BERLIN. Seit den ergebnisarmen ersten Tarifrunden wächst der Unmut bei den Beschäftigten in den Kitas – er ist bereits größer, als die Arbeitgeber und viele Eltern es sich vorstellen wollen. Unsere Autorin Angelika Mauel ist selbst gelernte Erzieherin und weiß, wie es in vielen Fachkräften im Sozial- und Erziehungsdienst brodelt. Sie fordert von ihnen: Kämpft endlich konsequent für bessere Arbeitsbedingungen! Und lasst Euch nicht länger mit billigem Lob abspeisen!
Es ist, als sei Corona das Vergrößerungsglas für chronisch gewordene, immer wieder ignorierte Probleme. Was wird sein, wenn Erzieherinnen diesen Streik als Ventil nutzen? Was geht eigentlich in dieser noch weitgehend unorganisierten Berufsgruppe vor? Was fühlen die Einzelnen, die wegen der Coronaviren nun gemeinsame Probleme haben? Die so genannten Notgruppen blieben nur für kurze Zeit klein und seit die weite Öffnung der Kitas angesagt ist, könnten sich die Coronaviren in unseren „Kinderparadiesen“ wie Kopfläuse exponentiell vermehren.
Während der Corona-Schließzeit wetteiferten nicht wenige Erzieherinnen darum, wer die besten Video-Anleitungen zur sinnvollen Kinderbeschäftigung zustande brachte. Besonders Engagierte haben die Fenster der Kitas dekoriert oder Schilder aufgestellt: „Kinder wir vermissen euch!“ Nichts deutete in dieser Phase auf eine Streikbereitschaft von Erzieherinnen hin.
Erzieherinnen wünschen sich bessere Arbeitsbedingungen – und Gesundheitsschutz!
Bessere Arbeitsbedingungen und neuerdings Gesundheitsschutz – das wünschen sich Erzieherinnen vor allem. Dazu selbstverständlich Betreuungskonditionen, die die Grundbedürfnisse von Kindern ernst nehmen. Der Wunsch nach einem höheren Gehalt ist zwar auch da, aber (zumindest bei allen Erzieherinnen, die ich kenne) eher nachrangig.
Ginge es bei den Verhandlungen für den Sozial- und Erziehungsdienst um kleinere Kindergruppen und andere Verbesserungen für die Praxis, würde das die kommunalen Arbeitgeber richtig in die Bredouille bringen. Jahrelang ignorierte Probleme aber lassen sich mit mehr Geld nicht aus der Welt schaffen. Steigen die Infektionen mit Coronaviren in Kitas, werden sich ältere Erzieherinnen früher als geplant in den Ruhestand verabschieden. Teilzeitkräfte werden sich nicht so leicht dazu drängen lassen aufzustocken. Der Nachwuchs im Beruf hat die Corona-Schließzeit zum Teil schon genutzt, um ein Fernstudium zu beginnen. Voller Hoffnung, als Akademiker nicht mehr im Gruppendienst arbeiten zu müssen.
Überbelastung im Kita-Dienst nur eine Übergangsphase? Von wegen
Lange wollten die Erzieherinnen immer nur das Beste aus der Situation machen. Sie wussten nicht, was sie nach einem körperlich anstrengenden Arbeitstag mit vielen Kindern noch hätten tun können, um für bessere Konditionen in den Kitas zu sorgen. Nicht wenige erledigten nach Feierabend daheim ihre Dokumentationspflichten. Am nächsten Tag streuten Kinder dann noch Glitzer auf die Seiten ihrer „Ich-Bücher“…
Nur eine Übergangsphase, hofften Erzieherinnen, während sich in ihrem Traumberuf Missstände wie in der Alten- und Krankenpflege etablierten. Viel zu lange haben sie sich hinhalten lassen. Aus Liebe zu den Kindern und zum Beruf mochten Fachkräfte „ihre Kinder“ oder das vertraute Team allen Widrigkeiten zum Trotz nicht verlassen. Nur so ist zu verstehen, warum selbst in proppenvollen Containern und so genannten Hardcore-Kitas immer noch Erzieherinnen ausharren, die mühelos eine weniger müde machende Arbeitsstelle hätten annehmen können. Es findet sich stets ein triftiger Grund, nicht zu kündigen. Mindestens ein ihnen besonders ans Herz gewachsenes sozial benachteiligtes Kind würde unter ihrem Fortgang zu sehr leiden, befürchteten manche – Jahr um Jahr! Auch könnte eine Neue dort, wo es ganz anders aussieht als in medientauglichen Vorzeige-Kitas, schleunigst das Weite suchen. Und die Kinder stünden allein da.
