BERLIN. Seit ChatGPT vor rund zwei Jahren wie eine Bombe ins Bildungssystem eingeschlagen ist, steht die Frage im Raum, wie Schulen mit Künstlicher Intelligenz umgehen sollen. Mit den heute beschlossenen Handlungsempfehlungen will die Bildungsministerkonferenz (so der neue Titel des bisher als KMK bekannten, für Schulpolitik zuständigen Ländergremiums) den Lehrkräften endlich Unterstützung bieten. Dieser Erwartung wird das Ergebnis aber nicht gerecht – zumindest aus Sicht der GEW und anderer Kritiker: „Zu unkonkret“, so lautet das Urteil. Dabei bietet der Beschluss durchaus Perspektiven für Lehrkräfte, die es in sich haben.
Die Empfehlungen der Bildungsministerkonferenz sollen „als Orientierung für die mündige, altersangemessene und versierte Nutzung von KI in schulischen Bildungsprozessen insbesondere für die Bildungsadministration der Länder dienen“, so heißt es im Beschluss. Die für Schulen zuständigen Behörden sollen den KI-Einsatz „kritisch-konstruktiv und mit gebotener Offenheit im Sinne einer positiven Fehlerkultur begleiten“.
„Wir bereiten junge Menschen heute in Schule auf eine Welt vor, die zunehmend von KI gesteuert sein wird. Dieser Prozess ist nicht mehr aufzuhalten. Wir können ihn aber prägen“, erklärte Christine Streichert-Clivot, Präsidentin der Kultusministerkonferenz und saarländische Bildungsministerin, das Ziel der Handlungsempfehlungen in einer Pressemitteilung.
Eine Aufgabe von Schule sei dabei, die positiven Möglichkeiten von KI im Bereich der individuellen Förderung zu nutzen. Der Beschluss der Bildungs-MK nennt in diesem Zusammenhang verschiedene Beispiele für den Einsatz von KI, wie Text-zu-Sprache- oder Sprache-zu-Text-Anwendungen, automatisierte Übersetzungen oder auch Tools für den Bereich Inklusion wie automatische Bildbeschreibungen und Umwandlung von Texten in leichte Sprache.
Länder mahnen vor digitaler Spaltung
Darüber hinaus müsse Schule „deutlich machen, wie sprachgenerierende, sowie bild- und tongenerierende KIs unsere Welt verändern“, so Streichert-Clivot. „Bereits heute haben KI-gestützte Anwendungen Einzug in die Kinderzimmer Deutschlands gefunden. Das erfordert alters- und zielgruppenspezifische Konzepte für das Lernen mit Lebensweltbezug. Digitale Transformation bedeutet unseren Kindern und Jugendlichen Zukunftskompetenzen an die Hand zu geben.“
Ein mündiger, altersangemessener und versierter Umgang mit KI werde zu einer neuen Schlüsselkompetenz, nicht zuletzt in Berufs- und Arbeitszusammenhängen, heißt es dazu in den Handlungsempfehlungen. Die Länder betonen daher auch, dass die Teilhabe aller Schülerinnen und Schüler an der Technologie gewährleistet sein müsse, um einer sogenannten digitalen Spaltung zu begegnen.
Hervorgehoben wird zudem, dass Schüler*innen befähigt werden müssten, die neusten digitalen Entwicklungen kritisch-reflektiert anwenden zu können und dass Schule immer auch zwischenmenschliche Interaktion bedeutet. „Deswegen soll der Einsatz von KI-Anwendungen nicht zur Abschwächung des gemeinsamen Lernens führen.“ Ein Verbot von KI etwa bei Hausaufgaben ist aus Sicht der Länder weder zielführend noch wünschenswert oder durchhaltbar.
