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“Was ist nur in viele Lehrer gefahren?” – Wie Medien in der Corona-Krise das Klischee von den “faulen Säcken” wiederbeleben

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MÜNCHEN. „Ohne Impfangebot wollen Lehrer nach Ostern nicht in die Schule zurück. Mit dieser Forderung schaden sie sich und vor allem den Kindern“ – schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ in einem viel beachteten Kommentar mit der Überschrift “Das unverschämte Ultimatum”. Einmal mehr bedient damit eines der großen meinungsprägenden Medien in Deutschland das Klischee von der jammernden, faulen, prächtig verdienenden Lehrerschaft. Das erinnert an Frank Plasberg, der nach dem ersten Lockdown in deren Richtung ätzte: „Macht es einen Unterschied, ob man Beamter ist, oder um seinen Arbeitsplatz fürchten muss?“ Eine Entgegnung von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek.

Lieber Sofa als Klassenzimmer: Medien bedienen immer wieder das Klischee von den faulen, gut verdienenden Lehrern. Foto: Shutterstock

Hintergrund der aktuellen Aufregung ist ein Brandbrief des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (BLLV) an den Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), in dem der BLLV schreibt: „Ohne Impfung ist Präsenzunterricht nicht möglich.“ Darüber hinaus kritisiert der Verband, dass das Kultusministerium im Zusammenhang mit den Selbsttests von Schülern, die jetzt flächendeckend in Schulen erfolgen sollen, rechtswidrige Weisungen erteile, weil Lehrkräfte praktisch ungeschützt die Tests begleiten sollten. (News4teachers berichtete ausführlich über den Brandbrief – hier).

Im Kommentar der „Süddeutschen Zeitung“ dazu heißt es nun: „Als es losging mit Corona und den Schulen, hatten sich viele Pädagogen erhofft, dass die Anerkennung wieder steigen würde vor ihrer Leistung. Ganze Familien waren im Lockdown, Eltern mussten Job und Betreuung koordiniert kriegen. Endlich würden die Leute sehen, wie wichtig Lehrer sind. Diese Hoffnung erfüllte sich, wenn überhaupt, nur kurz. Das ist schade, aber kein Wunder. Wer den jüngsten Aufstand der Lehrerverbände verfolgt, stellt sich bei allen Strapazen dieser Krise die Frage, was nur in viele Lehrer gefahren ist?“

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Lehrer wurden schnell zu Sündenböcken in der Krise – kein Wunder: Medien bedienten das Klischee von den “faulen Säcken”

Eine steile These: Weil Lehrkräfte Arbeitsschutz für sich und ihre Schüler einfordern – der ansonsten fast überall in Deutschland, selbstverständlich auch in der Redaktion der „Süddeutschen“ gilt –, stellen Eltern die Bedeutung von Lehrkräften infrage? Richtig ist: Es gab bei (einigen) Lehrern die Hoffnung, dass viele Eltern im Homeschooling – und damit die breite Öffentlichkeit – erkennen würden, wie schwer der Job des Unterrichtens mitunter sein kann. Richtig ist auch: Die Hoffnung erwies sich als trügerisch. Lehrer wurden schnell zu Sündenböcken in der Krise.

Dafür lassen sich allerdings weitaus stichhaltigere Gründe anführen, als dass Lehrkräfte sich darüber beschweren, von den Kultusministerium mit einem Faltblatt zu offenen Fenstern als einziger Schutzmaßnahme abgespeist worden zu sein. Das hat vielmehr damit zu tun, dass Politiker ständig Erwartungen beim breiten Publikum schüren – ohne die Voraussetzungen dafür in den Schulen zu schaffen. Ob Digitalisierung (das Geld ist doch da, warum klappt’s denn nicht mit dem Online-Unterricht?), Lehrpläne (nichts wurde angepasst – und damit der Eindruck erweckt, das Programm könne in diesem Schuljahr abgearbeitet werden wie üblich), Gesundheitsschutz (die Schulen sind sicher) oder, jüngstes Beispiel, die Schnelltests in den Schulen, von denen wochenlang trotz großer Ankündigungen nichts zu sehen war: Die Politik versagt – und Medien von der „Bild“ bis hin zu „hart aber fair“ und jetzt auch die „Süddeutsche“ lassen kaum eine Gelegenheit aus, den Lehrkräften dafür die Verantwortung zuzuschieben.

