BERLIN. Die Wirkung von mobilen Luftfiltern in Kitas und Schulen ist wissenschaftlich belegt – eigentlich. Angesichts der Kosten (von jährlich unter 50 Euro pro Schüler und Jahr, wie eine Untersuchung unlängst ergab) scheuen aber viele Schulträger die Anschaffung. Das Förderprogramm des Bundes übernimmt nur die Hälfte. Um das Nichtstun zu begründen, setzen Landesregierungen und Kommunen – nach „Schulen sind keine Treiber der Pandemie“ – ein neues Märchen in die Welt. „Luftreiniger allein bringen nicht viel“, so lautet die Erzählung. Das Umweltbundesamt assistiert dabei.
„Ich möchte dazu animieren, dass die Kommunen jetzt Geräte bestellen und nicht erst bis zum Ende der Sommerferien warten – sonst kommen wir in zeitliche Bedrängnis“, sagte Heinz-Jörn Moriske, Direktor im Umweltbundesamt am vergangenen Donnerstag in der „Rheinischen Post“. Dass die Mahnung viel zu spät kommt, weil das Schuljahr in mehreren Bundesländern schon längst wieder begonnen hat und bereits morgen mit NRW das bevölkerungsreichste in den Unterrichtsbetrieb startet, ist das eine.
Das andere: Das UBA hat mit seiner Informationspolitik stark dazu beigetragen, dass bislang kaum Kitas und Schulen mit mobilen Luftfiltern (um diese Geräte geht es nämlich) ausgestattet wurden und bis zum Winter wohl auch nicht werden. Fast ein Jahr lang redete die Behörde die Technik schlecht und lieferte Kultusministern und Bürgermeistern ein Alibi zum Nichtstun. Als immer deutlicher wurde, wie falsch diese Einschätzung ist, schwenkte das UBA vor wenigen Wochen um – und empfahl plötzlich den Einsatz mobiler Luftfilter in Kita-Gruppenräumen und Schulen, wie News4teachers berichtete. Die Folge: Die Bundesregierung legte kurzfristig ein Förderprogramm auf, aus dem sich die Schulträger bedienen können.
„Wir haben immer gesagt, dass einfaches Lüften wesentlich effektiver ist als der Einsatz dieser Geräte“
Damit gibt es aber Probleme. Zum einen wird daraus nur die Hälfte der Kosten übernommen, sodass viele Kommunen nach wie vor zögern. Zum anderen aber ist das Programm mit 200 Millionen Euro viel zu klein dimensioniert, um alle Kitas und Schulen in Deutschland damit ausstatten zu können. Experten kalkulieren mit einem Finanzbedarf von mindestens einer Milliarde Euro allein für die Schulen.
Um die Begrenzung zu rechtfertigen, musste allerdings eine sachlich klingende Argumentation her („mehr sind uns die Schülerinnen und Schüler nicht wert“ macht sich eben nicht gut, kurz vor der Bundestagswahl schon gar nicht). Und diese Argumente liefert jetzt das Umweltbundesamt: Infrage kämen die Virenfilter nur für jene etwa 15 bis 25 Prozent der Klassen- und Kita-Räume, die nicht gut zu belüften seien, befand Moriske. Und siehe da: Plötzlich passen Finanzen und Bedarf in etwa zusammen. Tatsächlich ist das Förderprogramm des Bundes auf „Räume mit eingeschränkter Lüftungsmöglichkeit“ beschränkt.
Die investitionsunwilligen Schulträger und Bundesländer haben die Steilvorlage sofort aufgenommen: „Luftreiniger allein bringen nicht viel“, so behauptet aktuell der Städtetag NRW. Man solle die Bedeutung der Geräte „nicht überbewerten“. Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) erklärt: „Wir haben immer gesagt, dass einfaches Lüften wesentlich effektiver ist als der Einsatz dieser Geräte.“ Und Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke) sagt: „Wir stützen uns insgesamt auf die Aussage des Umweltbundesamtes: Luftfilter sollen besonders in den Räumen eingesetzt werden, die schlecht zu lüften sind – das beste Mittel ist und bleibt aber immer noch das Lüften.“ Im Klartext: Die allermeisten Kitas und Schulen in Deutschland hoffen wohl vergeblich auf Luftfilter.
Das wirft Fragen auf: Wie kommt das UBA überhaupt darauf, dass 15 bis 25 Prozent der Klassen- und Gruppenräume nicht gut zu belüften seien? Die Kultusminister erklären seit fast einem Jahr, die Kitas und Schulen seien dank Fensterlüftung sicher – und das Amt warnt selbst auf seiner Homepage seit vergangenem Herbst grundsätzlich davor, nicht gut belüftbare Räume für den Unterricht zu nutzen. Wo kommen also jetzt auf einmal die nicht gut zu belüftenden Räume her?
„Unter diesen Bedingungen können wir den Präsenzbetrieb in den Schulen gut und sicher aufnehmen“
Zweitens, noch gravierender: Woher nimmt Moriske seine Einschätzung, in welchen Räumen Luftfilter nötig sind – und in welchen nicht? So behauptet er in der „Rheinischen Post“: Wenn sich in einem Klassenzimmer zwei Fenster weit öffnen ließen, sei von ausreichender Belüftung auszugehen, selbst wenn kein Durchzug möglich ist. Virenfilter brauche es dann nicht. „Unter diesen Bedingungen können wir den Präsenzbetrieb in den Schulen gut und sicher aufnehmen.“ Fensterfronten mit Oberlichtern, die nur gekippt werden können, reichten hingegen für die Belüftung nicht aus, meint er; hier könnten Luftfilter helfen.
