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Arbeitsrechtler: “Die Arbeitszeiterfassung gilt auch für Lehrkräfte” – Wann endlich reagieren die Kultusminister?

BERLIN. Wo bleibt die Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte? Die Landesregierungen sind in der Pflicht, entsprechende Regelungen einzuführen – stellt der Arbeitsrechtler Prof. Michael Fuhlrott aktuell im „Spiegel“ fest. Und das betreffe sowohl die Angestellten wie die Beamtinnen und Beamten im Schuldienst. Allzu lange werden sich die Kultusministerien wohl nicht mehr herauswinden können: Eine erste Klage ist in Vorbereitung.

Die Kultusministerien gehen auf Tauschstation. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

„Die Arbeitszeiterfassung gilt auch für Lehrerinnen und Lehrer – ob sie nun verbeamtet sind oder nicht“, sagt Prof. Michael Fuhlrott, Fachanwalt für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius in Hamburg, im „Spiegel“. Zwar betreffe die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur verpflichtenden Arbeitszeiterfassung Beamtinnen und Beamte zunächst nicht. Das Urteil gelte strenggenommen nur für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ganz gleich, ob in der Privatwirtschaft oder im öffentlichen Dienst – nicht aber für Beamtinnen und Beamte, die für den Staat aufgrund eines besonderen „Dienst- und Treueverhältnisses“ tätig und damit nicht als Arbeitnehmer nach dem deutschen Arbeitsrecht anzusehen sind.

Aber: Beamtinnen und Beamte fielen unter den Arbeitnehmerbegriff des Europarechts – und die Initiative einer verpflichtenden Arbeitszeiterfassung sei ursprünglich vom Europäischen Gerichtshof in Luxemburg ausgegangen (News4teachers berichtete). „Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gilt also auch für Beamtinnen und Beamte. Anders als ihre Kolleginnen und Kollegen in der Privatwirtschaft können sie sich aber nicht primär auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts berufen, sondern auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs und die dem zugrundeliegende europäische Arbeitszeitrichtlinie“, erklärt Fuhlrott.

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Hintergrund: Das Bundesarbeitsgericht entschied im September vorigen Jahres – bezugnehmend auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Mai 2019 –, dass die Erfassung von Arbeitszeit in Deutschland verpflichtend sei (News4teachers berichtete auch darüber). Das Bundesarbeitsministerium legte daraufhin im April einen Gesetzentwurf vor, demzufolge die Arbeitszeit künftig elektronisch erfasst werden soll. Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit sollen danach noch am selben Tag aufgezeichnet werden. Von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung sind demnach auch Lehrkräfte, andere Beamtinnen und Beamte sowie die Wissenschaft betroffen.

„Derzeit führt ein Verstoß gegen die Aufzeichnungspflicht aber noch nicht unmittelbar zu einem Bußgeld“ – noch nicht

Auch für Lehrerinnen und Lehrer gelte also der Grundsatz, so Fuhlrott: Arbeitszeit muss erfasst werden. Das greife für die Aufsicht in der Pause, für das Korrigieren der Klassenarbeiten zu Hause, aber auch für die schnelle Elternmail am Abend. Weigert der Arbeitgeber sich, drohen Bußgelder – und zwar in saftiger Höhe von bis zu 30.000 Euro. „Derzeit führt ein Verstoß gegen die Aufzeichnungspflicht aber noch nicht unmittelbar zu einem Bußgeld“, erklärt Fuhlrott.  Es sei allerdings davon auszugehen, dass künftig, sobald das Arbeitszeitgesetz reformiert ist, bestraft wird, wer nicht aufzeichnet. Das wären dann die Bundesländer.

Kein Wunder also, dass sich die Kultusministerinnen und Kultusminister dagegen wehren, die Arbeitszeit von Lehrkräften zu erfassen. Den Gesetzentwurf nahm die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU), zum Anlass, sich per Brief an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zu wenden und auf gesetzliche Sonderregelungen für Lehrkräfte und Beschäftigte in der Wissenschaft zu bestehen.

Der aktuelle Referentenentwurf trage der „besonderen Situation der Lehrkräfte“ nicht Rechnung. Die Arbeitszeiten von Lehrkräften seien nicht oder nur zum Teil messbar. Möglich sei das nur für die erteilten Unterrichtsstunden, nicht aber für die zahlreichen außerunterrichtlichen Tätigkeiten wie zum Beispiel die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, Korrekturen, Eltern- und Schülerbesprechungen, Verwaltungsarbeiten, Aufsichten etc. Die dafür anfallenden Arbeitszeiten könnten nicht prognostiziert oder durch den Arbeitgeber überprüft werden. Es gehöre zum Berufsbild der Lehrkraft, dass sie ihre Aufgaben eigenverantwortlich und selbständig ausübt.

„Der Umstand, dass der konkrete Umfang der Arbeitszeit nicht in jedem Fall im Voraus feststeht, steht einer nachträglichen Dokumentation am Ende des Arbeitstages nicht entgegen”

Günther-Wünsch führte laut Bericht außerdem an, dass eine Ungleichbehandlung drohe, weil die geplante Pflicht zur Arbeitszeiterfassung nur für tarifbeschäftige Lehrkräfte gelten würde. Das widerspreche dem europäischen Arbeitnehmerbegriff. Zudem hänge die Attraktivität des Lehrerberufs mit der Flexibilität der Arbeitseinteilung zusammen.

Vom Bundesarbeitsministerium erhielt Günther-Wünsch eine Abfuhr. „Der Umstand, dass der konkrete Umfang der Arbeitszeit nicht in jedem Fall im Voraus feststeht, steht einer nachträglichen Dokumentation am Ende des Arbeitstages nicht entgegen”, so schrieb (dem Bildungsjournalisten Jan-Martin Wiarda zufolge) Staatssekretärin Lilian Tschan an die KMK-Präsidentin. Heißt: Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gilt nach Auffassung des Bundesarbeitsministeriums schon heute umfassend für alle Lehrkräfte in den Schulen, die Kultusministerien müssten sie jetzt umsetzen. „Ob Gerichte das genauso sehen, bleibt abzuwarten. Doch erste entsprechende Klagen könnten jederzeit kommen“, so Wiarda.

Eine erste ist in Vorbereitung: Der Philologenverband Baden-Württemberg hat angekündigt, gegen das Kultusministerium des Landes klagen zu wollen. News4teachers

Warum die Kultusminister kein Interesse daran haben, die Arbeitszeit von Lehrkräften genau zu erfassen (obwohl sie es müssten)

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