Nichts ist einfacher, als das Klischee von den „faulen Säcken“ zu bedienen. Lauter Beifall ist sicher. So hatte zum Beispiel Frank Plasberg, Moderator von „hart aber fair“, in einer Sendung zu den Corona-bedingten Problemen im Schulbetrieb nach dem ersten Lockdown vor einem Millionenpublikum geätzt: Engagierte Lehrer seien „Exoten im Übungsblattzeitalter“. Während es Selbstständige wie Restaurantbetreiber eilig gehabt hätten, endlich wieder zu arbeiten, habe er ‚bei den Lehrern nicht den Eindruck, dass sie es so eilig haben, den Präsenzunterricht wieder stattfinden zu lassen.“ Dass „Bild“ sich solche Steilvorlagen zur Hetze nicht entgehen lässt, ist klar: „Freizeit geht vor!“ – diesen erfundenen Slogan legte das Blatt dann Lehrern in den Mund.

Derselbe Duktus findet sich jetzt – mal wieder – in der „Süddeutschen“. Dort heißt es nun: „Es ist müßig, zu erwähnen, dass sie zu den wenigen Gruppen gehören, die sich keine existenziellen Sorgen machen müssen. Ihre Jobs als Staatsbeamte sind sicher, gut bezahlt und vergleichsweise risikoarm. Die Sorge vor Mutanten ist verständlich, aber Paketboten oder Kassierer sind weniger geschützt. Künstler oder Wirte können nur auf Finanzhilfen hoffen und haben keine echte Öffnungsperspektive. Alle Branchen jammern, aber das Toben der Lehrervertreter ist stets lauter.“

Weil Lehrkräfte für ihre Arbeit Geld verdienen, sollen sie sich beim Arbeitsschutz mal nicht so haben?

Was für eine perfide Argumentation: Weil Lehrkräfte für ihre Arbeit Geld verdienen – Redakteure der „Süddeutschen Zeitung“, von denen die meisten derzeit im Homeoffice sitzen dürften, übrigens auch –, mehr Geld sogar als ungelernte Arbeitskräfte (unverschämt!), sollen sie sich beim Arbeitsschutz mal nicht so haben? Die implizit mittransportierte Tatsachenbehauptung ist auch noch falsch: Wissenschaftler haben unlängst das Risiko für Menschen in unterschiedlichen Szenarien errechnet, sich über Corona-belastete Aerosole anzustecken. Das höchste Risiko besteht demnach im Klassenraum – weit vor dem im Supermarkt (News4teachers berichtete auch darüber – hier). Paketboten werden in der Studie übrigens nicht angeführt, warum auch? Sie arbeiten hart, zweifellos, aber weitgehend draußen und mit großem Abstand zur Kundschaft.

Weiter geht’s mit dem Lehrer-Bashing. „Wofür oder wogegen, das variiert: gegen Distanzunterricht, für Distanzunterricht, für Schulöffnungen, gegen Schulöffnungen. Nun überbieten sich die Verbände darin, gegen die Teststrategie der Regierung zu sein. Protest, weil jüngere Kinder nicht getestet werden. Protest, weil sie in der Schule getestet werden“, so schreibt die Kollegin von der „Süddeutschen“ – und outet sich damit endgültig beim Thema Bildung als inkompetent.

Zum einen: „Die“ Lehrer-Forderungen gibt es nicht. Es gibt rund 800.000 Lehrkräfte in Deutschland, und deren Meinungsbild ist so breit wie das in der gesamten Bevölkerung. Die unterschiedlichen Positionen spiegeln sich auch in der Haltung der Verbände. Zum anderen: Es ging nie um plumpe Schulschließungen oder – wie aktuell – gegen Tests von Schülern; es ging und geht stets darum, die Bedingungen für die Beschäftigten an Schulen (übrigens auch Kitas) und für die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen so zu verbessern, dass Schulen (und Kitas) tatsächlich, wie von den Kultusministern behauptet, „keine Treiber der Pandemie“ sind.

Mitverantwortung tragen auch Medien, die das Märchen von den angeblich kaum ansteckenden Kindern weiterverbreitet haben

Das ist leider gescheitert, weil die Lehrerverbände nicht durchgedrungen sind. Die dritte Welle ist die Folge, dankeschön dafür. Eine Mitverantwortung dafür tragen übrigens auch Medien wie die „Süddeutsche“, die das Märchen von den angeblich kaum ansteckenden Kindern allzu eifrig und unkritisch weiterverbreitet haben.

Aber ein bisschen Kritik an den Herrschenden muss natürlich sein, das gehört zum journalistischen Selbstverständnis. Die fällt im Kommentar allerdings großzügig aus. „Es muss unzweifelhaft besser laufen: Es braucht klare Regeln und überall genügend Tests“, so heißt es lediglich – um sofort wieder auf die Lehrkräfte zu kommen: „Aber solange nicht alle geimpft sind, sind Tests unter Aufsicht der sicherste Weg“, so behauptet die Autorin.

