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Anspruchsarme Kleine-Kinder-Pädagogik? Von wegen – Welche Kompetenzen in Grundschule und Kita besonders gefordert sind

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CHEMNITZ. Sind Grundschullehrkräfte und Erzieherinnen bessere Basteltanten bzw. -onkel? Durch die beiden hitzigen bildungspolitischen Debatten der jüngsten Zeit – dem Streit um ein Verbot der Methode „Lesen durch Schreiben“ (News4teachers berichtete) sowie dem Krach um die finanziellen Gleichstellung von Grundschullehrerinnen und -lehrer (News4teachers berichtete auch darüber)– schimmert immer noch der alte Dünkel von der anspruchsarmen Kleine-Kinder-Pädagogik.

Dabei werden in den Kitas und Grundschulen die Grundlagen gelegt, ohne die Bildung nicht gelingen kann. Worauf kommt es hier besonders an? Zwei Experten, Prof. Dr. Bernd Dühlmeyer und Dr. Janine Brade vom Zentrum für Lehrerbildung der TU Chemnitz, haben die entscheidenden Punkte aufgelistet. Der Beitrag ist Teil eines umfangreichen Artikels mit dem Titel „Meine neuen Erstklässler!“ aus der Zeitschrift „Grundschule“, der sich mit dem Übergang von der Kita zur Grundschule beschäftigt – einer entscheidenden Weichenstellung für die gesamte Bildungskarriere.

hier lassen sich die einzelnen Beiträge des Heftes herunterladen (kostenpflichtig).

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Welche Kompetenzen braucht eine Grundschullehrerin? Foto: Shutterstock

Um die genannten Aufgaben und die damit verbundenen Herausforderungen erfüllen zu können, bedarf es professionell handelnder pädagogischer Fachkräfte in Kitas und Schulen. Die an ihre Professionalität gerichteten Anforderungen sind vielfältig; die wichtigsten sind:

Beziehungsfähigkeit: Hierbei handelt es sich um die wichtigste Qualifikation. Beziehungsfähigkeit bedeutet, über Selbstbewusstsein zu verfügen und in der Lage zu sein, Kontakt zu dem Gegenüber aufzunehmen, ohne sich selbst aufzugeben und ohne das Gegenüber beherrschen zu wollen, die eigene Autonomie zu behalten und die des Gegenübers zu achten. Kinder benötigen in dieser Weise beziehungsfähige Bezugspersonen. Dabei sollten Verluste und Versagungen in der eigenen Kindheit der Erzieherinnen und der Lehrkräfte bearbeitet werden – in Supervision oder Therapie.

Die Zeitschrift 'Grundschule'
Für einen Blick ins Heft – draufklicken.

Der Beitrag ist ein Auszug aus dem Artikel “Die Herausforderung” aus dem Heft “Meine neuen Erstklässler! Wie Sie den Übergang vom Kindergarten in die Schule erfolgreich gestalten” der Zeitschrift “Grundschule”. Die gedruckte Ausgabe ist bereits vergriffen – hier lassen sich die einzelnen Beiträge noch herunterladen (kostenpflichtig).

Damit Lehrkräften der Schulstart gelingt und sich damit die pädagogische Arbeit in der Folge erleichtern, bündelt das Heft Tipps und Ratschläge von Praktikern und Bildungsforschern. Wie lässt sich gut mit Erzieherinnen kooperieren? Was bringt die Zusammenarbeit eigentlich? Was muss eine Lehrkraft beachten (und planen), wenn sie eine 1. Klasse übernimmt? Was erleben die Kinder – und deren Eltern? Und welche Konsequenzen hat das für die Lehrkraft? Die “Grundschule” liefert Antworten.

Offenheit für Heterogenität: Soll eine vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung gelingen, sind vorurteilsbewusste Erzieherinnen und Lehrkräfte die Grundvoraussetzung. Das beinhaltet ihre Bereitschaft, das eigene Verständnis von Diversität zu erweitern und Position gegen Ausgrenzung zu beziehen, den eigenen sozialisierenden Einfluss auf Einstellungen und Orientierungen zu erkennen, vermeintliche norm- und wertebezogene Alltagstheorien in Frage zu stellen, zu erkennen, dass theoretisches Wissen allein nicht ausreichend ist, um eine vorurteilsbewusste Praxis umzusetzen.

Nentwig-Gesemann (2011, S. 27) gibt dazu u. a. die folgenden Anregungen: Warum ist es in bestimmten Kontexten schwer, dem eigenen Wissen entsprechend zu handeln? Welche Handlungsroutinen versucht man durch das Vermeiden bestimmter Fragen zu erhalten? Welche Konsequenzen hätten bestimmte Erkenntnisprozesse und warum wird die Auseinandersetzung damit gescheut?

