FRANKFURT/MAIN. Der Schriftsteller Navid Kermani, 2015 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet, hat in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ über den Brexit und die Folgen für Europa geschrieben – und berichtet darin auch über seine regelmäßigen Schulbesuche. Ein Einblick.
Kermani berichtet: „Ich sage nicht, dass Europa den Schülern eine Lehrstelle oder einen coolen Job besorgt. Ich weise nicht darauf hin, wie angenehm es ist, ohne Pass zu reisen oder kein Geld wechseln zu müssen. Auf die handfesten Vorteile Europas kommen die Schüler alle von selbst, ohne sich von Europa zu viel zu versprechen, also die Lehrstelle oder den coolen Job. Ich rede auch nicht vom Frieden. Das wissen alle, dass Europa dem Kontinent Frieden beschert hat.“
Er spreche vielmehr die Vielfalt der Schülerschaft an, die ihm gegenübersitze. „Ich sage ihnen: Schaut euch um. Schaut, wo eure Eltern überall herkommen, wie verschieden ihr ausseht, was für unterschiedliche Namen ihr habt. Schaut in eure Nachbarschaft, schaut auf die Nationalmannschaft, schaut auf die Flüchtlinge (und wenn jemand empathisch ist gegenüber den Flüchtlingen, sind es heute die Schüler, das gibt mir jedes Mal selbst Kraft): Überlegt mal, was wäre, wenn Deutschland sich wieder als Volksgemeinschaft verstünde. Oder Frankreich. Oder England. Würde das eure Realität abbilden, die Gesellschaft, in der ihr aufgewachsen seid? Überlegt mal, was ein Europa der Vaterländer bedeuten würde, von dem die Rechtspopulisten immer reden: Wie viele von euch gehörten dann nicht mehr dazu?“
Er merke dann jedes Mal, wie es in den Köpfen der Schüler ticke, und es entstehe sofort ein Gespräch. „Was hat das mit Europa zu tun?, fragen die Schüler dann zurück. Das hat sehr viel mit Europa zu tun, antworte ich: Schaut doch nur in die Programme der antieuropäischen Parteien, da geht es nicht nur um Islam und Ausländer, da geht es genau gegen die Gesellschaft, in der ihr aufwachst, gegen eure Lehrer, die liberal sind, gegen eure Bürgermeister, die sich für Flüchtlinge einsetzen, gegen den Klimaschutz, Minderheitenrechte, Gleichstellung und eure Lehrpläne, die deutsche Schuld nicht kleinreden, gegen euch, die ihr das heutige, ein endlich europäisches Deutschland seid.“
Kermani wurde 1967 als Sohn iranischer Eltern geboren, welche 1959 in die Bundesrepublik Deutschland eingewandert waren. Er hat die deutsche und die iranische Staatsbürgerschaft. Kermanis Roman „Dein Name“ wurde für den Deutschen Buchpreis 2011 nominiert. Außerdem erhielt der Orientalist 2012 den Kleist-Preis. Mit Verweis auf sein Buch „Dein Name“ erhielt Kermani 2014 den Joseph-Breitbach-Preis.
Hier geht es zu dem Gastbeitrag Kermanis in der FAZ.
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