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Lehrkräften wird zu viel zugemutet – Digitalisierung wird verschlafen: Wie ein Elternvertreter mit dem Bildungsministerium abrechnet

MAINZ. Erwin Lenz ist ein Vater einer 13-jährigen Tochter – und Elternvertreter. Der ehemalige Manager eines Dax-Konzerns, heute als Unternehmensberater tätig, sieht – passend zu der in dieser Woche veröffentlichten Digitalisierungsstudie der GEW – gravierende Defizite in der strategischen Ausrichtung der Schulpolitik, die in der Corona-Krise besonders deutlich wurden: Konzeptionslosigkeit in Sachen IT auf der einen Seite, Gängelung der Lehrkräfte auf der anderen. Sein Gastbeitrag bezieht sich auf Rheinland-Pfalz, wo er sich als Regionalelternsprecher engagiert, dürfte aber auf andere Bundesländer übertragbar sein.

Durchwurschteln statt einer Vision: Wo ist die Strategie des Bildungsministeriums? Illustration: Shutterstock

“Corona bringt Schwächen schonungslos ans Licht”

Mit meinen Erfahrungen aus rund 20-jähriger Tätigkeit als leitender Angestellter im IT-Bereich, aus meiner Zeit im Landeselternbeirat, als Sprecher des Regionalelternbeirats Koblenz und durch die Begleitung meiner 13-jährigen Tochter im Schulalltag eines Gymnasiums suche ich nach einem schlüssigen Bild zur Fortentwicklung der Bildungslandschaft in Rheinland-Pfalz. Aus der Wirtschaft kenne ich Zukunftsvisionen, die ich ebenso in der Bildungspolitik erwarte. Aber hier gilt: Fehlanzeige!

Gedruckte Lexika benutzt man kaum noch. Wissen steht heute dank Wikipedia, Google und Co. fast überall sekundenschnell zur Verfügung. Werden trotzdem unseren Schülerinnen und Schülern im Jahr 2030 ff. immer noch jene Inhalte vermittelt, die seit Jahrzehnten unverändert im Lehrplan stehen? Wie wird sich Wissensvermittlung durch Lehrkräfte mittelfristig verändern? Die Beantwortung solcher Fragen hätte ich mir dringend vom Bildungsministerium im Rahmen einer Vision „Bildung 2030“ gewünscht.

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Die Corona-Pandemie erforderte den Einsatz digitaler Werkzeuge in den Schulen viel früher, als allen Verantwortlichen lieb war. Obwohl wir seit Jahren über Digitalisierung im Bildungsbereich reden, war der Dornröschenschlaf viel zu plötzlich beendet: Die Diskussion zur Verantwortungsabgrenzung zwischen Bildungsministerien und Schulträgern – den Kommunen – gewann schlagartig an Bedeutung.

Schon anderthalb Jahre vor der Pandemie forderte das Ministerium alle rund 1600 Schulen im Land auf, ein jeweils individuelles Medienkonzept zu erarbeiten. Solche mit IT-affinen Lehrkräften im Kollegium konnten sich glücklich schätzen. Andere, wie kleine Grundschulen, hatten Pech. Eine für mich völlig unverständliche Vorgehensweise. Würde auch ein Discounter all seine Filialen beauftragen, eigene IT-Konzepte zu entwickeln?

Im Rahmen einer digitalen Bildungsstrategie ist vom Bildungsministerium ein klar vorgegebener Rahmen für alle Schulen in Rheinland-Pfalz zu erwarten, als Grundlage für die künftige digitale Unterstützung der Lehrkräfte. Auch müsste das Ministerium den Schulträgern ein IT-Anforderungskonzept für die künftige schulische Ausstattung übermitteln, da diese für deren Bereitstellung verantwortlich sind.

Werden wir künftig, je nach Schulträger, Schulen mit einer „sehr guten“ und einer „weniger guten“ IT-Ausstattung haben?

Die Praxis sieht völlig anders aus. Schulträger haben zum Teil in Eigenregie auf Basis der Medienkonzepte ihrer zugehörigen Schulen IT-Anforderungen definiert, deren Umsetzung sie nun in nur sehr loser Abstimmung mit dem Bildungsministerium vorantreiben. Werden wir künftig, je nach Schulträger, Schulen mit einer „sehr guten“ und einer „weniger guten“ IT-Ausstattung haben, ganz unabhängig von den Voraussetzungen für deren pädagogische Nutzung? Werden wir langfristig Schulen mit unterschiedlichen technischen Unterstützungsmöglichkeiten bei dennoch identischen Leistungsanforderungen haben? Wie werden Schülerinnen und Schüler dadurch benachteiligt? Die Verantwortung, solche Probleme zu vermeiden, liegt beim Ministerium.

