Website-Icon News4teachers

Wie sehr der wachsende Druck zur gendergerechten Sprache in der Schule nervt – ein Lehrer berichtet. Brauchen wir sie trotzdem?

Anzeige

BERLIN. „In einer gendergerechten Sprache fühlen sich beide Geschlechter gleichermaßen respektvoll angesprochen. Eine geschlechtergerechte Formulierung ist deshalb ein wichtiger Beitrag, um die Gleichstellung der Geschlechter durchzusetzen“, so heißt es bei der Hamburger Schulbehörde. Tatsächlich geraten Lehrinnen und Lehrer immer stärker unter Druck, auf eine sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern zu achten. Einem Pädagogen ist jetzt öffentlichkeitswirksam der Kragen geplatzt – er beklagt in einem viel beachteten Kommentar die Allgegenwart von „Gender-Wortmonstern“.

„Mündliche und schriftliche Kommunikation im Unterricht und in außerunterrichtlichen Kontexten beachtet geschlechtersensible Formulierungen”, so fordert die KMK. Illustration: Shutterstock

Er werde jetzt Beschwerde bei der Schulbehörde einreichen, so schreibt ein Lehrer in einer Kolumne auf „Spiegel online“. Denn: „Auf einer Einladung der Schulleitung steht: ‘Liebe Schülervertreterinnen und Schülervertreter!’ Es müsste aber heißen: ‘Liebe Schülerinnenvertreterinnen, Schülerinnenvertreter, Schülervertreterinnen und Schülervertreter!’“ Das Beispiel soll die Absurdität des Zwangs zur gendergerechten Sprache in der Schule illustrieren, von dem der Pädagoge „aus Norddeutschland“, wie es im Vorspann zu dem anonym veröffentlichten Text heißt, nach eigenem Bekunden genervt ist. „Als Lehrer muss ich diese bürokratischen Formulierungen täglich hören und lesen – auf Konferenzen, in Behördenschreiben und Elternbriefen.“

Die KMK fordert “geschlechtersensible schulische Bildung”

In der Bildung wird eifrig „gegendert”.  Das ist angesichts entsprechender Vorgaben kein Wunder. „Sowohl einzelne fachübergreifende Bildungsziele als auch der außerunterrichtliche Bereich des schulischen Bildungs-und Erziehungsauftrags sind aus der Geschlechterperspektive zu reflektieren und zu bearbeiten“, so heißt es beispielsweise in den „Leitlinien zur Sicherung der Chancengleichheit durch geschlechtersensible schulische Bildung und Erziehung“, einem Beschluss der Kultusministerkonferenz von 2016. Zur Intensivierung und Verstetigung biete sich die Sprache an. Die Forderung an die Schulen lautet deshalb: „Mündliche und schriftliche Kommunikation im Unterricht und in außerunterrichtlichen Kontexten beachtet geschlechtersensible Formulierungen.“

Anzeige

An dieser Regelung orientieren sich die Bildungsbehörden der Bundesländer. In Hamburg beispielsweise gilt: „Die Benutzung männlicher Bezeichnungen auch für Frauen ist zu vermeiden. Es ist eine geschlechterbezeichnende Sprache zu verwenden, d. h. Frauen und Männer müssen ihren Beruf, ihre Stellung, ihr Amt usw. mit einem Wort wiederfinden können, das auch ihr Geschlecht bezeichnet.“ Konkret bedeutet das: „Sind Regelungen gleichermaßen auf Frauen und Männer bezogen und ist eine geschlechtsneutrale Formulierung nicht angebracht, sind weibliche und männliche Bezeichnungen in voll ausgeschriebener Form zu verwenden. Die Bezeichnungen sind je nach Sinngehalt durch ein „und“ oder ein „oder“ in Ausnahmefällen auch durch „und/oder“ oder „bzw.“ zu verbinden. Ist inhaltlich eine Personenbezeichnung im Plural möglich, so soll diese verwendet werden, wenn sie geschlechtsneutral ist.“

Als praktische Beispiele für geschlechtsneutrale Bezeichnungen werden genannt: „Statt Lehrerzimmer: das Zimmer/der Raum für das schulische Personal“, „Statt Lehrerinnen und Lehrer: Lehrkräfte“, „Statt die Lehrerin, der Lehrer, die Lehrerinnen und Lehrer: die Lehrende, der Lehrende, die Lehrenden“.

