BERLIN. Schulen und Kitas sind keine Corona-Hotspots – behaupten Kultusminister seit Monaten. Tatsächlich war bis zu den Herbstferien das Infektionsgeschehen innerhalb der Bildungseinrichtungen in der Fläche mäßig, wenngleich immer wieder einzelne Ausbrüche dokumentiert wurden. Kein Wunder: Auch außerhalb passierte in Sachen Corona nicht allzu viel. Mit dem Unterrichtsstart aber scheint eine neue Dynamik in die Ausbreitung des Virus gekommen zu sein, die eine wachsende Zahl von Schulen erfasst und immer mehr Schüler und Lehrer zu Opfern einer Politik macht, die auf die Entwicklung nicht angemessen reagiert. Wie lange können die Kultusminister ihren Kurs noch halten?
„Wir haben die Beobachtung gemacht, dass es kein verstärktes oder im Vergleich zur übrigen Gesellschaft erhöhtes Infektionsgeschehen an Schulen oder Kitas gibt“, sagte die saarländische Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot noch Mitte Oktober. „Infektionen finden ganz überwiegend außerhalb der Schulen und Kitas statt und werden von außen hereingetragen“, so die SPD-Politikerin. Streichert-Clivot konnte zu diesem Zeitpunkt durchaus noch darauf bauen, dass von wissenschaftlicher Seite kein Widerspruch kommen würde. Die Datenlage war schlicht unklar.
Das Robert-Koch-Institut machte zwar schon Ende Oktober öffentlich, dass es bundesweit bereits Hunderte von Ausbrüchen an Schulen gegeben hatte. Tendenz: steigend. Allerdings seien diese Ausbrüche kontrollierbar gewesen – bislang jedenfalls, hieß es.
„Schulen sind keine Hotspots und es gab auch kein unkontrolliertes Infektionsgeschehen“
Und so ging die Litanei der Kultusminister weiter:
- „Schulen sind nicht die Treiber der Pandemie“ (die rheinland-pfälzische Bildungsministerin und KMK-Präsidentin Stefanie Hubig, SPD, am 16. Oktober).
- „Schulen sind keine Hotspots und es gab auch kein unkontrolliertes Infektionsgeschehen“ (NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer, FDP, am 20. Oktober).
- „Kitas und Schulen sind keine Corona-Hotspots“ (Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres, SPD, am 26. Oktober).
- „Das Kohortenprinzip und unsere Hygienekonzepte funktionieren” (Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien, CDU, am 11. November).
Sogar einen entsprechenden KMK-Beschluss gibt es. „Infektionen mit SARS-CoV-2 werden oftmals von Erwachsenen von außen in die Schulen eingetragen. Die Infektionszahlen in den Schulen bewegen sich derzeit bundesweit im Promillebereich und damit auf einem vergleichsweise geringen Niveau. Schulen sind somit im Vergleich zu anderen Lebensbereichen als sichere Orte anzusehen“, so erklärten die Kultusminister in einem gemeinsamen Papier noch am 27. Oktober. Es liest sich wie eine Beschwörung.
Die Einschätzung erweist sich offenbar zunehmend als falsch. Eine interne Einschätzung der Bundesregierung, die mehreren Medien vorliegt, führt Kitas und Schulen nämlich durchaus als Corona-Hotspots an. Eine Übersicht der Aufsichts- und Dienstdirektion (ADD) des Landes Rheinland-Pfalz zeigt zudem einen exponentiellen Anstieg der Zahl der Neuinfektionen unter Schülern und Lehrern seit den Herbstferien.
„Infektionsübertragungen ereignen sich überwiegend im privaten Umfeld und in Schulen“
Der interne Bericht der Bundesregierung beschreibt das Infektionsgeschehen in den 15 Städten und Landkreisen mit den höchsten Ansteckungsraten in Deutschland. Insgesamt werde zwar von einem „diffusen Geschehen“ ausgegangen, so berichtet der „Tagesspiegel“, dem das Papier nach eigenem Bekunden vorliegt. Dennoch würden bei 7 der 15 Kommunen explizit auch Ausbrüche an Schulen in Zusammenhang mit den steigenden Zahlen genannt. So heiße es zum Beispiel sowohl zur Stadt als auch zum umgebenden Landkreis Rosenheim: „Infektionsübertragungen ereignen sich überwiegend im privaten Umfeld und in Schulen.“
Im Landkreis Cloppenburg seien demnach „die Neuinfektionen in den letzten Tagen verschiedenen Schulen, dem privaten Bereich, dem beruflichen Umfeld sowie Alten- und Pflegeheimen zuzuordnen“. Die Schulen seien beim Unterricht bereits in ein Wechselmodell mit kleineren Lerngruppen übergegangen, um die Abstandsregel in den Klassenräumen zu ermöglichen; auch in Kitas gelte „eingeschränkter Betrieb mit strenger Gruppentrennung“.