Diagnostische Kompetenzen: Vor dem Hintergrund der – zunehmenden – Heterogenität der Kinder handelt es sich um eine zentrale Anforderung an die Professionalität (Ulber/Imhof 2014; vgl. den Beitrag von Heger & Liebers in diesem Heft). Diese umfasst erstens die Kenntnis von Grundformen der Beobachtung und die Trennung des beobachtbaren Verhaltens von der Interpretation, zweitens von Verfahren zur Dokumentation von Beobachtungen (Verbalsysteme, Kategoriensysteme, Einschätzverfahren) und drittens die Kenntnis spezieller diagnostischer Verfahren, zum Beispiel des „Bielefelder Screenings zur Früherkennung von Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten“ (Jansen u. a. 1999) oder des „Rundgangs durch Hörhausen“ (Martschinke u. a. 2001).

Von der Diagnosefähigkeit ist die Wahrnehmungsfähigkeit zu unterscheiden: Hier geht es darum, pädagogisch bedeutsame Situation, insbesondere Besonderheiten und Schwierigkeiten in Alltagssituationen, wahrzunehmen und zu interpretieren (Schäfer 2005, S. 4). Während es bei der Diagnosekompetenz um fehlgelaufene Bildungsprozesse geht, steht bei der Wahrnehmungsfähigkeit die Entwicklung von Grundlagen für die pädagogische Arbeit mit Kindern im Vordergrund.

Empathie: Mitfühlend zu sein bedeutet, dass Erzieherinnen und Lehrkräfte in der Lage sind, die Perspektive des Kindes zu erfassen, seine verbalen und nonverbalen Ausdruckssignale zu decodieren und sich auf der emotionalen Ebene berühren zu lassen (Nentwig-Gesemann 2011, S. 23). Dem Wahrnehmen der Gefühle und Bedürfnisse des Kindes sowie der annähernd zutreffenden Interpretation der ausgesandten Signale folgt die angemessene Reaktion der Erzieherin und der Lehrkraft.

Selbstreflexion: Gemeint ist damit zum einen die Analyse von Praxiserfahrungen, zum anderen die Reflexion über das Handeln in inszenierten Probesituationen und schließlich das Lernen anhand biografischer Erfahrungen (vgl. den Beitrag von Brade & Rissmann in diesem Heft). „Durch rückschauendes Betrachten, durch Aktualisieren vergangener Erfahrungen, durch Vergegenwärtigung der damaligen Lebenssituation können Geschehnisse, die unsere Persönlichkeit geformt haben, ins Bewusstsein gerufen und wiederbelebt werden. Darin liegt die Chance, uns selbst besser zu verstehen, unsere Geschichte anzunehmen, zukünftige Handlungsperspektiven zu entwickeln und persönliche Potenziale zu entfalten“ (Gudjons 2008, S. 21).

Forschendes Lernen: Der Aufbau eines forschenden Habitus bei Erzieherinnen und Lehrkräften meint das Erfassen, Erklären und Verstehen realer Bildungs- und Erziehungsprozesse. Voraussetzung hierfür ist das Beherrschen – praxisnah geübter – Methoden des Beobachtens und Dokumentierens und des Führens von Interviews mit Kindern.

Teamfähigkeit: Für die Gestaltung des Übergangs ist die Zusammenarbeit des daran beteiligten pädagogischen Personals aus Kitas sowie Grund- und Förderschulen unerlässlich.

Fachwissen: Dazu zählen zum einen die Inhaltsbereiche der Bildungspläne. Bedenkt man, dass etwa zum Sächsischen Bildungsplan (2011) der somatische, soziale, kommunikative, ästhetische, naturwissenschaftliche und mathematische Bildungsbereich gehören, dann müssen sich auch Erzieherinnen mit unterschiedlichen Disziplinen befassen. Ziel muss es dabei sein, ein eigenes fachliches Profil zu entwickeln (Schäfer 2005, S. 6). Zum Fachwissen gehören außerdem pädagogische und (entwicklungs-)psychologische Kenntnisse für die Arbeit mit Kindern zwischen 3 und 6 Jahren. Besondere Bedeutung kommt dabei den Entwicklungsbesonderheiten und -beeinträchtigungen zu. Gleiches gilt für Grundschullehrkräfte und ihre Arbeit mit Kindern zwischen 6 und 10 Jahren.

Kenntnis der Rechtslage: Erzieherinnen und Lehrkräfte müssen schließlich über die Rechtslage zur Gestaltung des Übergangs in ihrem Bundesland informiert sein. Diese wird – wenn auch knapp – in den meisten Schulgesetzen umrissen. Ergänzend müssen besondere Verordnungen hinzugezogen werden.

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