NEUSS (Mit Leserkommentar). In einer Grundschule im rheinischen Neuss wurden vor elf Jahren erhöhte PCB-Werte gemessen und “mittelfristig” eine Sanierung empfohlen. Das Gutachten geriet offenbar in Vergessenheit; die Sanierung blieb aus. Jetzt wurde das Blut der dort beschäftigten Lehrer auf Spuren des Giftes untersucht. Ergebnis: positiv.
„PCB-Entwarnung für Schule“, so überschrieb die örtliche Lokalzeitung ihren jüngsten Bericht. Ein von der Stadt beauftragter Gutachter sei nämlich zu dem Ergebnis gekommen, dass sich „von den zwölf auf PCB-Belastung untersuchten Beschäftigten an der Dreikönigenschule niemand ernste Sorgen um seine Gesundheit machen“ müsse. Wirklich nicht? Die vom Hygiene-Institut des Ruhrgebiets gemessenen und von dem Blatt veröffentlichten Werte werden die Betroffenen kaum beruhigen: Zwar hätten bei keiner der untersuchten Personen die PCB-Spuren den Grenzwert von sieben Mikrogramm pro Liter Blut überschritten; die Werte lägen zwischen 0,504 Mikrogramm/l und – im Extremfall – 4,224 Mikrogramm/l. Das sind in der Spitze aber immerhin fast zwei Drittel der Belastung, die als kritisch gilt. Gleichwohl sieht der Gutachter offenbar keine Notwendigkeit, die Schule jetzt umgehend zu sanieren. Die Zeitung zitiert ihn, dass sich die PCB-Konzentration in der Raumluft durch Lüften drastisch senken lasse: „Das ist die am schnellsten wirksame Maßnahme.”
Der Stadtverwaltung dürfte die Einschätzung des Gutachters gefallen haben. Der Technische Leiter beim Gebäudemanagement der Stadt machte jedenfalls gegenüber der „Neuss-Grevenbroicher Zeitung“ deutlich, welch gewaltiger Aufwand mit PCB-Sanierungen verbunden sei. Denn PCB-Baustellen unterlägen ganz besonderen, strengen Regeln. Sie seien zum Beispiel nicht offen begehbar, es müsse in Schutzkleidung gearbeitet werden, möglicherweise ebenfalls verunreinigte Bauteile, Möbel, Beschichtungen müssten mit entsorgt werden. Außerdem sei gerade die PCB-Sanierung eines benachbarten Gymnasiums angelaufen, und die dauere bis 2014. Bis dahin benötige das Gymnasium jeden freien Platz für seine provisorischen Unterkünfte. Die unausgesprochene Botschaft: Vorher ist an eine Sanierung der Dreikönigenschule nicht zu denken.
Lehrerin: Situation fast unerträglich
Bei den Betroffenen stößt der Umgang der Verwaltung mit dem Problem auf Empörung. Eine Lehrerin, die seit fast 40 Jahren an der Schule arbeitet, betonte gegenüber der „Neuss-Grevenbroicher Zeitung“, dass sie mit einem Spitzenwert bei der PCB-Belastung leben müsse – „wahrscheinlich, weil ich von allen im Kollegium am längsten an der Schule bin”. Die Situation an der Schule sei für sie fast unerträglich geworden. Zum einen wegen der Sorge um die eigene Gesundheit, zum anderen “weil mir die Kinder am Herzen liegen”. Sie würde am liebsten möglichst schnell heraus aus dem alten Schulgebäude.
In Deutschland sind Polychlorierte Biphenyle, kurz PCB genannt, seit 23 Jahren verboten. Die giftige Chlorverbindung wurde vor allem in den 70-er Jahren im Bau verwendet. Das Gift steckt einem Bericht des „Südwestrundfunks“ zufolge zum Beispiel in den Kabelummantelungen der Haustechnik, in Lacken oder Betonfugen. Experten warnten auch heute noch vor den Altlasten der Giftstoffe in Betongebäuden. PCB gelange über die Atemwege in den Organismus und könne den Körper schwer schädigen, es gelte auch als krebserregend und erbgutschädigend.
Ende der 90-er Jahre schätzten Experten, dass bis zu einem Drittel aller Schulgebäude in Deutschland mit dem Umweltgift belastet sein könnten. Mittlerweile sind etliche der betroffenen Schulen saniert – aber wohl längst nicht alle. Vor allem Gebäude, deren Belastung seinerzeit als zeitweilig tolerabel angenommen wurde, dürften noch immer auf ihre Sanierung warten. Alles andere wäre bei einem unlängst vom Deutschen Institut für Urbanistik errechneten Investitionsstau von bundesweit 27 Milliarden Euro bei Schulgebäuden und Kindergärten ein Wunder. NINA BRAUN
Zum Bericht: “PCB – der vergessene Skandal? Noch immer lauert das Gift in Schulen”