Auch die Stadt Hagen melde „vermehrt Ausbrüche in Schulen und Kindertageseinrichtungen“, so heißt es. Hagen gehört – neben Gladbeck und Wuppertal – zu den drei NRW-Städten, die bereits vor den Herbstferien wieder eine Maskenpflicht auch im Unterricht der weiterführenden Schulen eingeführt hatten. Hagen und Gladbeck hatten als erste Kommunen in Deutschland eingeräumt, dass sich Schulen als Corona-Hotspots erweisen. „Bei uns spielt sich das Infektionsgeschehen an den Schulen ab“, hieß es seinerzeit in Gladbeck.
Die Aufsichts- und Dienstdirektion (ADD) Rheinland-Pfalz hat zudem Daten veröffentlicht, die auf ein exponentielles Wachstum der Infektionszahlen unter Schülern und Lehrern schließen lassen. Gab es am 20. August – also kurz nach den Sommerferien – im Land offiziell gerade mal 30 infizierte Schüler und keinen infizierten Lehrer, so stiegen die Zahlen bis zu den Herbstferien auf 99 (Schüler) und 20 (Lehrer).
„Es gibt nichts Besseres als den Präsenzunterricht für Schüler, Lehrer und Eltern“
Nach den Herbstferien galten landesweit gerade mal 15 Schüler und neun Lehrer als infiziert. Eine Woche später, am 28. Oktober, waren es bereits 245 Schüler und 38 Lehrer, die offiziell als infiziert gezählt wurden. Am 4. November waren es dann 625 Schüler und 88 Lehrer – vorgestern stiegen die Zahlen auf 939 (Schüler) und 124 (Lehrer). Wohlgemerkt: „Die aufgeführten Werte sind nicht kumulativ zu verstehen, sondern geben die zum jeweiligen Zeitpunkt an der Schule vorhandenen Infektionszahlen wieder“, so heißt es in den Fußnoten zur Datensammlung. Das bedeutet: Innerhalb von nur zwei Wochen hat sich die Zahl neu-infizierter Schüler und Lehrer in Rheinland-Pfalz fast vervierfacht.
Auch dem rheinland-pfälzischen Bildungsministerium müssten diese Daten vorliegen. Bildungsministerin Hubig erklärte trotzdem noch vor zwei Tagen: „Es gibt nichts Besseres als den Präsenzunterricht für Schüler, Lehrer und Eltern.“ Gestern meldete sich der Präsident des Robert Koch-Instituts, Prof. Lothar Wieler, zu Wort: “Wir sehen immer mehr Ausbrüche in Schulen.” Zu beobachten seien hohe Neuinfektionszahlen in der Altersgruppe der 10- bis 19-Jährigen. Das Infektionsgeschehen werde in die Schulen und auch aus ihnen heraus getragen. Wieler: “Wir wissen ja schon seit langer Zeit, dass natürlich auch Kinder infiziert werden können.”
Größter bislang bekannt gewordener Ausbruch an einer Schule in Deutschland
Das Corona-Geschehen an der mittlerweile geschlossenen Ida-Ehre-Schule in Hamburg-Eimsbüttel hatte sich Anfang der Woche als der größte bislang bekannt gewordene Ausbruch an einer Schule in Deutschland erwiesen. Insgesamt 55 Schüler und Lehrer aus 25 Klassen seien positiv getestet worden, teilte ein Schulbehördensprecher mit (News4teachers berichtet ausführlich über den Ausbruch an der Ide-Ehre-Schule). News4teachers / mit Material der dpa
Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.
Schulen sind sicher? Wie wäre es mal mit der Wahrheit, Kultusminister?