„Lernen mit KI“ schon in der Grundschule möglich
Die Bildungsminister*innen zeigen sich darüber hinaus offen für einen KI-Einsatz bei jüngeren Lernenden. Zwar legt die Bildungspolitik angesichts schlechter werdender Mathe- und Deutsch-Ergebnisse in Bildungsstudien jetzt verstärkt Wert darauf, die sogenannten Basiskompetenzen in der Grundschule zu stärken. Dies stehe aber nicht im Widerspruch zu digitalen Zukunftskompetenzen. KI-unterstützte Lernmaterialien könnten einen positiven Effekt auf den Erwerb von Basiskompetenzen haben, heißt es. Beim „Lernen mit KI“ soll der Fokus laut Handlungsempfehlungen demnach zuerst auf die sogenannten Basiskompetenzen in Deutsch, Mathematik und den Fremdsprachen gelegt werden.
Die Bewertung, etwa in Prüfungen, bleibe eine pädagogische Aufgabe, die im schulischen Kontext ausschließlich von Lehrkräften erfüllt werden könne, heißt es im Beschluss. KI könnte nach Ansicht der Minister*innen Lehrkräfte aber etwa bei Korrekturen und Feedback unterstützen. Prüfungsformate sollen so weiterentwickelt werden, dass die Leistungen juristisch einwandfrei den Lernenden zugerechnet werden können, um Betrug mithilfe von KI auszuschließen. Fähigkeiten im Umgang mit KI seien als fester Bestandteil in alle Phasen der Lehrkräftebildung einzubetten.
Handlungsempfehlungen „an vielen Stellen zu unkonkret“
Kritik an den KI-Handlungsempfehlungen der Länder kommt in geballter Form: In einer gemeinsamen Pressemitteilung begrüßen die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) und Wikimedia Deutschland zwar „diesen überfälligen Schritt“, bemängeln aber, dass die „Minister*innen an vielen Stellen zu unkonkret“ bleiben. „Aus unserer Sicht versäumen es die Länder, klar zu benennen, welche pädagogischen, didaktischen und administrativen Herausforderungen mit Systemen der künstlichen Intelligenz gelöst und bearbeitet werden sollen“, sagt dazu Stefan Schönwetter, DKJS-Experte für Digitale Bildung. Hinzu komme, dass ebenso offen bleibe, woher das Lehrpersonal an den Hochschulen und Lehrkräfteseminaren kommen soll, dass die Lehrkräfte für den KI-Einsatz ausbilde.
Die GEW warnt zudem davor, KI-basierte Anwendungen und automatisierte Lernsysteme als Lösung für den Lehrkräftemangel ins Feld zu führen. „Wir brauchen mehr Lehrkräfte, die für Entlastung sorgen. KI kann nicht die Lösung für eine verfehlte Haushaltspolitik sein“, betont GEW-Vorsitzende Maike Finnern. Lehrkräfte müssten dringend zeitlich entlastet werden. KI-Anwendungen und -Systeme leisteten das nicht automatisch.
„Es fehlen klare Aussagen, wie sichere Rahmenbedingungen für den Einsatz von KI in Schulen geschaffen werden“
Mit Blick auf den Datenschutz setzen sich die drei Organisationen darüber hinaus dafür ein, im Schulbereich auf nicht-proprietäre Software-Lösungen zu setzen. „Wenn KI-Systeme für den Bildungskontext entwickelt werden, müssen die zugrunde liegenden Modelle und Daten offen und transparent sein, da nur so eine unabhängige Prüfung der Technologien stattfinden kann“, sagt Heike Gleibs, Leiterin des Teams Bildung und digitale Kulturgüter bei Wikimedia Deutschland.
GEW, DKJS und Wikimedia vermissen im KI-Beschluss der Länder des Weiteren „klare Aussagen, wie sichere Rahmenbedingungen für den Einsatz von KI in Schulen geschaffen werden“. Die Verantwortung für die Einschätzung möglicher Risiken beim Einsatz von KI-Systemen in der Schule dürfe nicht den Lehrkräften übertragen werden. Diese müssten Politik und Verwaltung übernehmen. News4teachers / mit Material der dpa
Hier lässt sich die vollständige Handlungsempfehlung herunterladen.
Jede zweite Lehrkraft nutzt Künstliche Intelligenz (jede dritte verbietet sie Schülern)
