BIELEFELD. Im Vorfeld des EdTech Next Summit 2024 – dem Branchentreffen der Bildungswirtschaft – herrscht Optimismus bei den Unternehmen. Das (beschlossene) Startchancen-Programm und der (ausstehende) Digitalpakt 2.0 lassen die Hoffnungen auf gute Geschäfte sprießen. Doch Vorsicht! Bildung gilt als womöglich härtester Markt in Deutschland. Eine chaotische Politik sorgt dafür, dass es insbesondere Newcomer hier besonders schwer haben. Eine Analyse von Volker Jürgens.
„Warnung vor inoffiziellen Messekatalogen“, so heißt es aktuell auf der Homepage des Didacta-Verbands der Bildungswirtschaft. „Aussteller der didacta werden mit irreführenden Angeboten getäuscht“! Hintergrund: Der Verband und die Messe Stuttgart warnen aktuell vor teilweise irreführenden Angeboten, Zahlungsaufforderungen und Rechnungen, die von Gaunern an die Unternehmen in Zusammenhang mit Eintragungen in Katalogen und Verzeichnissen versendet werden.
Das Erfreuliche an der schlechten Nachricht: Cyberkriminelle halten die Bildungsbranche offenbar für so prosperierend, dass sich Betrügereien im Umfeld von Deutschlands großer Bildungsmesse, die im Februar 2025 stattfindet, lohnen. Tatsächlich ist die Stimmung der Branche – entgegen der Trübnis, die einen Großteil der übrigen deutschen Wirtschaft mittlerweile erfasst hat – optimistisch, besser vielleicht sogar als die tatsächliche Lage.
Der EdTech Next Summit (am 24. Oktober 2024 in Bielefeld) ist das führende Event für Bildungstechnologien in Europa. Die Konferenz bringt Start-ups, Investor:innen, Bildungsexpert:innen und politische Entscheidungsträger:innen zusammen und liefert Ein- und Ausblicke in den deutschen Bildungsmarkt.
News4teachers – Deutschlands meistgelesenes Bildungsmagazin – ist Medienpartner des EdTech Next Summit 2024. Das bedeutet, dass Newsteachers ausführlich über den Summit berichten wird.
Herausgeber Andrej Priboschek, Leiter der Agentur für Bildungsjournalismus, wird in Bielefeld vor Ort sein. Er spricht dort eine Keynote zum Thema “Strategische PR auf dem Bildungsmarkt” und steht auch als Ansprechpartner parat.
Weitere Referent:innen sind (unter vielen anderen): Jens Brandenburg, Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, Ralph Müller-Eiselt Vorstand des Forum Bildung Digitalisierung, Philologen-Landeschefin Sabine Mistler und Anja Hagen, Vorsitzende des EdTech-Verbandes. edtechnext-summit.com
Das hat zwei Gründe: das Startchancen-Programm, das bereits beschlossene 20-Milliarden-Euro schwere Förderpaket für 4000 Schulen in besonders herausfordernden Lagen. Und der mindestens Fünf-Milliarden-Euro umfassende Digitalpakt 2.0, um den Bund und Länder zwar seit nunmehr zwei Jahren verhandeln, den sie aber nicht gemeinsam vor die Wand fahren können (wer soll das den Eltern und damit rund 20 Millionen Wählerinnen und Wählern in Deutschland erklären?) – und der deshalb wohl vor der Tür steht.
Gut 25 Milliarden Euro fließen also in den nächsten Jahren in die Bildungswirtschaft, um die Schulen in Deutschland aufzupäppeln. Kein Wunder also, das die Erwartungen im Vorfeld des EdTech Next Summit 2024 – dem bevorstehenden Branchentreffen in Bielefeld – groß sind. Die Hindernisse sind es aber auch.
„Unser Ziel ist es, alle EdTech-Enthusiasten zu unterstützen“, sagt Tobias Himmerich, Geschäftsführer des Veranstalters EDUvation. „Dabei geht es aber nicht nur um pädagogische Fragen des Einsatzes von Technologien in der Bildung oder um Wunschdenken, wie die EdTech-Welt in ferner Zukunft aussehen sollte. Es geht um die tatsächlichen und aktuellen Bedürfnisse der EdTech-Szene.“
Der Kongress werfe einen Blick auf die wirtschaftlichen Aspekte und Herausforderungen, mit denen Unternehmen konfrontiert würden (Himmerich: „zum Beispiel wie man ein EdTech-Startup führt, wie man Investitionen erhält oder wie man Partner für eine Zusammenarbeit findet“). Eingeladen seien auch politische Entscheidungsträger sowie Interessenvertreter aus etablierten Unternehmen, um sich mit den Newcomern auszutauschen. „Auf diese Weise können aktuelle Probleme von EdTech-Unternehmen & EdTech-Startups diskutiert und angegangen werden.“
Und die sind tatsächlich mannigfaltig. Der auf Schulen zielende Bildungsmarkt in Deutschland gilt für Unternehmen, die nicht seit Jahrzehnten dort etabliert sind (also nicht über tradierte Vertriebswege verfügen), als womöglich härtester Markt in Deutschland.
