von innen. Ein Großteil der Bundesländer macht die Türen der Einrichtungen zumindest ein Stück auf. Das hält die Bundesfamilienministerin für notwendig, Lehrer- und Erzieherverbände halten das für riskant.
In weiteren zehn Bundesländern kehrt an diesem Montag wieder ein bisschen Leben an die Grundschulen zurück. Vielerorts wird außerdem der seit Dezember im Zuge der Corona-Maßnahmen stark eingeschränkte Betrieb an Kitas wieder hochgefahren. Familienministerin Franziska Giffey (SPD) begrüßt das mit Blick auf die Auswirkungen für Familien und Kinder im Lockdown. Gleichzeitig rufen Lehrervertreter zur Vorsicht auf.
«Man kann die Kinder nicht noch viel länger zuhause lassen, weil sonst der Kinderschutz und das Kindeswohl in Gefahr sind», sagt Giffey und verweist auf Probleme wie Vereinsamung, Bewegungsmangel und entstehende «Bildungs- und Bindungslücken». Zudem seien viele Eltern am Ende. «Die Belastungsgrenze ist erreicht.» Giffey betont, dass Öffnungen «verantwortungsvoll» erfolgen müssten, mit Einhaltung von Hygieneregeln und Schutzmaßnahmen für das Personal. «Dass wir dabei das Infektionsgeschehen weiter im Blick haben müssen, ist selbstverständlich. Es geht jetzt um Öffnungsschritte mit Sicherheit.» Das Problem ist allerdings, dass die außerhalb von Kita und Schule geltenden Hygieneregeln und Schutzmaßnahmen innerhalb der Bildungseinrichtungen eben oftmals nicht gelten.
Die Familienministerin spricht sich in dem Zusammenhang erneut für zweimalige Corona-Schnelltests pro Woche bei Kita- und Grundschulbeschäftigten aus, solange diese noch keine Impfung erhalten können. «Wenn wir sagen, wir testen zweimal pro Woche, erhöht das enorm die Sicherheit, verbessert die Prävention und hilft bei der Unterbrechung von Infektionsketten», sagt Giffey. Je nach Bundesland gibt es bereits entsprechende Angebote und Pläne.
Je nach Bundesland ist es den Eltern freigestellt, ob sie ihre Kinder zur Schule schicken
Am Montag öffnen in zehn Ländern wieder Grundschulen. Es findet entweder sogenannter Wechselbetrieb mit halben Klassen statt, die abwechselnd zur Schule kommen, oder auch Vollbetrieb mit festen Gruppen, die sich möglichst nicht begegnen sollen. Teilweise gilt Maskenpflicht auch im Unterricht. Je nach Bundesland ist es den Eltern auch freigestellt, ob sie ihre Kinder schicken. Und es gibt Länder, die zwar öffnen, aber nicht überall, je nach örtlicher Corona-Lage.
Bei den Kitas dürfen mehr Kinder oder auch alle wieder in die Betreuung zurück. Auch das unterscheidet sich in den Ländern.
Für ältere Schüler und Jugendliche geht es erst einmal mit sogenanntem Fernunterricht weiter. Ausgenommen davon bleiben Abschlussklassen.
In Niedersachsen sind Grundschüler bereits seit Januar wieder in den Schulen (wo dann auch prompt Hunderte von Infektionen auftraten, wie News4teachers berichtet), in Sachsen seit Beginn dieser Woche. Auch die Kitas sind im Freistaat seit Montag wieder weit auf. Geöffnet für einen mehr oder weniger reduzierten Betrieb waren sie allerdings in allen Bundesländern – auch hier mit Folgen: In den vergangenen Tagen häufen sich die Meldungen über Ausbrüche in Kitas mit der Corona-Mutation B.1.1.7, News4teachers berichtet auch darüber.
Einer Umfrage zufolge ist eine Mehrheit der Bevölkerung trotzdem für schrittweise Öffnungen der Schulen. Im Deutschlandtrend des ARD-«Morgenmagazins» sprachen sich 58 Prozent der Befragten dafür aus. 22 Prozent unterstützen eine vollständige Wiederaufnahme des regulären Schulbetriebs. 16 Prozent sähen es lieber, wenn die Schulen weiterhin ganz geschlossen blieben.
Die Infektionslage macht es schwierig: Die Zahl der Neuinfektionen sind zwar zuletzt gesunken, aber inzwischen bewegen sie sich eher seitwärts. Die neuen Virusvarianten könnten zu einem schnellen Wiederanstieg bei den Ansteckungszahlen führen, wird befürchtet. Der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, sagte am Freitag: «Wir stehen möglicherweise erneut an einem Wendepunkt.» Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verwies darauf, dass der Beginn von Schulen und Kitas «Mobilität in sehr großem Umfang» auslöse – Spahn kündigte an, Erzieher und Grundschullehrer beim Impfen vorzuziehen, wie News4teachers aktuell berichtet.
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, findet es zwar richtig, schrittweise wieder mit dem Unterricht in den Schulen zu beginnen, aber nur in Regionen mit niedrigem Infektionsgeschehen. Wenn Bundesländer flächendeckend öffneten, auch in Landkreisen mit hohen Ansteckungszahlen, sei das mit Blick auf den Gesundheitsschutz nicht verantwortbar, sagt er. In einem solchen Fall werde die Balance zwischen Gesundheitsschutz und Bildungsauftrag nicht gehalten.
Grundschulverband: Beim Gesundheitsschutz nachsteuern, «Lüften alleine genügt nicht»
Der Grundschulverband, in dem sich Grundschulen, Lehrkräfte und Wissenschaftler zusammengeschlossen haben, bewertet die Öffnungen grundsätzlich positiv. Kinder im Grundschulalter bräuchten andere Kinder und eine wertschätzende pädagogische Begleitung ihrer schulischen Lernprozesse. Der Vorsitzende, Edgar Bohn, selbst ehemaliger Grundschulleiter, fordert aber «dringend, schnell und effektiv» beim Gesundheitsschutz nachzusteuern. «Lüften alleine genügt nicht.» Schulen müssten in ausreichender Zahl mit CO2-Messgeräten und wo nötig mit Raumlüftungsanlagen ausgestattet werden.
Die GEW zeigt sich ebenfalls skeptisch: «Die Länder, die jetzt ihre Schulen öffnen, gehen ein hohes Risiko – für die Gesundheit der Lehrkräfte, der Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern», sagt die Vorsitzende Marlis Tepe den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die stagnierenden Inzidenzzahlen deuteten auf eine dritte Corona-Welle hin, verursacht durch die Corona-Mutationen. «Vor diesem Hintergrund hätten wir uns von den Ländern mehr Verantwortungsbewusstsein gewünscht.»
Beim Lehrerverband VBE im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen heißt es: «Auch wenn es Freude über ein gemeinsames Wiedersehen geben wird, wird es kein unbeschwerter Wiedereinstieg in den Präsenzunterricht sein.» News4teachers / mit Material der dpa
Schulöffnungen: RKI-Chef Wieler erwartet mehr Infektionen unter Kindern und Jugendlichen