„Ein*e Schüler*in“ oder „ein_e Schüler_in“

Die GEW geht noch weiter. Weil es auch Menschen gibt, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen, ist eine Sprache nach bisherigem Regelwerk für die Gewerkschaft keine hinreichende Lösung. Stattdessen sollte gelten, was in einer Broschüre zum Thema, die die GEW herausgegeben hat, zu lesen steht: „Neutrale Bezeichnungen sind zu empfehlen, sofern sie zur Verfügung stehen. Wenn keine neutrale Form existiert, sollte auf eine der inklusiven Formen zurückgegriffen werden. Die Kombination aus neutralen und inklusiven Formen mit Stern oder Unterstrich hat sich als besonders lesefreundlich erwiesen.” Und das mit aller Konsequenz. Mit  „Schüler*innen“ oder „Schüler_innen“ ist es dann nicht getan. Auch im Singular ist zu gendern – und zwar so: „Ein*e Schüler*in“ oder „ein_e Schüler_in“.

Warum ist das aus Sicht der GEW nötig? „Sprache hat die Kraft, gesellschaftliche Normen – wie Geschlechterrollen – zu hinterfragen und zu verändern. Darum setzen wir uns für eine geschlechtersensible Sprache ein – in geschriebener und gesprochener Form”, so heißt es. Eine geschlechterbewusste Sprache bilde die gesellschaftliche Vielfalt und unterschiedliche Lebensformen ab. Sie sei ein wichtiger Schritt, „um Stereotype und Rollenklischees zu vermeiden und um gesellschaftliche Machtverhältnisse und Privilegien sichtbar zu machen”.

Der anonym kommentierende Lehrer auf „Spiegel online“ stört sich schon an der Gender-Sprache im Rahmen der geltenden Syntax. Er sei „Sprachästhet“ –  „und beim Lesen dieser Wortblasen und -monster schwillt mir leider immer die Halsschlagader an. Sprache bitte immer so einfach wie möglich und nur so kompliziert wie nötig!“,  so fordert er und meint: „‘Schülerinnen und Schüler’ – das ergibt nur Sinn, wenn es zu irgendeinem Mehr an Bedeutung führt. Aber es gibt so gut wie keinen Fall, bei dem ich mich ausschließlich an eines der Geschlechter wende.“

In Niedersachsen ist “geschlechtergerechte Sprache” den Lehrkräften freigestellt

Selbst wenn, wie in Niedersachsen, den Lehrkräften ausdrücklich freigestellt ist, ob und wie sie „geschlechtergerechte“ Sprache nutzen möchten (Kultusminister Grant Hendrik Tonne, SPD: „Es ist wichtig, mitzudenken und sich immer bewusst zu machen, welche Bedeutung auch die Wortwahl, die Sprache hat.“) – es herrscht Anpassungsdruck. So berichtet der Lehrer: „Dadurch, dass die Schulleitung ihre E-Mails immer mit ‘Liebe Schülerinnen und Schüler’ beginnt, kann ich auch nicht mehr mit ‘Liebe Schüler’ kommen. Denn durch diese Norm von höchster Stelle wurde die geschlechtsübergreifende Form praktisch abgeschafft. Schreibe ich dann doch: ‘Liebe Schüler, bitte kommt morgen zur ersten Stunde, ich bin wieder gesund’, bleiben die Mädchen womöglich zu Hause. Oder ich bekomme einen Rüffel der Schulleitung oder werde zum Chauvi des Monats gewählt.“ News4teachers

Hier geht es zur vollständigen Kolumne auf „Spiegel online“.

Hat der Lehrer recht? Diese Frage wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Lehrer*in, Lehrer_in oder Lehr_er_in – wie werden wir künftig schreiben? Rat für Rechtschreibung beschäftigt sich mit dem “Gendern”

 

Anzeige
Die mobile Version verlassen