BERLIN. Zu den über ganze Schülergenerationen hinweg bleibenden Konstanten der Schule gehört der Versuch, das Interesse von Schülerinnen und Schülern an der Informatik über Wettbewerbe zu fördern. Doch keinem Wettbewerb ist es bislang gelungen, den Gender-Gap in der Informatik zu überwinden. Eine aktuelle Studie hat die Ursachen untersucht.
Noch immer ist der Anteil an Mädchen und Frauen in der Informatik gering, trotz aller Anstrengungen, mit denen Politik und Stakeholder teils seit vielen Jahren versuchen, mehr Schülerinnen den Weg in diese zukunftsträchtigen Felder zu eröffnen. Zu den gern dabei eingesetzten Mitteln gehören Wettbewerbe, wie etwa die vom Bund geförderten “Bundesweiten Informatikwettbewerbe (BWINF)“, der Gesellschaft für Informatik e. V., der Fraunhofergesellschaft und des Max-Planck-Instituts für Informatik.
Mit den in drei Stufen aufeinander aufbauenden Wettkämpfen haben es sich die Veranstalter nach eigenen Angaben zum Ziel gesetzt, Interesse an Informatik und am Programmieren zu wecken sowie Talente aufzuspüren und zu fördern, wie etwa Christine Regitz, Präsidentin der Gesellschaft für Informatik, unterstreicht: „Wir können es uns nicht länger leisten, dass sich so wenige Mädchen für die Informatik entscheiden. […] Um gesellschaftliche Stereotypen zu brechen, müssen in der Bildung bereits früh Berührungspunkte zur Informatik geschaffen werden: durch erste informatische Inhalte in der Grundschule und ein verpflichtendes Schulfach Informatik spätestens ab der Mittelstufe.“
Warum die Wettbewerbe bei der Aktivierung von Mädchen nur teilweise Erfolg haben, hat nun das Berliner nexus-Institut in einer Studie im Auftrag von BWINF untersucht. Denn deutlich zeige sich bei den Wettbewerben eine sinkende Mädchenbeteiligung von 50 Prozent beim ersten Wettbewerb in Klasse 5 auf unter zehn Prozent in der Endrunde der dritten Konkurrenz für Jugendliche bis zum Alter von 21 Jahren. Für die Untersuchung hatte das Institut mehr als 3.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Alter von zehn bis 21 Jahren befragt.
Symptom: Abnehmendes Interesse der Mädchen mit zunehmendem Alter
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Bei Jüngeren war das Interesse an Informatik unter den Geschlechtern noch gleichmäßig verteilt: Im ersten Wettbewerb, an dem im letzten Jahr 430.000 Schülerinnen und Schüler teilgenommen haben, lag der Mädchenanteil in Klassenstufe 5 und 6 noch bei annähernd 50 Prozent (46,1 Prozent). In der Oberstufe („Jugendwettbewerb Informatik“) mit zuletzt 35.000 Teilnehmern und Teilnehmerinnen reduzierte er sich bereits auf 35 Prozent. In der letzten Runde waren gar weniger als ein Viertel (23 Prozent) weiblich.
Im „Leistungsbereich“ schließlich – dem Bundeswettbewerb Informatik mit etwa 1.600 Teilnehmenden – ging der Anteil der Mädchen von 15 Prozent in der ersten Runde auf sieben Prozent in der Endrunde zurück.
Gründe: Zwischen Selbstbild und Stereotypen
Während laut der Studie mithin bei Jungen das Interesse an Informatik im Laufe des Heranwachsens steigt, sinkt es bei Mädchen stark. Neben dem eigenen sozialen Selbstbild und dem Fehlen von engen Kontaktpersonen spiele dabei für Mädchen auch Gemeinschaft eine große Rolle. Demnach nahmen mehr Mädchen und junge Frauen an den Wettbewerben teil, wenn bereits andere Mädchen aus der Klasse mitmachten. Mangelnde Unterstützung von Lehrkräften, wenig Teamarbeit und wenig Förderung an der Schule erschwerten es dabei, das Interesse der Mädchen zu wecken. Die Studie habe auch gezeigt, dass Selbstbewusstsein eine große Rolle spielt: Mädchen waren in allen drei Wettbewerben stärker als Jungen überrascht, wenn sie gute Ergebnisse erzielen.
Nicht zuletzt hätten Stereotype in der Informatik unterschiedliche Wirkungen auf Mädchen und Jungen. Das „Nerd-Stereotyp“ – wenig soziale Kontakte und den ganzen Tag am Computer – habe zwar für alle einen negativen Effekt auf Interesse und Wettbewerbsteilnahme, dieser war aber bei Mädchen stärker ausgeprägt. Das Stereotyp rund um das Thema Erfolg, verbunden mit Intelligenz und Wohlstand, wirke sich dagegen positiv auf Interesse und Teilnahme aus, tat das bei Mädchen aber weniger stark.
Frühe Förderung und Gemeinschaftsgefühl stärken
Um mehr Mädchen bei der Stange zu halten und langfristig für die Informatik zu interessieren, empfiehlt die Studie besonders eine möglichst frühe Förderung der Mädchen, die Vermittlung der Informatik in gemeinschaftlichen Lern-Settings und ko-kreativen Prozessen sowie die stärkere Einbindung weiblicher Vorbilder und Bezugspersonen.
Um Mädchen zur Teilnahme an den Wettbewerben zu motivieren, sei es zudem wichtig, die positiven Perspektiven in der Disziplin zu verdeutlichen und den positiven Effekt der Wettbewerbe zu unterstreichen. Überdies empfiehlt die Studie, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer partizipativ in die Programmgestaltung mit einzubeziehen.
Informatik als soziales Erlebnis ist auch für BWINF-Geschäftsführer Wolfgang Pohl ein wichtiges Mittel, um den Gender-Gap in der Informatik zu schließen: „Das Informatik-Interesse bei Mädchen muss bereits früh gefördert und bestärkt werden – am wirkungsvollsten in der Schule, aber nicht nur dort: Es braucht außerschulische und schulübergreifende Angebote, um Mädchen zu fördern und untereinander zu vernetzen. Da das Gefühl von Gemeinschaft für Mädchen sehr wichtig ist, sollte dies früh aufgebaut, gestärkt und langfristig gepflegt werden.“ (zab, pm)
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