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Iglu-Schock – ist die Digitalisierung schuld? Philologen: „Kinder daddeln viel zu viel sinnlos durch die Gegend und verdummen dadurch“

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MAINZ. Mehr Leseförderung, mehr Deutschunterricht, Verzicht auf Englisch in der Grundschule – und überhaupt mehr Leistungsdruck (oder, andersherum, davon weniger): Die Diskussion um die Konsequenzen aus dem Iglu-Schock läuft heiß. Der Philologenverband Rheinland-Pfalz meldet sich mit einem weiteren Aspekt zu Wort: Er sieht in der Digitalisierung eine wesentliche Ursache für den diagnostizierten Verlust an Lesekompetenz. Tatsächlich gibt es Hinweise aus der Wissenschaft, dass Kinder, die viel Zeit mit dem Smartphone verbringen, schlechter lesen.

Machen Smartphones Kinder dumm? (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

„Die aktuell veröffentlichten Ergebnisse der Iglu-Studie versetzen die ehemalige ‚Bildungsnation Deutschland‘ erneut in Aufregung, und Rufe werden laut, man habe nach der PISA-Studie von 2001 nicht gehandelt“, so heißt es in einer Pressemitteilung des Philologenverbands Rheinland-Pfalz. Doch der beurteilt die Lage nach eigenem Bekunden ganz anders.

„Gehandelt wurde nach PISA 2001 schon, allerdings in die falsche Richtung. Die Politik hat sich, statt zu begreifen, dass man mit Lesehäppchen am Smartphone, Tablet und Smartboard keine echte Lesekompetenz generieren kann, in blindem Tatendrang leider viel zu stark auf eine oberflächliche Art der Digitalisierung verlegt“, sagt die Landesvorsitzende Cornelia Schwartz.

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Sie betont: „Kindergärten und Grundschulen wurden teilweise zwangsbeglückt mit Smartboards und anderen Geräten. Den Eltern sendete man das Signal, digitale Medien seien per se gut. Falsch bzw. zu ausgiebig genutzt sind sie für die Bildung und Gesundheit von Kindern im Kindergarten- und Grundschulalter aber kontraproduktiv“, meint sie.

Tatsächlich bestätigt eine aktuelle Studie des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS) der TU Dortmund, das auch den deutschen Teil der Iglu-Studie verantwortet, dass Smartphones für die sprachliche Entwicklung problematisch sein können (News4teachers berichtete). Untersucht wurde auf der Grundlage der Daten von rund 4.600 Viertklässlern und Viertklässlerinnen in Deutschland der Wortschatz. „Dabei ist deutlich geworden, dass es schon in der Grundschule sehr große Unterschiede im Wortschatz gibt und dass diese Unterschiede zum anderen systematisch mit dem familiären Hintergrund zusammenhängen, konkret, welchen Bildungsabschluss die Eltern haben, ob es einen Zuwanderungshintergrund gibt oder wie die familiäre Leseumgebung aussieht“, erläutert Studienautor Ulrich Ludewig.

„Der Wortschatz ist am kleinsten, wenn Kinder oft an digitalen Geräten lesen und gleichzeitig selten bis nie ein Buch“

Und zu dieser familiären Leseumgebung gehört eben auch die Nutzung digitaler Endgeräte, in der Regel Smartphones. In der Studie haben ein Viertel der Viertklässlerinnen und Viertklässler angegeben, (fast) täglich an digitalen Geräten zu lesen. Häufiges Lesen an digitalen Geräten weist dabei einen negativen Zusammenhang mit dem Wortschatz der Kinder auf. Bildungsforscher Ludewig führt aus: „Der Wortschatz ist am kleinsten, wenn Kinder oft an digitalen Geräten lesen und gleichzeitig selten bis nie ein Buch.“

Dies hänge möglicherweise mit der Art der Texte zusammen: Häufig werden digital eher Chatnachrichten, Anweisungen in Apps, kurze Teasertexte und ähnliches gelesen, die keine längeren, aufeinander aufbauenden Textpassagen und weniger vielfältigen Wortschatz beinhalten. Dieses trage kaum zu einem Ausbau des Wortschatzes bei und gleichzeitig fehle die Zeit für sprachförderlichere Aktivitäten. Möglich sei auch, dass sich Kinder mit geringem Wortschatz nicht an Bücher herantrauen und daher erst gezielt mit leichteren Büchern zum Lesen motiviert werden müssen.

