DÜSSELDORF. In Nordrhein-Westfalen wächst die Zahl der Corona-Neuinfektionen rasant; bereits 32 Städte und Landkreise landesweit gelten als Risikogebiete. Noch sind Herbstferien. Philologen-Landeschefin Sabine Mistler schlägt aber bereits Alarm: Ein „Weiter so“ im Schulbetrieb dürfe es nach den freien Tagen nicht geben. Auch andere Lehrerverbände machen Druck. Schulministerin Yvonne Gebauer setzt im Unterricht bislang allein aufs Lüften.
In der vergangenen Woche empfahl NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer im Radiosender WDR 5 Schülern und Lehrern einen „Zwiebellook“ – also mehrere Schichten Kleidung und gegebenenfalls auch Schal und Jacke im Unterricht zu tragen. „Wenn man sich gut kleidet, kommen wir mit dem Lüften gut durch den Winter“, so meinte die FDP-Politikerin. Denn das sei nach den Herbstferien in den Schulen angesagt. Dabei sollen alle 20 Minuten für etwa drei bis vier Minuten die Fenster zum Stoßlüften geöffnet werden. Durchzug soll dabei laut Gebauer keinesfalls während des Unterrichts, sondern nur während der Pausen entstehen. „Keiner muss sechs Stunden am Tag im Unterricht frieren“, sagte sie.
Philologen-Chefin: Schüler können nicht in Kühlräumen lernen
Der Philologenverband glaubt das nicht. „Schülerinnen und Schüler sollten in beheizten Klassenzimmern lernen, nicht in Kühlräumen“, sagt Landesvorsitzende Sabine Mistler mit Blick auf die kommenden Wintermonate. Wichtig sei vielmehr, dass auch andere Maßnahmen als offene Fenster für den Corona-Schutz in Schulen „ernsthaft und schnell“ geprüft werden – etwa die Nutzung von mobilen Luftfilteranlagen. Die werden von Wissenschaftlern zwar empfohlen, wurden von Gebauer für alle Schulen aber bereits als zu teuer abgelehnt. (Zur Debatte darüber – hier ein Beitrag.)
„Die Landesregierung hat als Dienstherr eine Fürsorgepflicht gegenüber den Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern. Deshalb wird an den Schulen zu Recht erwartet, dass alles Machbare und Notwendige getan wird, um eine Infektion oder Weiterverbreitung der Corona-Viren zu verhindern. Doch anstatt effiziente Lösungen und klare Regelungen vorzutragen, sollen die Lehrkräfte regelmäßig die Klassenräume lüften. Das reicht nicht aus“, betont Mistler.
Eine Reaktion des Schulministeriums auf die steigenden Infektionszahlen gibt es nicht
Die Philologen üben nach eigenem Bekunden deutliche Kritik an den derzeit unzureichenden Regelungen zum Schutz von Lehrern und Schülern vor einer COVID-19-Erkrankung. Angesichts der rasant steigenden Infektionszahlen benötigen die Schulen endlich wirksame Lösungen zum Infektionsschutz. Die Zahlen steigen tatsächlich insbesondere in Nordrhein-Westfalen mit hoher Geschwindigkeit. Landesweit 32 Regionen hatten gestern laut Robert-Koch-Institut die kritische Marke von 50 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner in sieben Tagen überschritten – und gelten somit als Risikogebiete. Das gesamte Ruhrgebiet ist betroffen. Eine Reaktion des Schulministeriums darauf gibt es bislang nicht. Vor den Herbstferien hatte Gebauer die Maskenpflicht in den Schulen sogar noch weiter gelockert (News4teachers berichtete ausführlich darüber – hier geht es zum Beitrag).
