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Wie Rechtsradikale den schrecklichen Fall von Euskirchen nutzen, um zu Gewalt gegen Migranten aufzurufen – und gegen Lehrer zu hetzen

EUSKIRCHEN. Bekannt ist: In der vergangenen Woche wurde ein Zwölfjähriger in einer Gesamtschule in Euskirchen so schwer verprügelt, dass er seitdem im Koma liegt. Die Polizei hat zwei mutmaßliche Täter ermittelt, Mitschüler, die beide unter 14 und damit strafunmündig sind. Zu den genauen Umständen der Tat und zur Herkunft der beiden Kinder ist nichts bekannt – die Polizei hält sich aus guten Gründen mit Informationen zurück. Ein unter Rechtsradikalen weit verbreitetes Medium namens „PI-News“ (PI soll für „politically incorrect“ stehen, also „politisch unkorrekt“) ficht das nicht an: Es zieht Verbindungen zu früheren Gewalttaten, bei denen Migranten als Täter ermittelt wurden. Und es veröffentlicht Leserzuschriften, die unverhohlen zu Gewalt gegen Einwanderer aufrufen – und gegen Lehrer hetzen.

Screenshot von der Seite “PI-News”.

Die Redaktion von News4teachers hat gestern erstmals einen Drohbrief erhalten, der sich gegen einen Kommentator in unserem Leserforum richtet, der Fremdenfeindlichkeit verurteilt. „Google mal tiefer und richtig du Versager …es waren wie so oft 2 “deutsch” Türken ! Hoffentlich bist du der nächste dem sie die Fresse einschlagen,ist für Typen wie dich die einzige Medizin“, so heißt es darin (wir dokumentieren die Texte hier im Original – also mit Schreibfehlern). Wir wollten wissen: Wo kommt so etwas her? Wer nutzt einen solch schrecklichen Fall, um politisch Kapital daraus zu schlagen? Wir haben recherchiert – und wurden leicht fündig: bei „PI-News“, einer Internet-Seite, die nach eigenen Angaben täglich 80.000 Leser erreicht (und zu deren Anzeigenkunden die vom Verfassungsschutz beobachtete “Identitäre Bewegung” zählt).

„Der Fall erinnert jedenfalls an den tragischen Tod des 17-jährigen Niklas, der Anfang Mai in Bonn von einer Gruppe südländischen Plus-Deutschen erschlagen wurde, aber auch an Daniel Sievert, der im März 2013 von einem türkischen Kopftreterrudel getötet wurde. Abgelegt unter Einzelfall“, so schreibt PI-News zur Prügel-Attacke von Euskirchen  – wohlgemerkt: ohne dass es konkrete Informationen zum Geschehen in der Gesamtschule gäbe.

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Offenkundig Volksverhetzung

Für die Leser des Beitrags ist der Fall jedoch klar: In mehr als 350 Kommentaren werden einhellig Migranten verantwortlich gemacht – in manchen davon wird unverhohlen zu Gewalt aufgerufen. Auch Schulen und Lehrer, die sich gegen Rassismus engagieren, werden in den Fokus genommen. Wir haben uns dafür entschieden, einige dieser Kommentare zu dokumentieren  – wohlwissend, dass manche davon offenkundig den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen. Wir sind jedoch der Meinung, dass die Öffentlichkeit in Deutschland über das Ausmaß und die Brutalität der sich auftürmenden rechtsradikalen Hetzwelle informiert werden muss. Deshalb hier im Wortlaut:

Zum presserechtlichen Hintergrund: Wenn in einem Leserbrief unwahre Tatsachen behauptet werden, haftet grundsätzlich auch das verbreitende Medium. “PI News” ist also für diese Posts verantwortlich. Agentur für Bildungsjournalismus

 

Jugendgewalt ist um die Hälfte rückläufig
Experte in Sachen Jugendkriminalität: Prof. Christian Pfeiffer. Foto: Bischöfliche Pressestelle Hildesheim (bph) / Wikimedia Commons

Prof. Christian Pfeiffer, ehemaliger Direktor des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, zur tatsächlichen Entwicklung von Gewaltkriminalität in Deutschland.

„Entscheidend ist (..)nicht, ob jemand Ausländer oder Deutscher ist, sondern, ob er sozial verwurzelt ist und mit beiden Beinen im Leben steht. Wer Freunde und ein soziales Netz hat, wer in der Familie Geborgenheit, Liebe und Sicherheit erlebt, der landet auf der guten Seite. Der deutliche Rückgang bei der Jugendgewalt bestätigt das. Auch bei Migranten sehen wir eine positive Entwicklung weg von Gewalt und Machotum. Bei den Neuankömmlingen sieht dies noch anders aus, besonders bei Gruppen, die keine Aufenthaltsperspektive haben. Da besteht die Gefahr, dass sie ihren Frust und ihre Wut ausleben.“

Hier geht es zur Quelle des Zitats.

„Wir haben die sicherste Republik in Deutschland seit dem Jahr 2000. Alles ist rückläufig. Als Beispiel: Schusswaffen-Delikte sind seit Mitte der 90er-Jahre von 630 auf 111 zurückgegangen, tödliche Schusswaffen-Delikte. Oder vorsätzliche Tötungen um 43 Prozent rückläufig, die Jugendgewalt um knapp die Hälfte rückläufig.“

„Wir haben durchaus in den letzten zehn Jahren eine Zunahme des Wohnungseinbruchs um ein Fünftel. Da machen die Bürger sich zu Recht Sorgen. In allen anderen Bereichen ist das unbegründet. Da ist die gefühlte Kriminalitätstemperatur völlig woanders angekommen als die Wirklichkeit.“

Hier geht es zur Quelle dieser Zitate.

 

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