BERLIN. Die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der KMK hat mit ihren Vorschlägen zur Bekämpfung des Lehrermangels den Kultusministern in Deutschland die Legitimation verschafft, Lehrerinnen und Lehrern Mehrarbeit aufzudrücken – insbesondere durch Einschränkung der Teilzeitmöglichkeiten. Peinliche Pointe: Die Datengrundlage, mit der die SWK operiert, ist nicht aufrecht zu halten. Lehrkräfte nutzen keineswegs, wie behauptet, überproportional häufig die Teilzeit.
Reihenweise schränken Kultusministerien in diesen Tagen – angesichts des sich auswachsenden Lehrkraftemangels – die Teilzeitmöglichkeiten für Lehrkräfte ein und berufen sich dabei, wie aktuell die baden-württembergische Kultusministerin, auf den öffentlichen Druck: Dass so viele Lehrerinnen und Lehrer Teilzeit für sich in Anspruch nähmen, könne von vielen Bürgerinnen und Bürgern nicht nachvollzogen werden. Das sei in der Lebensrealität vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht üblich, behauptete sie (und bereitete damit argumentativ die Einschränkungen von Teilzeitmöglichkeiten von Lehrkräften vor, die jetzt durchgesickert sind – News4teachers berichtet aktuell).
Die Begründung liefert ein Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz, die der Lehrerschaft in Deutschland eine geradezu monströs hohe Teilzeitquote attestiert. „Die Teilzeitquote im Lehramt ist mit rund 47 Prozent im Verhältnis zu jener bei Erwerbstätigen insgesamt (29 Prozent) deutlich höher“, so heißt es in dem Papier in Bezug auf das Schuljahr 2019/2020. Nun allerdings stellt sich heraus: Die Datengrundlage des SWK-Gutachtens ist nicht zu halten.
„Es ist schon übel zu suggerieren, dass Lehrer über ein besonderes Privileg bei der Teilzeitarbeit verfügten”
„Die Teilzeitquote bei Lehrern liegt nicht bei rund 47 Prozent, wie es in den Empfehlungen der SWK heißt, sondern laut Statistischem Bundesamt bei 41“, so erklärt der Bildungsökonom Prof. em. Klaus Klemm in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
Er erläutert den Hintergrund dieser „Ungenauigkeit“ folgendermaßen: „Die Statistiken für Lehrpersonen kennen mehrere Gruppen: Neben den Lehrkräften gibt es die stundenweise Beschäftigten im Schulbereich – die katholischen und evangelischen Geistlichen etwa, die Tanzlehrer, die Bademeister oder an den beruflichen Schulen die Meister aus den Betrieben. Diese arbeiten zwar in Teilzeit, ihnen kann man aber natürlich nicht vorschreiben, mehr Stunden zu arbeiten. Sie sollten daher nicht in die Teilzeitquote bei Lehrern eingerechnet werden. Die so entstehende Quote von 41 Prozent ist natürlich immer noch höher als der Anteil der Teilzeitbeschäftigten unter allen abhängig Beschäftigten in Höhe von 29 Prozent. Aber auch hier muss man genauer hinschauen. Zwar liegt die Teilzeitquote bei Frauen im Schulbereich bei 47 Prozent, die unter allen abhängig Beschäftigten sogar geringfügig höher bei 48 Prozent laut Statistischem Bundesamt. Hier äußert sich schlicht der Trend, dass Frauen Familie und ihre berufliche Tätigkeit auszubalancieren versuchen, was ihnen die Männer bisher leider nur zum Teil nachmachen. Da nun 70 Prozent aller Lehrkräfte Frauen sind – bei allen abhängig Beschäftigten sind es nur 47 Prozent –, fällt die hohe Teilzeitquote bei sämtlichen Lehrern stärker ins Gewicht und landet bei eben jenen 29 Prozent.“ Klemm betont: „Das ist eine ganz banale Erklärung.“
„Wenn der Eindruck entstanden sein sollte, dass eine hohe Teilzeitquote ein alleiniges Problem von Schule ist, muss man das geraderücken”
Der SWK-Vorsitzende Prof. Olaf Köller hat nun Fehler eingeräumt. „Diese Kritik ist teilweise berechtigt. Wir hätten stärker differenzieren müssen. Zwischen den hauptamtlichen Lehrkräften, die in Teilzeit arbeiten, und den stundenweise Beschäftigten, die im Hauptberuf möglicherweise etwas Anderes machen. Wie der Pastor, der Religionsunterricht erteilt. Dann gibt es noch die Referendare, die logischerweise auch nur in Teilzeit unterrichten. Nimmt man die alle raus, liegt die Teilzeitquote nicht bei den im Bericht genannten 47 Prozent, sondern bei 40 Prozent. Und bei diesen 40 Prozent muss man bedenken, dass Frauen häufiger in Teilzeit arbeiten als Männer und unter Lehrkräften der Frauenanteil vergleichsweise hoch ist“, so erklärt er in einem Interview mit dem Journalisten Jan-Martin Wiarda.
Eine grundsätzliche Neubewertung hält Köller aber nicht für nötig. „Wenn der Eindruck entstanden sein sollte, dass eine hohe Teilzeitquote ein alleiniges Problem von Schule ist, muss man das geraderücken. Das ändert aber nichts an unserer Schlussfolgerung: Jede Stunde zählt. Wenn jede in Teilzeit arbeitende Lehrkraft nur eine Stunde mehr in der Woche unterrichten würde, wäre der Effekt enorm. Pro tausend Lehrkräften entspräche das 40 zusätzlichen Vollzeitstellen.“
Klemm sieht das deutlich anders. Er betont: „Es ist schon übel zu suggerieren, dass Lehrer über ein besonderes Privileg bei der Teilzeitarbeit verfügten, woraus dann gefolgert wird, hier könne man durch Einschränkungen leicht mehr Arbeitsstunden herausholen.“ News4eachers / mit Material der dpa