ERFURT. Die Thüringer AfD-Fraktion um ihren Vorsitzenden Björn Höcke macht Druck auf Lehrer. In einem Brief an rund 1.000 Schulen im Land, der von Höcke und der bildungspolitischen Sprecherin Wiebke Muhsal unterzeichnet ist, wird behauptet, „immer wieder erreichen uns Hinweise von Eltern und von Schülern darauf, dass durch einzelne Lehrer wie auch durch schulische Veranstaltungen einseitige politische Indoktrinationen und Einflussnahmen derart erfolgen, dass bestimmte politische Auffassungen oder Parteien ohne sachliche Debatte verächtlich gemacht werden (…).“ Einzelne Schulen wurden darüber hinaus offenbar auch gezielt aufgefordert, gegenüber der Partei Stellung zu kolportierten Vorwürfen zu nehmen.
„Auch in Thüringen hat die AfD den Kampf an und mit den Schulen aufgenommen“, erklärte Thomas Hartung, Bildungspolitiker der SPD, gegenüber der „Thüringer Allgemeinen“. Mit mindestens drei parlamentarische Anfragen seien durch die Abgeordnete Wiebke Muhsal versucht worden, die Namen von Schulen zu erhalten, die an „offenbar unliebsamen Demokratieprojekten“ teilnahmen. „Teilweise sollte sogar die Klassenstufe ausgewiesen werden“, sagt der Sozialdemokrat.
Die AfD-Fraktion hat sich darüber hinaus bereits Ende Oktober mit einem Brief an alle Schulen im Land gewandt, wie ein Sprecher der Fraktion bestätigte. In dem Schreiben steht unter anderem, dass die Fraktion in Schulen das «für den weltanschaulich neutralen Staat besonders hohe Gut der politischen Neutralität gegenwärtig als gefährdet» ansehe. Als Oppositionsfraktion trage die Thüringer AfD eine «besondere Verantwortung für die Einhaltung der schulischen Neutralitätspflicht.»
Höcke, selbst Geschichtslehrer von Beruf, löste mit massiver Kritik am Holocaust-Gedenken der Deutschen – und insbesondere der Schulen in Deutschland – im vergangenen Jahr Empörung aus. Der AfD-Rechtsaußen sagte, bis jetzt sei der deutsche Gemütszustand der «eines brutal besiegten Volkes«. «Anstatt die nachwachsende Generation mit den großen Wohltätern, den bekannten, weltbewegenden Philosophen, den Musikern, den genialen Entdeckern und Erfindern in Berührung zu bringen, von denen wir ja so viele haben, …vielleicht mehr als jedes andere Volk auf dieser Welt…, und anstatt unsere Schüler in den Schulen mit dieser Geschichte in Berührung zu bringen, wird die Geschichte, die deutsche Geschichte, mies und lächerlich gemacht», so Höcke. In diesem Zusammenhang sprach er vom Holocaust-Denkmal in Berlin von einem «Denkmal der Schande«.
Der Sozialdemokrat Hartung sieht eine zunehmende Härte in der Auseinandersetzung der AfD mit den Schulen. Laut „Thüringer Allgemeinen“ verlangt er vom Bildungsministerium, das vom Linken-Politiker Helmut Holter geführt wird, es müsse sichergestellt werden, dass die Lehrer geschützt und schulische Angebote nicht diskreditiert würden.
“Schräger Weg”
«Lehrkräfte können sich jederzeit ans Bildungsministerium wenden, wenn sie Unterstützung benötigen. Dies gilt auch im aktuellen Fall», so erklärte ein Sprecher des Ministeriums am Mittwoch. Der Inhalt des Briefes sei durch die Schulaufsicht juristisch geprüft worden und stelle keinen Gesetzesverstoß dar. «Minister Holter hat in den letzten Wochen mehrfach öffentlich erklärt, dass sich unsere Lehrerinnen und Lehrer von rechten Machenschaften wie dem Lehrermeldeportal nicht einschüchtern lassen sollen», hieß es.
Der Thüringer Lehrerverband reagierte irritiert auf den Brief der AfD. «Das ist ein schräger Weg, um den Schulen von hinten durch die Brust zu erklären, wie sie sich zu verhalten haben», sagte der Landesvorsitzende Rolf Busch. Es sei klar, dass Lehrer Schüler nicht einseitig beeinflussen dürften. Meinungsvielfalt müsse gewahrt und über gegensätzliche Standpunkte mit den Schülern diskutiert werden. «Aber Lehrer müssen auch in der Lage sein, ihre politische Meinung zu sagen – wenn ich ihnen das verbiete, kann ich auch Roboter vor die Schüler stellen», sagte Busch.
Zusätzlich zu dem Brief verfasse die AfD-Fraktion in einzelnen Fällen auch individuelle Schreiben an Schulen. Das mache man, wenn von Schülern oder Eltern konkrete Beschwerden kämen – zum Beispiel über Lehrer, die sich angeblich nicht politisch neutral verhalten hätten. «Diese Fälle lassen wir uns schildern und bitten gegebenenfalls die Schulleitung um Aufklärung und darum, die staatliche Neutralität sicherzustellen», erklärte die AfD-Abgeordnete Muhsal. Ein Internetportal, auf dem Schüler politische Äußerungen ihrer Lehrer anonym melden können, will die Fraktion in Thüringen aber «bis auf weiteres» nicht einrichten. Ein solches Meldeportal planen die AfD-Fraktionen mehrerer Länder – oder haben es bereits freigeschaltet, etwa in Berlin oder Hamburg (News4teachers berichtete). News4teachers / mit Material der dpa
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