Die Studie zeige, „dass Kinder beim Erwerb und Ausbau der sprachlichen Kompetenzen gezielte Unterstützung in ihren Grundschulen benötigen, besonders, wenn ihre familiäre Umgebung eher wenige Lerngelegenheiten für den Aufbau sprachlicher Kompetenzen im Deutschen bietet“, sagt Bildungsforscherin Prof. Nele McElvany, Geschäftsführende Direktorin des IFS und Studienleiterin von Iglu. Der Förderbedarf in Bezug auf den Wortschatz sei besonders groß bei Kindern, die nie oder nur selten Bücher lesen, selbst nicht in Deutschland geboren sind und deren Eltern einen eher niedrigen Bildungsabschluss haben. Daher müsse die systematische Förderung bestimmter Schülergruppen in den Schulen, besser noch bereits im Kindergarten, verstärkt werden.

„In den Schulen ab der ersten Klasse ist eine regelmäßige Diagnostik der Sprachkompetenzen mit daran anschließender gezielter Förderung angeraten“

Das Forschungsteam betont: „Sämtliche Studien in den letzten Jahren machen deutlich, dass Sprachkompetenzen unabdingbar sind, um einen erfolgreichen weiteren Schul- und Lebensweg zu ermöglichen. Um mehr Bildungsgerechtigkeit in Deutschland zu erreichen, ist daher in den Schulen ab der ersten Klasse eine regelmäßige Diagnostik der Sprachkompetenzen mit daran anschließender gezielter Förderung unter Einbezug der Familien dringend angeraten.“ Tatsächlich bestätigt auch die Iglu-Studie, dass „eine häufigere Nutzung [digitaler Geräte] in Deutschland im Gegensatz zu vielen anderen Teilnehmerstaaten und -regionen mit geringerer durchschnittlicher Lesekompetenz einher[geht]“. Im Klartext, so Schwartz: „Hier daddeln Kinder viel zu viel sinnlos durch die Gegend und verdummen dadurch.“

Mit Blick auf den Unterricht bedeutet das der Philologen-Chefin zufolge: „Wir müssen insgesamt zu verstehen lernen, dass sinnvolle Digitalisierung nicht bedeutet, dass Kinder ein Smartphone oder Tablet in der Hand halten. Entscheidend ist, was damit gemacht wird, zum Beispiel das selbstständige Aufbereiten und Präsentieren von Inhalten, nicht das stumpfsinnige Konsumieren dessen, was andere anbieten.“ Es gehe um einen wohldosierten, gezielten und sinnvollen Einsatz digitaler Medien. Schwartz: „Darüber hinaus müssen wir außerdem wieder den Weg zurück zu Büchern finden, denn digitale Medien können die bunte und anregende Phantasiewelt von Büchern nicht ersetzen.“ Die Iglu-Studie zeigt allerdings für die Grundschulen in Deutschland auf, dass „die Nutzungshäufigkeit digitaler Medien im Unterricht im internationalen Vergleich gering ausgeprägt“ ist.

Für den Philologenverband Rheinland-Pfalz ergeben sich trotzdem aus der Iglu-Studie als notwendige lesedidaktische Ziele, dass Kinder stärker motiviert werden, „außerhalb der Schule zum Vergnügen [zu] lesen“ – wie es die Studienautoren fordern –, dass Schülerinnen und Schüler digitale Medien lediglich in begrenztem Umfang gezielt nutzen, nämlich um sich Informationen zu beschaffen, zu erarbeiten, sie zu strukturieren und zu präsentieren, dass sie aber auch „ein Leben außerhalb der digitalen Welten haben“. Letzteres allerdings könne die Schule nicht allein erfüllen. News4teachers

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers heiß diskutiert:

Philologen zur Iglu-Studie: „Leistungsprinzip bereits in den ersten Klassen umsetzen!“

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