Das mag stimmen. Aber unter wessen Aufsicht? Ist es der tatsächlich der sicherste Weg, wenn weitgehend ungeschützte und medizinisch nicht ausgebildete Lehrkräfte Tests von 20, 25 Kindern in einem Klassenraum begleiten, die sich in der Nase pokeln müssen (mit all den möglichen Problemen, von denen nur jemand weiß, der tagtäglich mit ebenjenen 20, 25 Kindern arbeitet), Lehrkräfte, die möglicherweise kontaminierte Abfälle irgendwie entsorgen sollen, positiv getestete Kinder irgendwie isolieren sollen, aber eben auch irgendwie begleiten, damit die Schüler keinen psychischen Schaden nehmen, und dann dafür sorgen müssen, dass diese Kinder dann irgendwie nach Hause kommen, ohne andere anzustecken? Dafür muss man kein Lehrer sein, um das zu bezweifeln.

“Sie schaden auch den Lehrern, die den Kindern endlich wieder richtigen Schulunterricht geben wollen”

Die Redakteurin schreibt: „Das Ultimatum des Bayerischen Lehrerverbands war am Montag der bisherige Höhepunkt: Schulbetrieb nach Ostern nur, wenn alle Lehrer ein Impfangebot bekommen. Was schlicht die Änderung der Impfreihenfolge bedeutet. Das ist nicht nur unverschämt, sondern auch unsolidarisch denen gegenüber, die noch gefährdeter sind durch das Virus. Damit bedienen die Verbände zwar die Wut vieler Mitglieder, aber sie schaden auch den Lehrern, die den Kindern endlich wieder richtigen Schulunterricht geben wollen. So schnell wie möglich.“

Sie übersieht: Die Änderung der Impfreihenfolge ist längst beschlossen – dummerweise wurden allerdings nur Lehrkräfte an Grund- und Förderschulen vorgezogen, in Bayern jedenfalls. Schon im benachbarten Baden-Württemberg ist das anders. Dort werden Lehrerinnen und Lehrer aller Schulformen geimpft. Auch der Kultusminister im benachbarten Hessen, Alexander Lorz (CDU), hat angekündigt, nach Ostern alle Lehrkräfte impfen zu wollen. Die Gesundheitsministerin von Sachsen-Anhalt, Petra Grimm-Benne (SPD), hat gestern ebenfalls den Schritt angekündigt, künftig das Personal aller Schulformen impfen zu lassen. Begründung: „Mit Blick auf die zugespitzte epidemiologische Lage ist dieser Schritt zwingend erforderlich.“ Soll heißen: Nur so ist „richtiger Schulunterricht“, wie ihn die „Süddeutsche“-Autorin ja so vehement einfordert, nach Ostern überhaupt denkbar. Ist die Forderung des BLLV also doch nicht so vermessen?

PS. Wenn die Arbeitsbedingungen und der Verdienst von Lehrkräften in Deutschland – speziell auch in Bayern – so gut sind, wie die Journalistin unterschwellig behauptet, wie kommt es dann wohl, dass so viele offene Lehrerstellen nicht besetzt werden können? Vielleicht sollte die „Süddeutsche“ auch darüber mal nachdenken: So ganz ohne Lehrkräfte gibt’s ebenfalls keinen „richtigen Schulunterricht“. News4teachers

Hier geht es zum Kommentar in der “Süddeutschen Zeitung”: “Das unverschämte Ultimatum der Lehrer”.

Reaktion

Der CSU-Landtagsabgeordnete und ehemalige bayerische Wirtschaftsminister Franz Josef Pschierer postete auf Facebook:

“Nicht immer die besten”: Landtagsabgeordneter Pschierer. Foto: privat

„Danke, liebe Süddeutsche Zeitung, für diesen Beitrag. Auch wenn ich mir jetzt wieder Vorwürfe einhandele: Wir haben zwar mit die teuersten, aber nicht immer die besten und fleißigsten Lehrer. Beamtenstatus, Unkündbarkeit, beste Gesundheitsversorgung mit Chefarztbehandlung, üppige Pensionen und 70 Ferientage. Da müsste man doch eigentlich zufrieden sein können. Nein! Ist man nicht. Für mich ist dieses Ultimatum ebenfalls schlichtweg unverschämt. Und deshalb bin ich fast geneigt, das Zitat unseres früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder über Lehrer zu wiederholen (‚Ihr wisst doch ganz genau, was das für … Säcke sind.‘).“

„Inzidenz-Starrsinn“: Wie „Bild“ im Vorfeld des Bund-Länder-Gipfels Stimmung für offene Kitas und Schule macht – mit Erfolg

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