BERLIN. Noch Ende Oktober bezeichnete der Verband Bildung und Erziehung (VBE) NRW Schulen als „Integrationsorte Nummer eins“. Das aktuelle Integrationsbarometer zeigt nun allerdings: Immer weniger Menschen ohne Migrationshintergrund würden das eigene Kind auch an eine Schule mit heterogener Schülerschaft schicken wollen.
„Schulen vermitteln Wissen und verbinden Menschen. Sie sind für Kinder und Jugendliche die Integrationsorte Nummer eins. Hier entstehen multikulturelle Freundeskreise, die es sonst vielleicht nicht geben würde“, kommentierte VBE-Landesvorsitzende Anne Deimel im Oktober den Anstieg der Schüler:innen mit Zuwanderungsgeschichte in NRW (News4teachers berichtete). Das Potenzial für nachhaltige Integrationsarbeit sei groß, so Deimel. Entfalten kann es sich allerdings nur, wenn zur Schülerschaft auch Kinder und Jugendliche ohne Migrationshintergrund gehören. Doch Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte sehen Schulen mit heterogener Schülerschaft zunehmend kritisch. Darauf verweist das aktuell veröffentlichte Integrationsbarometer 2024 des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR).
„Wenn Eltern solche Schulen meiden, dann trägt dies zu schulischer Segregation bei.“
Für das SVR-Integrationsbarometer 2024 befragte ein Marktforschungsinstitut über einen Zeitraum von rund sieben Monaten ab Ende November 2023 insgesamt 15.020 Personen. Es ist die fünfte bundesweite Befragung von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Sie erfasst Einschätzungen und Einstellungen zu integrations- und migrationsspezifischen Themen.
Demnach würden unter Menschen ohne Migrationshintergrund nur noch 55 Prozent der Befragten das eigene Kind an einer Schule mit heterogener Schülerschaft anmelden. Vor zwei Jahren waren es noch 65,2 Prozent. „Wenn Eltern solche Schulen meiden, dann trägt dies zu schulischer Segregation bei; das wiederum erschwert den interkulturellen Austausch und kann dazu führen, dass sich spezifische Problemlagen an einzelnen Schulen bündeln“, sagt SVR-Mitglied Professor Marc Helbling. Allerdings: auch das Vertrauen in das Schulsystem insgesamt sei zurückgegangen. „Und zwar nicht nur bei Personen, die Auswirkungen einer heterogenen Schülerschaft befürchten, sondern auch bei denen, die diese Sorgen nicht teilen“, so Helbling. Das lege nahe, dass auch Faktoren wie beispielswiese der Lehrkräftemangel oder eine mangelnde Ausstattung der Schulen eine Rolle spielen.
Hinzu komme, dass die Integrationsskepsis im Bildungsbereich den weiterhin überwiegend positiven eigenen Erfahrungen gegenübersteht. So geben rund 80 Prozent der Menschen ohne Migrationshintergrund und etwa 93 Prozent derjenigen mit Migrationshintergrund an, positive Erfahrungen miteinander im Bildungssystem gemacht zu haben. „Eine Ursache hierfür könnte eine gestiegene Skepsis gegenüber der Integrationsfähigkeit des Bildungssystems sein“, mutmaßt Helbling.
Regelmäßige interkulturelle Kontakte wirken positiv
Abseits der negativen Entwicklung im Bildungsbereich gibt es allerdings auch gute Nachrichten: „Anders als die oft hitzigen medialen Debatten um Migrationssteuerung vermuten lassen, bewerten Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte das Integrationsklima weiterhin mehrheitlich deutlich positiv“, sagt der SVR-Vorsitzende Professor Hans Vorländer. Insgesamt liegt der Integrationsklima-Index (IKI) bei 66,3 Punkten und damit bei demselben Wert wie vor vier Jahren. Im Vergleich zu 2022 hat er sich allerdings um rund zwei IKI-Punkte verschlechtert. Der Integrationsklima-Index erfasst, wie Menschen mit und ohne Migrationshintergrund das Zusammenleben in vier Bereichen bewerten, die für Integration zentral sind: Arbeit, Bildung, soziale Beziehungen und Nachbarschaft. Die Skala reicht von 0 bis 100; je höher der Wert, desto besser wird das Integrationsklima eingeschätzt. Dabei gilt: „Menschen, die von regelmäßigen interkulturellen Kontakten berichten, blicken positiver auf das Integrationsgeschehen als jene mit geringen interkulturellen Kontakten“, betont Vorländer einen stabilen Befund der Forschung, der sich erneut bestätigt hat.
Deutlich wird, dass das Integrationsklima sich aus Sicht von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund unterschiedlich entwickelt hat. Während es sich unter Menschen ohne Migrationshintergrund gegenüber der vorigen Erhebung um etwa drei IKI-Punkte eingetrübt hat (von 68,1 auf 64,9 IKI-Punkte), blieb es unter Zugewanderten und ihren Nachkommen nahezu unverändert (70,3 gegenüber 70,1 IKI-Punkte). Türkeistämmige Befragte bewerten das Integrationsklima dabei in allen Bereichen positiver als in den vergangenen Erhebungen. News4teachers