Der Präsenzunterricht ist, genau wie im letzten Schuljahr, auch im laufenden massiv durch die Pandemie beeinträchtigt worden. Kurz vor Weihnachten wurde im zweiten Lockdown landesweit auf Fernunterricht umgestellt. Im Januar begann dieser vielfach mit reinem elektronischen Austausch von Hausaufgaben. Die Umsetzung des Fernunterrichts lag bei jeder einzelnen Lehrkraft. Wie nicht anders zu erwarten, führte dies zu großen Unterschieden in der Ausgestaltung, mit erheblichen negativen Folgen für viele Schülerinnen und Schüler und deren Eltern. Natürlich gab es auch Beispiele für gelungene Konzepte.

Bei der Umfrage des Regionalelternbeirats Koblenz machten über 9000 Eltern Angaben, wie sie die Zeit des Fernunterrichts erlebten, darunter über 3200 qualifizierte Einzelkommentare. Eine Evaluation der Situation, originäre Aufgabe des Bildungsministeriums, hätte weder von der Anzahl der Rückmeldungen noch inhaltlich besser und breiter sein können.

Um nur das Thema Videokonferenzen als ein Beispiel herauszunehmen: Tausende von Rückmeldungen belegen, dass beim Einsatz von leistungsfähigen Systemen deutlich mehr Unterricht auf diesem Wege durchgeführt wird, darüber vermehrt Lernstoff vermittelt wird, die Zufriedenheit stark zunimmt und die psychische Belastung vieler Schülerinnen und Schüler wie auch der Eltern abnimmt. Wir wollen die beste Bildung, dann sollten wir auch die besten Videokonferenzsysteme einsetzen. Mit dem landeseigenen System „BigBlueButton“ wie auch „Sdui“ sind die Eltern jedoch eher unterdurchschnittlich zufrieden.

“Auf den ersten Blick sind Videokonferenzen das einfachste Mittel, um den Präsenzunterricht zu ersetzen“, so das Pädagogische Landesinstitut. Wie kann man dann ins beliebige Ermessen der Lehrkräfte stellen, wie viele Stunden sie auf diesem Wege geben? Gerade wegen der großen Bedeutung der Videokonferenzen für den Lernerfolg hätte es hier zwingende Vorgaben des Bildungsministeriums zur verbindlichen Anzahl und inhaltlichen Gestaltung geben müssen. Die klare Ansage aus Mainz blieb jedoch aus.

Die Forderungen der Eltern zur Gestaltung von Fern- und Wechselunterricht, zur Schülerbeförderung, zu Raumluftfiltergeräten und so weiter, die alle auch vom Landeselternbeirat unterstützt werden, hat das Ministerium zur Kenntnis genommen. Die Prüfung der Forderungen läuft seit dem 2. März. Wir warten auf eine Reaktion!

In den Schulleitungen steckt oft großes Potenzial, das entfaltet werden könnte, würde man Gestaltungsspielraum einräumen

Mein Eindruck ist, dass wir im Bildungsbereich etliche engagierte Menschen antreffen, die operativ unterwegs sind, was insbesondere in einer Pandemie erforderlich ist. Gerade den Lehrkräften werden viele Aufgaben abseits ihrer eigentlichen Arbeit zugemutet. Ihnen gilt mein besonderer Dank.

In den Schulleitungen steckt oft großes Potenzial, das entfaltet werden könnte, würde man Gestaltungsspielraum einräumen. Ich vermisse klare Vorgaben des Bildungsministeriums bei der Digitalisierung insgesamt, aber auch bei wichtigen Einzelthemen wie dem Wechsel- oder Fernunterricht. Ganz besonders vermisse ich eine Vision für Schule im Jahr 2030ff. Nach den großen Leistungen, die die Eltern bei der Bewältigung des Fernunterrichts erbracht haben, wünsche ich mir, ja, erwarte ich, dass sie mit ihren Rückmeldungen in Mainz ernst genommen werden. News4teachers

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