Schon die Struktur ist aus Anbietersicht aberwitzig: gesplittet in 16 Bundesländer und versehen mit einer Nachfrageseite, die sich in Lehrkräfte, Schulleitungen, Schulträgern und Schulverwaltungen aufteilt – mit jeweils unterschiedlichen Interessen. Wen spricht man an, um ihn oder sie vom eigenen Produkt zu überzeugen? Nutzer und Besteller sind meist nicht identisch. Im Zweifelsfall müssen alle gewonnen werden – ein riesiger Kommunikationsaufwand, den gerade junge Unternehmen kaum leisten können. Zumal Entscheidungsprozesse sich hinziehen, was das Marketing im Bereich B2G (also vom „Business“ ans „Government“, wie es im Geschäftsdeutsch heißt) zu einem Marathon macht.
„Wenn die Länder sich nun nicht endlich ehrlich machen, kann der neue Digitalpakt nicht im Januar 2025 an den Start gehen“
Wie viel Geduld von allen Beteiligten mitunter nötig ist, macht das Gehampel um den Digitalpakt 2.0 deutlich – wie gesagt, ein staatlicher Investitionsaufwand, der geleistet werden muss, wenn sich Deutschland nicht vollends von allen Zukunftsperspektiven verabschieden will. Es geht letztlich nur darum, welche föderale Ebene – Bund vs. Länder – wie viel bezahlt, die in den vergangenen Jahren angeschaffte Technik in Schuss zu halten.
„Wenn die Länder sich nun nicht endlich ehrlich machen, kann der neue Digitalpakt nicht im Januar 2025 an den Start gehen“, so lautet die kryptische jüngste Äußerung von Bettina Stark-Watzinger, FDP, zum Thema (aktuell geäußert gegenüber der Nachrichtenagentur AFP). Was will uns die Bundesbildungsministerin damit sagen? Geht es um „Ehrlichkeit“ – oder schlicht darum, dass die Länder Stark-Watzingers unverändert immer wieder eingebrachten Entwurf endlich doch akzeptieren sollen? Der sieht eine 50:50 Finanzierung vor – und damit eine deutliche Verschlechterung gegenüber dem ersten Digitalpakt, bei dem der Bund noch 90 Prozent der Kosten trug.
Entsprechend genervt fällt die Reaktion von Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) aus. „Es ist der Bund, der seit Jahren den Prozess verschleppt und sich nicht an Verfahrensabsprachen hält“, sagt sie, „es ist der Bund, der trotz Inflation nur noch einen Bruchteil der bisherigen Finanzierungen in Aussicht stellt“. Jetzt sehe alles danach aus, als wolle sich Stark-Watzinger aus der gemeinsamen Finanzierung stehlen und die Verantwortung dafür den Ländern zuschieben.
Prien schimpft: „Das ist ein skandalöser und leicht durchschaubarer Vorgang auf dem Rücken der Schülerinnen und Schüler und der Schulen in Deutschland.“ Ich meine: Das ist vor allem Kasperl-Theater. Sich zwei Jahre lang, so lange laufen die Verhandlungen allen Ernstes bereits, immer wieder die gleichen Positionen um die Ohren zu hauen, zeugt nicht gerade von erwachsener Politik – auf beiden Seiten. Leidtragende sind die Schulen in Deutschland, die derzeit den Stillstand verwalten müssen. Und eben die Unternehmen der Bildungsbranche, die mit ihren digitalen Angeboten und ihren dafür nötigen Personalapparaten mindestens so lange durchhalten müssen, bis der Show-Kampf zwischen Bund und Ländern doch mal ein Ende findet. Die Erfahrung mit dem Digitalpakt 1 zeigt: Wenn dann endlich mal ein Kompromiss geschlossen ist, muss sofort geliefert werden – in gigantischen Dimensionen. Wer soll dieses Hin und Her denn leisten, wenn nicht die ganz Großen der Branche?
Und dann gibt’s ja noch – wir sind bekanntlich in Deutschland – die Bürokratie, die Schulen und Bildungsunternehmen das Leben schwer macht. Beim Digitalpakt 1 waren es beispielsweise Medienpläne, die von den Schulen vorgelegt werden sollten (wohlgemerkt: Schulleitungen mussten darin seitenweise erklären, wie sie Technik einsetzen wollen, die sie damals ja noch gar nicht kennen konnten). Die Lösung, zumindest vielerorts: Die größeren Anbieter „berieten“ die Schulen bei der Entwicklung der Pläne (was nichts anderes bedeutete, als dass sie Textbausteine lieferten, die per Copy and Paste in die Formulare eingefügt werden konnten).
Auch das Startchancen-Programm lässt diesbezüglich nichts Gutes erahnen. Einerseits werden darin den Schulen „Chancen-Budgets“ eingeräumt, die sie selbst bewirtschaften sollen. Im Wortlaut des Bundesbildungsministeriums heißt es dazu wörtlich: „Die Chancenbudgets eröffnen den Startchancen-Schulen Freiräume und ermöglichen bedarfsgerechte Lösungen, die den Gegebenheiten vor Ort Rechnung tragen.“
Andererseits wird ausgeführt: „Die Entscheidung darüber, wie die Chancenbudgets eingesetzt werden, wird von den zuständigen Stellen des Landes im Rahmen von Entwicklungs- und Kooperationsgesprächen gemeinsam mit den Startchancen-Schulen und – sofern sie zuständig sind – den Kommunen getroffen und in einer Vereinbarung transparent und nachvollziehbar dokumentiert.“
Was denn nun? „Freiräume“ oder Entscheidungen von oben? Offenbar beides. Wen sollen Unternehmen denn dann mit ihren Angeboten ansprechen? Willkommen auf dem Bildungsmarkt.
Der Autor Volker Jürgens war Geschäftsführer eines IT-Unternehmens in der Bildungsbranche. Er ist heute als Fachjournalist tätig.
