BERLIN. Bundesfamilienministerin Lisa Paus hat im Kampf gegen Antisemitismus Versäumnisse in der Bildung angeprangert. «Obwohl wir ja sozusagen als Deutsche mit unserem historischen Gewissen denken, Bekämpfung von Antisemitismus gehört zum Grundkanon dazu, haben wir in den vergangenen Jahren, wahrscheinlich Jahrzehnten, zu wenig getan», sagte die Grünen-Politikerin. Der VBE nimmt Lehrkräfte aus der Haftung dafür heraus. «Klar ist, dass wir vor viel größeren Herausforderungen stünden, wenn Lehrkräfte nicht sowieso schon jeden Tag Haltung zeigen würden», erklärte Bundesvorsitzender Gerhard Brandt.
«Es gibt entsprechende Angebote, aber es ist eben nicht generell verankert in den Curricula in den Schulen», sagte Paus. Man erlebe jetzt, dass es bei den Lehrerinnen und Lehrern eine große Überforderung gebe, die Geschehnisse rund um den Nahost-Konflikt aufzuarbeiten.
Auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, forderte mehr Beschäftigung mit diesen Themen im Bildungswesen. «Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson», sagte die SPD-Politikerin dem «Spiegel». «Diesen Satz müssen wir mit Leben füllen und immer wieder klarmachen, was es bedeutet, dass Deutschland eine besondere Verantwortung hat.» Der Kampf gegen Antisemitismus müsse in Integrationskursen Thema sein und in Schulen müssten Lehrerinnen und Lehrer wieder mehr über die Schoah und über den Nahostkonflikt reden, «das muss fester Bestandteil des Lehrplans sein».
«Schule ist ein Spiegel der Gesellschaft. Insofern werden auch in den Schulen die Spannungen wahrgenommen, die derzeit allerorten zu spüren sind»
Gerhard Brand, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), betonte mit Blick auf die Lehrkräfte: «Als Demokratinnen und Demokraten tun sie unter den widrigen Umständen, welche auf jahrelange politische Versäumnisse zurückzuführen sind, ihr Möglichstes, den Schulfrieden zu wahren.»
Allerdings: «Schule ist ein Spiegel der Gesellschaft. Insofern werden auch in den Schulen die Spannungen wahrgenommen, die derzeit allerorten zu spüren sind. Diese Spannungen treten aber nicht nur in der aktuellen Situation auf, sondern sind die Folge der politischen Nachlässigkeit bei der konsequenten Bekämpfung antisemitischer Tendenzen in unserer Gesellschaft.»
Trotz «jahrelanger und vehementer» Forderungen seitens verschiedener Interessenvertretungen und Gewerkschaften gebe es keinen bundesweiten Definitionsrahmen in der Frage, was ein antisemitischer Vorfall ist, keine einheitliche Meldepflicht für Vorfälle in den Schulen und nur vereinzelt unabhängige Beratungsstellen für Betroffene antisemitischer Gewalt. Die Folge, so Brandt: „eine hohe Dunkelziffer, die seit Jahren wächst und eine Herausforderung, die schlichtweg nicht mehr von heute auf morgen gelöst werden kann. Es muss endlich Bewegung in das Vorhaben kommen, antisemitische Tendenzen konsequent zu bekämpfen. An den Schulen braucht es dafür deutlich mehr Zeit und personelle Ressourcen, aber auch Fortbildungen für Lehrkräfte, um gelingende Präventionsarbeit gewährleisten zu können.»
«Die umfassende Wirkung eines Verbots ist ein frommer Wunsch aus der verwaltungsromantischen Märchenkiste»
Zur aktuellen Debatte um ein Verbot palästinensischer Symbole, die Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) mit einem entsprechenden Scheiben an die Schulleitungen losgetreten hat (News4teachers berichtete), mahnt Brand: «Was es akut zu verhindern gilt, ist die Verherrlichung der unmenschlichen Verbrechen der Hamas und eine Verhöhnung der Opfer.»
Aber: «Die umfassende Wirkung eines Verbots ist aber ein frommer Wunsch aus der verwaltungsromantischen Märchenkiste. Die Umsetzung fände zudem auf dem Rücken der Lehrkräfte vor Ort statt. Wenn sich die Politik einbildet, sich mit einem Verbot ein reines Gewissen erkaufen zu können, liegt sie falsch. Es braucht umgehend konkrete Ideen, wie jetzt gerade gehandelt werden soll. Hier schneidet sich die Politik teilweise selbst ins Fleisch, wenn durch Haushaltskürzungen Sicherheitsdienste, die ein solches Verbot durchsetzen könnten, weggespart werden. Wie also sollte ein Verbot umgesetzt werden, ohne Lehrkräfte zur Zielscheibe für Gewalt zu machen?» News4teachers / mit Material der dpa
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