Im Tarifstreik geht es in erster Linie um mehr Geld. Belastende oder auch nur anspruchsvollere Arbeitsbedingungen dienen argumentativ dazu, entsprechende Forderungen der Gewerkschaften zu untermauern. Und nun naht wieder die Zeit, wo Erzieherinnen ihre Meinungen laut sagen könnten, wenn sie die Courage dafür aufbringen. Wenn sie es drauf anlegen würden, könnte es ein zorniger Streik werden.
Erzieherinnen vermissen “Wertschätzung”? Lob gibt es für das Kita-Personal genug…
Welcher „Gruppendruck“ mag sich aus angestautem Frust aufbauen? Was wird auf den roten Westen oder T-Shirts von verdi stehen – und welche Transparente werden die Erzieherinnen frei gestalten, wenn es wieder so weit ist? Welche Gedanken haben sich Erzieherinnen in der Corona-Schließzeit in ihren Teams mitgeteilt und welche Ideen haben sie zur Verbesserung ihrer Lage entwickelt? Wie stehen sie zur GEW? Inwieweit könnte „die Lehrergewerkschaft“ ihre Interessen gut – oder besser – als verdi vertreten?
In den Lokalteilen der Zeitungen und im Internet kann man immer noch lesen, dass Erzieherinnen „die Wertschätzung vermissen“. Paradoxerweise mangelte es jedoch in den letzten Jahren ganz und gar nicht an Verklärungen ihrer Arbeitsleistungen und Fähigkeiten. Es gab gar regelrechte Wertschätzungskampagnen. Gezielt wurde um Männer für den Beruf geworben. Bundesministerien, Landesregierungen und Träger machten für Imagekampagnen Geld locker, was nicht immer gut ankam. Viel Brimborium um alltägliche und weniger alltägliche Aufgaben in einem vielseitigen Beruf.
Psychologinnen sollen sie sein und Krankenschwestern. Zudem selbstverständlich auch Coaches und Managerinnen. Bereits 2009 ließ verdi Erzieherinnen in Outfits mit der Beschriftung „Zukunftsgestalterin fordert Anerkennung“ streiken. Eine Bezeichnung, die sich heute noch auf einem für 10 Euro zu erwerbenden Plakat des Verlags Don Bosco findet. Das Plakat soll nach Angaben des Redaktionsteams für die Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt werden können. Auf ihm stehen auch die Begriffe „Popopflegerin“ und “Sauberkeitskonsultant“.
Nette, ausgeglichene und Kindern zugewandte Erzieherinnen, die eine solide, mittelmäßige und wirklich nicht zu beanstandende Arbeit geleistet haben, sollen anders als früher auf einmal Expertinnen für dieses und jenes sein. Ob sie wollen oder nicht. Wo die inneren Alarmglocken hätten schrillen können, scheinen jedoch viele bereitwillig auch übertriebenes Lob anzunehmen. Schade. Warum heißt es nicht „Nein, wir leisten ganz und gar keine hervorragende Arbeit, Frau Giffey. Wie sollten wir auch – bei den Konditionen, die man uns und den Kindern zumutet?“
Erzieherinnen haben ihren ersten eigenen Verband gegründet – endlich!
Nicht jeder, der lobt, meint es gut mit den Gelobten. Nicht jedes Lob ist eine echte Wohltat. Gelobt und mit Pseudo-Urkunden ausgestattet werden Erzieherinnen auf Fortbildungen im Namen der frühkindlichen Bildung. Durchfallquote 0%. Steigerung des Einkommens 0%… Bereicherung für die Praxis? Manchmal wird den Erzieherinnen Zeit gestohlen, die sie lieber mit den Kindern verbringen würden. Dafür, dass Verbesserungen in den Kitas erlebbar werden, werden sie sich nicht auf Dritte verlassen können. Gesellschaftspolitisches Engagement der Erzieherinnen ist gefragt. In Rheinland-Pfalz haben engagierte Fachkräfte einen ersten eigenen Verband gegründet. Endlich!
