BERLIN. Die neuen VERA-Ergebnisse für Berlin sind (einmal mehr!) ein bildungspolitischer Schock: Fast die Hälfte der Drittklässler verfehlt beim Lesen die Mindeststandards, zwei Drittel scheitern an der Rechtschreibung – und an den Integrierten Sekundarschulen schaffen es drei Viertel der Achtklässler nicht in Mathematik. Der VBE Berlin warnt, das Schulproblem insbesondere im Grundschulbereich werde von der Bildungssenatorin „in seiner Tragweite offenkundig nicht verstanden“.
Bei den aktuellen zentralen Vergleichsarbeiten (VERA) in den 3. Klassen verfehlen 47 Prozent der Berliner Kinder im Bereich Deutsch/Lesen den Mindeststandard, in Deutsch/Rechtschreibung sogar 68 Prozent. Dabei hat sich das Niveau im Vergleich zum Vorjahr (News4teachers berichtete) noch verschlechtert. In Mathematik liegen 45 Prozent unter dem Mindeststandard – ähnlich viele wie im vergangenen Jahr.
Am oberen Ende der Skala zeigt sich ebenfalls Nachholbedarf: Nur 9 Prozent der Drittklässler erreichen im Lesen den Optimalstandard, nur 4 Prozent in Rechtschreibung und ebenfalls nur 4 Prozent in Mathematik.
In Jahrgangsstufe 8 unterscheiden sich die Ergebnisse stark nach Schulart: An Gymnasien verfehlen 21 Prozent den Mindeststandard in Mathematik, 8 Prozent im Deutsch-Lesen und 10 Prozent im Deutsch-Zuhören. An Integrierten Sekundarschulen, Gemeinschaftsschulen und Schulen mit sonderpädagogischem Förderbedarf sind die Quoten dramatisch höher: 73 Prozent in Mathematik, 56 Prozent im Deutsch-Lesen und 43 Prozent im Deutsch-Zuhören.
Auch bei VERA 8 sind Bestwerte selten: Nur 7 Prozent der Gymnasiasten erreichen den Optimalstandard in Mathematik, 28 Prozent im Deutsch-Lesen und 32 Prozent im Deutsch-Zuhören. An den anderen Schularten erreichen sogar nur 4 Prozent im Deutsch-Lesen und 4 Prozent im Deutsch-Zuhören den Optimalstandard – in Mathematik kein einziger Schüler.
Diese Zahlen stammen aus der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage im Berliner Abgeordnetenhaus, die News4teachers vorliegt, und wurden damit erst über Umwege öffentlich – eine Pressemitteilung von Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) gab es dazu nicht.
Die Vergleichsarbeiten (VERA 3 und VERA 8) sind Tests, an denen sich grundsätzlich alle Bundesländer beteiligen. Alle Schülerinnen und Schüler in Deutschland bearbeiten die gleichen Testaufgaben. Nach Angaben des Instituts für Schulqualität der Länder Berlin und Brandenburg fehlen Grundschülern, die den Mindeststandard nicht erreichen, basale Kenntnisse, um einen erfolgreichen Übergang von der Grundschule in die weiterführende allgemeinbildende Schule zu gewährleisten.
Wie bewertet die Bildungsverwaltung die Ergebnisse?
Die Senatsbildungsverwaltung weist darauf hin, dass VERA-Tests die Bildungsstandards für das Ende der 4. beziehungsweise 10. Klasse abbilden, aber bereits in Klassenstufe 3 und 8 durchgeführt werden. Ziel sei es, „vorhandene Stärken und Schwächen frühzeitig sichtbar zu machen und darauf aufbauend gezielte Maßnahmen für Unterrichtsentwicklung und Förderung im darauffolgenden Schuljahr abzuleiten“. Gleichzeitig räumt der Senat ein: „Die bisherigen Maßnahmen stellen eine wichtige Grundlage dar, um Lernrückständen entgegenzuwirken. Angesichts der weiterhin hohen Anteile von Schülerinnen und Schülern, die die Mindeststandards nicht erreichen, bewertet die SenBJF die Maßnahmen jedoch nicht als abschließend ausreichend. Es besteht die Notwendigkeit, diese kontinuierlich zu überprüfen und bei Bedarf zu erweitern, um einer weiteren Verschlechterung vorzubeugen.“
Welche Maßnahmen nennt der Senat?
Berlin setzt auf eine datengestützte Qualitätsentwicklung auf allen Ebenen, von der Senatsverwaltung über die Schulaufsicht bis hin zu den Lehrkräften. Das Landesinstitut BLiQ soll Qualifizierungen zur Nutzung der VERA-Ergebnisse ausbauen. Neu eingeführt werden der Berliner Leseband – feste Zeitfenster für systematisches Lesetraining in den Klassen 1 bis 4 – sowie das Matheband, das ab dem Schuljahr 2025/26 an ausgewählten Startchancen-Schulen startet und bis Klasse 10 ausgebaut werden soll.
Wie reagiert die Opposition?
Der BSW-Abgeordnete Alexander King, auf dessen Anfrage die Veröffentlichung beruht, sprach von „niederschmetternden“ Ergebnissen. Im Vergleich zu früheren VERA-Runden habe sich die Lage „nicht verbessert, teilweise sogar noch verschlechtert“. Der Unterschied zwischen Gymnasien und nicht-gymnasialen Schularten lege nahe, „dass wir es hier auch mit einer sozialen Frage zu tun haben“.
Auch die Linksfraktion kritisiert scharf. Bildungspolitikerin Franziska Brychcy nannte die VERA-Ergebnisse ein „Spiegelbild der sozialen Spaltung und herausfordernden Lernbedingungen an den Schulen“. Die „verheerenden Kürzungen im Bildungsbereich“ seien das falsche Signal. „Der Senat muss dafür sorgen, dass die Mittel aus dem Startchancenprogramm endlich fließen, damit die Schulen in schwieriger Lage schnell zusätzliches Personal einstellen können, das unter anderem die Sprachförderung unterstützt.“
Was fordert der VBE?
Der Verband sieht strukturelle Ursachen für das Debakel: fehlende Schulplätze und zu große Klassen, die Abschaffung der Vorschule, hausgemachten Lehrkräftemangel sowie eine „Berliner Inklusion zum Spartarif“. Der Versuch, Defizite mit Jugendhilfemaßnahmen wie Schulhelfern und Lerntherapie zu kompensieren, führe „nicht weiter“. „Wenn Unterricht nicht auf einem pädagogischem Mindeststandard stattfinden kann, weil Schulplätze und Lehrkräfte fehlen und Inklusionskinder nicht angemessen gefördert werden können, bezahlen Schulkinder zwangsläufig mit ihren Bildungschancen, Lehrkräfte und pädagogisches Personal mit ihrer Gesundheit“, warnt der Verband.
Der VBE fordert ein neues Konzept zur Lehrkräftegewinnung, die Wiedereinführung von Vorschulen sowie eine „ausfinanzierte und fachlich abgesicherte Inklusion“. Außerdem kritisiert der Verband, Berlin habe für das Schuljahr 2025/26 „auf die Einstellung von 250 Laufbahnbewerbern verzichtet, weil es keine zentrale Einstellung von Lehrkräften gibt“. Auch die Bezirke seien ohne ausreichende Mittel, um kurzfristig Schulräume anzumieten. News4teachers
