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“Es braucht einen Bildungswillen”: Kretschmann nimmt Eltern schwacher Schüler in die Pflicht

STUTTGART. Wie umgehen mit den Leistungsproblemen bei Grundschülern? Das Land Baden-Württemberg plant ein Paket zur Sprachförderung, der Ministerpräsident findet aber auch: Eltern müssten den Bildungswillen der Kinder fördern.

“Da werden wir jetzt ein Paket schnüren”: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Foto: Staatsministerium Baden-Württemberg

Um die Leistungsprobleme bei Grundschülern in den Griff zu bekommen, sieht Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann neben dem Staat auch die Eltern in der Pflicht. «Es braucht einen allgemeinen Bildungswillen – übrigens über die ganze Bildungsbiografie hinweg», sagte der Grünen-Politiker in Stuttgart. Dieser Wissensdurst müsse aus den Elternhäusern heraus gefördert werden.

Aus seiner Sicht müsse die Erziehungspartnerschaft zwischen Elternhaus und Lehrerschaft erneuert werden. «Wir haben teilweise eine Überbetreuung – das, was man Helikoptereltern nennt. Und es gibt auch einen Anteil an Eltern, der die Pflicht, sich um die Erziehung der Kinder zu kümmern, zu wenig wahrnimmt.»

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«Wir wollen für die, die die Sprache nicht gut genug können, eine verpflichtende Sprachförderung einführen»

Für wichtig hält Kretschmann dabei den gegenseitigen Respekt zwischen Eltern und Lehrkräften. Ein gutes Beispiel dafür sei die Grundschulempfehlung. «Ich weiß nicht, warum sich manche Eltern daran nicht halten. Das ist die Empfehlung von Fachleuten, die sich mit den Kindern vier Jahre beschäftigt haben», sagte Kretschmann. Eltern sollten die Fachkräfte respektieren und sich nicht über deren Votum hinwegsetzen. Die Landesregierung unter Kretschmann hatte 2012 die verbindliche Grundschulempfehlung abgeschafft.

Die FDP stimmte Kretschmann zu, dass die Eltern eine wichtige Rolle bei der Bildung ihrer Kinder einnehmen müssten. Viele Eltern seien aber gar nicht imstande, ihren Kindern Wissen zu vermitteln, sagte der bildungspolitische Sprecher der Landtagsfraktion, Timm Kern: «Viele Eltern und ihre Kinder haben zum Beispiel eine Migrationsbiografie – und dementsprechend wenig Erfahrungen einerseits mit der deutschen Sprache und andererseits mit den Bildungsgegebenheiten in Baden-Württemberg.» Die Regierung dürfe sich deswegen nicht aus der Affäre ziehen.

Das sieht auch SPD-Fraktionschef Andreas Stoch so. Kretschmann mache es sich zu leicht, die Verantwortung an andere abzuschieben. «Das Land und damit seine Landesregierung sind für das Bildungssystem verantwortlich», sagte Stoch.

Bildungsstudien haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass es mit den Leistungen in vielen Kernfächern bergab geht – auch schon in der Grundschule. Im Jahr 2022 zeigten das zum Beispiel die schlechten IQB-Testergebnisse bei Viertklässlern in Mathe und Deutsch: Fast jedes fünfte Kind schaffte die Mindeststandards in den zwei Fächern nicht. Und auch der Anteil der starken Schülerinnen und Schüler, die den Regelstandard in Deutsch und Mathematik schaffen oder übertreffen, sank (News4teachers berichtete).

Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) hatte als Reaktion auf die miserablen Ergebnisse in den Grundschulen mehrere Gegenmaßnahmen eingeführt. So gibt es in den Grundschulen seit dem Start dieses Schuljahres etwa eine verbindliche Leseförderung (News4teachers berichtete ebenfalls).

«Wenn wir wieder in die Spitze wollen, wird es ohne Ganztagsbetrieb nicht gehen. Das halte ich persönlich für völlig ausgeschlossen»

Um die Probleme bei den Basiskompetenzen in den Grundschulen zu beheben, wolle die Landesregierung im kommenden Jahr ein Maßnahmenpaket vorlegen, sagte Kretschmann. «Wir wollen für die, die die Sprache nicht gut genug können, eine verpflichtende Sprachförderung einführen», sagte der Ministerpräsident. Zudem solle es weitere Maßnahmen für die Stärkung der Grundschulen geben. «Da werden wir jetzt ein Paket schnüren, das unsere finanziellen Spielräume in hohem Maße ausfüllen wird.»

Außerdem hält Kretschmann mehr Ganztagesbetrieb für hilfreich. «Wenn wir wieder in die Spitze wollen, wird es ohne Ganztagsbetrieb nicht gehen. Das halte ich persönlich für völlig ausgeschlossen», sagte Kretschmann. Es sei in Baden-Württemberg aber sehr schwer, mehr Ganztagsschulen durchzusetzen. «Da gibt es eine große Zurückhaltung.»

Die Lehrergewerkschaft VBE sieht in mehr Ganztagesangeboten kein Allheilmittel. «Wir haben in Baden-Württemberg genügend Beispiele an gelingender Bildung, die ohne Ganztagsbetrieb arbeiten», sagte Gerhard Brand, Landeschef des Verbands Bildung und Erziehung. Die Entscheidung über die genaue Ausgestaltung des Schulbetriebs sollte in die Hände der Beteiligten vor Ort gelegt werden, forderte Brand.

Hilfe bei dem Thema erhofft sich Kretschmann aber nicht nur von Politik und Eltern, sondern von der ganzen Gesellschaft. «Ich glaube, wir können damit rechnen, dass sich viele freiwillig engagieren», sagte er – etwa als Lesepaten. «Jeder Lesepate, der das freiwillig macht, hilft einem Kind unmittelbar. Wenn man so was macht, sieht man sofort die Wirkung.» News4teachers / mit Material der dpa

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