„Wenn immer mehr Städte und Kreise in Nordrhein-Westfalen zu Risikogebieten werden, dürfen Schulen nicht zu Hotspots werden. Im Zweifelsfall sollte selbst die Wiedereinführung der Maskenpflicht im Unterricht trotz der damit verbundenen Beeinträchtigungen kein Tabu sein“, meint nun Mistler. Darüber hinaus fordert der Philologenverband „im Namen aller Lehrerinnen und Lehrer“ einen transparenten und stringenten Stufenplan für die Schulen – wie ihn das Robert-Koch-Institut zwar vorgelegt hat, was aber von der NRW-Landesregierung (wie von anderen Landesregierungen auch, News4teachers berichtete) bislang ignoriert wird. Gegebenenfalls, so die Philologen, müsse auch der Wechsel zu einem Schichtmodell mit kleineren Lerngruppen unter Einhaltung des Abstandsgebots geprüft werden.
Mistler warnt vor weiteren Belastungen für Lehrerinnen und Lehrer
Mistler: „Dies darf allerdings nicht zu weiteren massiven Zusatzbelastungen für Lehrkräfte führen. Denn schon jetzt fordern die Quarantäneregelungen und der parallele Distanz- und Präsenzunterricht die Lehrerinnen und Lehrer in hohem Maße. Grundsätzlich sind wir der Überzeugung, dass der Präsenzunterricht mit klaren Strukturen notwendig ist, um das Schuljahr 2020/21 zu einem Erfolg zu machen. Aber der Regelbetrieb kann nicht auf Kosten des Gesundheitsschutzes und um jeden Preis aufrechterhalten werden. Ein ‚Weiter so‘ darf es nach den Herbstferien nicht geben.“ News4teachers
Auch von anderen Lehrerverbänden kam Kritik an der Untätigkeit der Landesregierung.
Der nordrhein-westfälische Lehrerverband fordert die Wiedereinführung der Maskenpflicht im Unterricht bis ins kommende Frühjahr hinein. Verbands-Präsident Andreas Bartsch sagte der «Rheinischen Post»: «Es gibt ein probates Mittel, um einen verlässlichen Schulunterricht in den kommenden sechs Monaten anzubieten: die Maske. Das Gros der Schüler – so unsere Rückmeldungen – hat auch überhaupt kein Problem damit, Mund-Nasen-Schutz im Unterricht zu tragen. Das ist gelernt.» Bartsch sagte der Zeitung, die Diskussion um die Aufrechterhaltung des Unterrichts während einer neuen Corona-Welle nehme kuriose Züge an: «Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der erste die Wärmflasche fordert. Tipps, dass sich die Schüler mit Pullover, Schal und Decke bei geöffneten Fenstern in den Unterricht setzen, gab es ja schon.»
Auch die GEW will, dass die Maskenpflicht im Unterricht an allen Schulen in Nordrhein-Westfalen nach den Herbstferien wiedereingeführt wird. Darüber hinaus forderte Landeschefin Maike Finnern am Dienstag eine Verkleinerung der Lerngruppen beziehungsweise Halbierung der Unterrichtsklassen. «Das Letzte, was passieren darf, ist dass die Schulen wieder geschlossen werden», mahnte Finnern.
Dazu brauche das Land nun ein Stufenkonzept mit klaren Handlungsempfehlungen, wie es etwa für den bayerischen Unterrichtsbetrieb in Pandemiezeiten gelte. «Je nach Infektionsgeschehen gibt es dort abgestufte Maßnahmen vom Regelbetrieb unter Hygieneauflagen über die Maskenpflicht bis zu einem Wechselmodell aus Präsenz- und Distanzlernen», erklärte Finnern. Derzeit halte sich die Landesregierung in NRW nicht an Empfehlungen, die das Robert Koch-Institut, gestaffelt nach Corona-Warnstufen, für Schulen veröffentlicht habe, kritisierte Finnern.
News4teachers hatte bereits in der vergangenen Woche groß über die Empfehlungen des RKI berichtet (hier geht es zu dem Beitrag). News4teachers / mit Material der dpa
Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.