Das in der Steinzeit des forcierten Betreuungsplatzausbaus versprochene Bundeskitaqualitätsgesetz, das für alle Länder Standards hätte festschreiben sollen, wurde immer noch nicht geschaffen. Zu vielen Krippen und Kitas hätte andernfalls die Betriebserlaubnis entzogen werden müssen. Mancher Kita-Container hätte dann als Betreuungsort für Kinder ausgedient, könnte als Lager für ihre Fahrzeuge und andere Sachen genutzt werden. Warum haben Erzieherinnen sich nicht früh verweigert? Warum sagen sie zwar oft „Kinder brauchen Grenzen“, aber nicht „Erwachsene brauchen Grenzen?“
Seit 2019 gibt es das „Gute-Kita-Gesetz“, das die Erzieherinnen gar nicht so gut finden, weil es vor allem Eltern finanziell entlastet. Wie soll Beitragsfreiheit für die Eltern zur Verbesserung des Alltags in den Kitas beitragen? Und wie sollen alle Fachkraftstellen in Kitas jemals besetzt werden können, wenn die Politik ungeachtet des bestehenden Erziehermangels noch den Rechtsanspruch zur Betreuung der Grundschüler durchsetzen will?
Der Herbst bringt uns die Coronaviren, die im übertragenen Sinn der Tropfen sein könnten, der für Erzieherinnen das Fass zum Überlaufen bringt. Noch immer lassen weder auf Bundes- noch auf Landesebene Politiker eine Bereitschaft zu den Veränderungen erkennen, die den Erzieherinnen wichtig sind. Um nur eine zu nennen: Weniger Kinder pro Gruppe! Ab sofort!
Sobald weniger Kinder in Kitas aufgenommen oder die Betreuungszeiten verkürzt würden, werden Eltern aufgebracht sein. Nicht alle, aber so viele, dass den Erzieherinnen kein wertsch(w)ätzendes Lüftchen mehr entgegenwehen würde. Als 2009 der Sozial- und Erziehungsdienst bundesweit gestreikt hat, war den Eltern bereits nach zwei Wochen die Belastung zu viel. In Köln bekundeten Mütter und Väter vor Journalisten, dass ihre Kinder wegen des Streiks der Erzieherinnen zu Bettnässern geworden wären. Im Streiklokal aber berichteten die Erzieherinnen, dass man diese Kinder noch nie ohne Windel gesehen hätte. 2015 wuchs dann die Empörung über die angeblich raffgierigen Kindergärtnerinnen. Sie sollten unbedingt weniger als Altenpflegerinnen verdienen. Der Lohnabstand zu Ingenieuren und vielen anderen Berufsgruppen müsse gewahrt bleiben.
Die Heldenrolle kann den Erzieherinnen im Tarifstreit um die Ohren fliegen
Falls in diesem Jahr im großen Stil Erzieherinnen für ihre Interessen auf die Straße gehen, wird ihnen die Heldenrolle vermutlich nur so um die Ohren fliegen. Erzieherinnen, die nicht mehr alles mitmachen können oder wollen, was von ihnen erwartet wird, taugen nicht mehr als „Alltagshelden“. Wichtig ist, dass sich etwas ändert: Das politische Bewusstsein der Erzieherinnen! Sie sind die Verantwortlichen in Krippen und Kitas.
Auf dem Poster des katholischen Verlags Don Bosco standen übrigens noch weitere Begriffe, mit denen sich Erzieherinnen schmücken sollen: „Sandkastenaktivist“, „Pisa-Schock-Verarbeiterin“ und „Geduldsengel“…
Angelika Mauel, geboren 1960, hat in Bonn Jura studiert, 1993 – 1996 eine Teilzeitausbildung zur Erzieherin absolviert und ihr Berufspraktikum in einem emanzipatorischen Mädchentreff erfolgreich abgeschlossen. Sie ist freie Autorin und hat als Springerin oder Honorarkraft in Kindergärten und Schulen gearbeitet. Das Schreiben über den Alltag in Kindergärten wurde für sie zu einem besonderen Anliegen. Fachbeiträge rund um die Kinderbetreuung finden interessierte Leser im Magazin “unerzogen”, auf ErzieherIn.de und auf ihrer Website Kindergartenkritik.de.