In den Empfehlungen des UBA für die Schulen findet sich nichts dazu, dass es ausreichend sei, wenn zwei Fenster in einem Klassenzimmer zu öffnen sind – im Gegenteil: Dort heißt es, „alle Fenster müssen weit geöffnet werden (Stoßlüften)“. Das klingt nach mehr als zwei. Und: „Noch besser als Stoßlüften ist Querlüften. Das bedeutet, dass gegenüberliegende Fenster gleichzeitig weit geöffnet werden.“ Das Problem hier: Es gibt in Klassenräumen in aller Regel keine gegenüberliegenden Fenster.
Folgt man den Erkenntnissen von Aerosol-Forschern, die den Einsatz von mobilen Luftfiltern in Klassenräumen tatsächlich untersucht haben (das UBA selbst hat das nicht getan), so sind Moriskes Behauptungen – schlicht falsch.
So riet die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) bereits im Januar, bei der Belüftung von Klassenzimmern – und zwar von allen – auf technische Lösungen zu setzen, die einen kontrollierten Luftwechsel gewährleisten. Der Einsatz technischer Geräte zur Belüftung ist nach Ansicht der Fachgesellschaft grundsätzlich jeder Art passiver Lüftung durch bloßes Öffnen von Fenster und Türen weit überlegen, da bei der technischen Belüftung der Luftaustausch bzw. die Luftreinigung in kontrollierter Art und Weise geschieht. Bei der momentan empfohlenen passiven Lüftung von Klassenräumen mit Außenluft über die Fenster sei dies in einem typischen Klassenzimmer dagegen nicht zu erreichen, da diese stark von Faktoren wie Wind, Temperatur, Fensteröffnungen oder der Lage der Heizkörper abhänge.
In die gleiche Kerbe schlägt ein aktuelles Positionspapier der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). „Ein schneller Luftaustausch durch Fensterlüftung erfordert regelmäßiges Querlüften (6-mal pro Stunde, Durchzug durch Öffnen von Fenstern auf gegenüberliegenden Raumseiten, ggf. auch in benachbarten Räumen) oder ebenso häufiges Stoßlüften (durch vollständiges Öffnen aller vorhandenen Fenster in dem genutzten Raum)“, so heißt es darin. Trotzdem könne die Fensterlüftung physikalisch unwirksam sein, wenn kein Temperaturunterschied zwischen drinnen und draußen und kein ausreichender Wind vor den Fenstern herrsche. Das gilt natürlich für alle Klassenräume – nicht nur für Räume, die über zu wenige Fenster verfügen (und die deshalb grundsätzlich nicht für den Schul- und Kitabetrieb infrage kommen, schon aufgrund des steigenden CO2-Gehalts in der Atemluft nicht).
„Luftreinigungsgeräte können das Senken der Aerosolkonzentration bei schlecht belüftbaren Räumen unterstützen bzw. verbessern“
Eine aktuelle Studie der Universität Stuttgart kommt zu bemerkenswerten Ergebnissen: Luftreinigungsgeräte seien „meist“ wirksamer als die Stoßlüftung, heißt es in dem Papier. Wie viel wirksamer, das haben die Forscher im Rahmen eines Modellprojekts an zehn Schulen ermittelt: In den untersuchten normalen Klassenräumen sank die Infektionswahrscheinlichkeit durch den Einsatz von hinreichend dimensionierten mobilen Luftfiltern ohne Maske von 38 Prozent auf sechs Prozent, mit Maske von knapp zehn Prozent auf unter zwei Prozent – heißt: Die Wahrscheinlichkeit für Schülerinnen und Schüler, sich während des Unterrichts anzustecken, ist ohne mobile Luftfilter im Schnitt mindestens fünf Mal größer als mit.
Trotzdem kommen die Autoren der Auftragsstudie – die Stadt Stuttgart hat dafür bezahlt – zu der Schlussfolgerung: „Basierend auf den Erkenntnissen aus dem Pilotprojekt ist der flächendeckende Einsatz von Luftreinigungsgeräten nicht indiziert.“
Nicht nötig, obwohl der starke Effekt eindeutig nachgewiesen wurde? Eltern- und Lehrervertreter ziehen das von der Abteilung Kommunikation der Landeshauptstadt medial verbreitete Fazit der Studie (Stuttgarter Zeitung: „Mobile Luftfilter nur in wenigen Klassenräumen sinnvoll“) in Zweifel. Aus den Ergebnissen der Experimente ließe sich die Empfehlung überhaupt nicht ableiten, kritisiert etwa der Vorsitzende des Landeselternbeirats, Michael Mittelstaedt, in der „Rhein-Neckar-Zeitung“. Die Studie ergebe eindeutig, dass mobile Luftfilter das Infektionsrisiko stärker mindern als das Lüften über Fenster. „Betrug ist ein hartes Wort, aber es geht schon in die Richtung“, sagt er. „Es erweckt schon den Eindruck, dass der Auftraggeber ganz klar gesagt hat, was er rausbekommen möchte.“
Eben das neue Narrativ: „Luftreiniger allein bringen nicht viel“ – die Anschaffung für Kitas und Schulen ist deshalb verzichtbar. News4teachers
Hier lässt sich die komplette Studie der Universität Stuttgart herunterladen.
Luftfilter in Schulen werden international Standard – US-Gesundheitsministerium: „effektiv“